Название: Fürstin des Nordens - Trilogy
Автор: Juryk Barelhaven
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754189160
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Eine Lawine war das schlimmste von allen Ungeheuern. Es versetzte auch den abgeklärtesten Verstand in Panik, denn sie brachte Tod und Zerstörung und ließ sich nicht aufhalten. Wer dem Schauspiel zusehen konnte und sich dazu entschloss, sich in der sicheren Stadt zu bringen, brachte über sich selbst das Todesurteil. Der entstehende Sog des Bruchs zermalmte Steine wie auch Bäume und die Wellen rasten ringförmig nach allen Seiten los. Die gesamte Geröllmasse geriet in Schwingung und konnte bis an die vierhundert Stundenkilometer erreichen. Die erste Welle transportierte eine Million Tonnen Schnee und eine entsprechende Menge Energie. Kurz vor der Stadt Blagrhiken wurde der Boden flacher, was die Masse abbremste aber nicht verlangsamte. Die Schneemassen türmten sich auf, da der Boden flacher wurde und die Welle erreichte eine Höhe von zwanzig Metern. Gewöhnliche Lawinen von zwei Metern Höhe waren keine Aufregung wert und hätten nur dafür gesorgt, dass das die Bewohner sich eiligst in ihre Häuser verzogen und auf den nächsten Tag warten mussten. Als die ersten Alarmglocken schrillten, wussten nur die wenigen Eingeweihten, dass mit der Lawine der Tod kam.
Die Burg war solide aus festem Stein erbaut worden, doch es war nicht nur weicher Schnee, der mit der Gewalt von Riesen auf die Mauern eindrosch: Bäume und Steine trommelten ein Stakkato, das die Menschen dahinter fast taub wurden. Baumstämme rasten durch die Fenster, zerstörten das Mobiliar als wären sie aus Pappe und begruben alles unter sich mit Schnee. Wer nicht erschlagen oder aufgespießt wurde, wurde von dem Sog mitgerissen und lief Gefahr gegen die Wände geschleudert oder zermalmt zu werden. Wer sich unter Tonnen von Schnee und mit heiler Haut widerfand, lief Gefahr zu ersticken oder zu erfrieren.
Claudile sah die tosende Wut durchs Fenster kommen, stieß den Magistraten beiseite und hechtete zur Familie hin, um sie zu schützen – im gleichen Moment wusste sie, dass sie nichts ausrichten konnte. Nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt bohrte sich der Stamm einer Kiefer in den Boden, während um sie herum alles dunkel wurde. Mit Mühe hielt sie sich an der Mauer fest, um nicht in den Flur mitgerissen zu werden, doch ihre Kraft versagte gegen die Kräfte der Natur. Ihre Muskeln spannten sich, die Krallen kratzten über Stein und hinterließen tiefe Spuren – umsonst. Die Lawine begrub sie unter sich und trug sie durch die Tür und hinunter in den Keller.
Schließlich wurde es um sie herum alles schwarz.
Sie konnte nicht aufhören zu schreien, starrte ins Pechschwarze und fühlte sich eingeklemmt. Das Tier und die Frau in ihr gellten panisch um Hilfe, wollten ausbrechen und alles zerfetzen. Ihre Ohren klingelten wie verrückt, während ihre Lungen nach Sauerstoff lechzten und brannten. Was sollte sie jetzt tun? Was wurde von ihr, dem dressierten Hund, erwartet? Sie ahnte, dass um sie herum es anderen ähnlich erging. Sie wollte nicht sehen, was in der Stadt gerade los war. Und sie wusste auch nicht, ob sie überlebt hatte.
Ihre Klauenhand bekam einen Balken zu fassen und sie zog sich heran, während Schnee, Eis und Geröll um sie knirschten. Sie konnte mit ihrer Kraft zehn Männer töten – und fühlte sich jetzt so hilflos wie ein Kätzchen unter einem feuchten Berg Wäsche. Ganz gleich, was sie tat: es würde nicht genug sein. Es würde nicht reichen. Gib es zu! Es hat niemals gereicht.
Ihr wurde bewusst, was sie fühlte. Sie hatte es gefühlt, als sie gezwungen war, ihren ersten Menschen zu töten, als ihre beste Freundin gestorben war, das Gefühl, das es Zeit war zu gehen, dass es ihr besser ginge, wenn sie tot war.
Es beherrschte sie wieder völlig, als ob es sie nie richtig verlassen hätte. Etwas in uns wollte immer sterben. Keine Vergebung – es gab nie Vergebung im Leben. Was sagte es über eine Person aus, die all die Personen, die sie geliebt hatten, überlebt hatte?
Sie bekam den Kopf frei und stieß gleich mit ihm an die Decke. Gierig saugte sie die Luft ein und verschluckte gleich jede Menge Staub, der sich auf der Eisfläche wie Puderzucker zu haften begann. Sie hustete stark und spürte ihre Beine nicht. Kälte kroch langsam in ihre Knochen – ungewöhnlich für einen Werwolf, denn selbst nackt konnten sie im höchsten Norden Nächtelang ohne Schutz ausharren. Eine neue Erfahrung – jetzt bekam sie wirklich Panik!
Ein unrühmliches Ende für eine der reinsten Geschöpfe unter den Werwölfe. Sie hatte immer geglaubt im Kampf zu sterben oder alt im Kreis ihrer Familie langsam zu entschlafen. Pustekuchen! Tief im Keller unter Tonnen von Schnee und Geröll. Das war ihr Grab.
Oder auch nicht…
Francesco. Alexandra. Mutter. Brain.
Gut, vielleicht nicht Brain.
Sie wollte sie wiedersehen. Um jeden Preis.
Leben.
Sie verfiel in Raserei, bis sie schwitzte. Knackend und knarrend gab die Decke nach und sie schaufelte sie nach draußen. Unbeirrbar. Die nutzlosen Beine hinter sich herziehend.
Verdammte Etikette.
Verdammtes Fürstentum.
Die neue Wut über alles verlieh ihr zusätzliche Kraft und sie stemmte sich gegen die Masse, bis die Zähne knirschten. Dann… Licht!
Hände griffen nach ihr, packten sie an den Armen und an den Schultern und zogen sie heraus.
Sie hatte es geschafft.
Mit einer Decke um die Schulter saß sie frierend da und blickte wild um sich, während überall das reinste Chaos herrschte. Aufgeregt liefen Menschen herum, doch sie verstand kein einziges Wort. Noch immer klingelten ihre Ohren und sie fühlte sich verletzlich. Allein.
Francesco brachte sich in ihr Gesichtsfeld und wedelte mit den Armen. Formte seinen Mund, als wolle er sprechen. Während sie gebannt auf seinen Mund blickte, dachte sie daran, dass er wie ein Fisch aussah. Er wollte etwas sagen.
Langsam kam ihr Gehör zurück.
„… Glück. Wir hatten unverschämtes Glück. Vor allen Dingen du! Kannst du mich hören?“
Sie starrte ihn sprachlos an. Dann ergriff sie seine Schultern und zog ihn an sich heran. Hielt ihn fest.
Und weinte leise in den Armen ihres besten Freundes.
Sie wunderte sich über sich selbst. Sie hatte noch immer Angst eingesperrt zu sein, obwohl sie über sich den freien Himmel sehen konnte. Ihr wurde speiübel bei dem Gedanken daran.
Langsam stand sie auf. Gottlob gehorchten die Beine wieder, was ein Glück war. Außer Schrammen und einigen Prellungen hatte sie sich nicht getan. Als sie ihren Blick wandern ließ, bemerkte sie, dass sie zu den wenigen Glücklichen gehörte.
Sie war auf dem Marktplatz und um sie herum schrien und weinten Menschen, während manche Häuser heil und manche gar nicht existent waren. Um sie herum zu viel Gewusel, zu viel Bewegung, zu viel Geschrei. Sie schloss die Augen und presste die СКАЧАТЬ