Ein feines Haus. Emile Zola
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Название: Ein feines Haus

Автор: Emile Zola

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Rougon-Macquart

isbn: 9783754188521

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СКАЧАТЬ Sie wechselten freundnachbarliche Grüße. Als er ihr eines Tages gegen Mittag einen Brief hinaufbrachte, womit Herr Gourd ihn betraut hatte, um sich die vier Treppen zu ersparen, fand er sie in arger Verlegenheit: gerade hatte sie Lilitte im Hemd auf den runden Tisch gesetzt und war bemüht, sie wieder anzukleiden.

      »Was gibtʼs denn?« fragte der junge Mann.

      »Ach, es ist wegen der Kleinen hier!« erwiderte sie. »Mir ist der unselige Einfall gekommen, sie auszuziehen, weil sie jammerte. Und nun weiß ich nicht mehr weiter, ich weiß nicht mehr weiter!«

      Er blickte sie verwundert an. Sie drehte einen Rock hin und her, suchte die Häkchen. Dann setzte sie hinzu:

      »Sie verstehen, ihr Vater hilft mir doch immer morgens, bevor er geht, sie zurechtzumachen ... Allein finde ich mich in ihren Sachen ja nie zurecht. Das ärgert mich, das regt mich auf ...«

      Die Kleine, die es satt hatte, im Hemd dazusitzen, und durch Octaves Anblick erschreckt war, zappelte und warf sich auf dem Tisch hintenüber.

      »Geben Sie acht!« rief er. »Sie wird gleich runterfallen.«

      Es war eine Katastrophe. Marie sah ganz so aus, als wage sie die nackten Glieder ihrer Tochter gar nicht zu berühren. Sie betrachtete sie unausgesetzt mit der Verblüffung einer Jungfrau, die bestürzt darüber ist, daß sie so was hat machen können. Und außer der Furcht, der Kleinen Schaden zuzufügen, gesellte sich zu ihrer Ungeschicklichkeit ein unbestimmter Widerwille vor diesem lebenden Fleisch. Doch mit Hilfe Octaves, der sie beruhigte, kleidete sie Lilitte wieder an.

      »Was machen Sie bloß, wenn Sie erst ein Dutzend haben?« sagte er lachend.

      »Aber wir werden ja nie mehr eins bekommen!« erwiderte sie verstört.

      Da scherzte er: es sei nicht recht von ihr, das zu beschwören, ein Kind sei so schnell gemacht!

      »Nein, nein!« sagte sie immer wieder hartnäckig. »Sie haben Mama neulich gehört. Sie hat es Jules doch verboten ... Sie kennen sie nicht; es gäbe endlose Streitigkeiten, wenn noch ein zweites käme.«

      Octave hatte seinen Spaß an der Gelassenheit, mit der sie diese Frage erörterte. Er setzte ihr weiter zu, ohne daß es ihm gelang, sie verlegen zu machen.

      Sie mache übrigens, was ihr Mann wolle. Freilich, sie liebe Kinder; hätte sich ihr Mann noch welche wünschen dürfen, so hätte sie nicht nein gesagt. Und unter dieser Willfährigkeit, die sich den Befehlen der Mutter unterordnete, stach die Gleichgültigkeit einer Frau hervor, deren Mütterlichkeit noch nicht erwacht war. Lilitte nahm sie nicht mehr in Anspruch als ihr Haushalt, den sie aus Pflichtgefühl führte. Hatte sie das Geschirr abgewaschen und die Kleine spazierengefahren, so setzte sie ihr altes, von schläfriger Leere erfülltes Jungmädchenleben fort, eingewiegt von der unbestimmten Erwartung einer Freude, die nicht kommen wollte. Als Octave gesagt hatte, immer so allein müsse sie sich doch langweilen, schien sie überrascht zu sein; nein, sie langweile sich niemals, die Tage flössen ja trotz alledem dahin, ohne daß sie beim Schlafengehen wisse, mit welcher Arbeit sie sie verbracht habe. Außerdem gehe sie sonntags zuweilen mit ihrem Mann aus; ihre Eltern kämen, oder sie lese auch. Würde sie vom Lesen keine Kopfschmerzen bekommen, so hätte sie jetzt, da sie alles lesen durfte, von morgens bis abends gelesen.

      »Ärgerlich ist nur«, meinte sie, »daß sie in der Leihbücherei in der Passage Choiseul nichts haben ... So wollte ich ›André‹ haben, um ihn noch einmal zu lesen, so sehr hat es mich damals zu Tränen gerührt. Nun ja, gerade ist ihnen der Band gestohlen worden ... Dazu schlägt mir mein Vater seinen eigenen ab, weil Lilitte die Bilder zerreißen könnte.«

      »Aber mein Freund Campardon«, sagte Octave, »hat die ganze George Sand ... Ich werde ihn um ›André‹ für Sie bitten.«

      Sie errötete, ihre Augen glänzten. Wahrhaftig, er sei zu liebenswürdig!

      Und als er sie verließ, stand sie mit baumelnden Armen, den Kopf ohne jeden Gedanken, vor Lilitte, in der Haltung, die sie ganze Nachmittage lang beibehielt. Nähen verabscheute sie, sie häkelte, und zwar immerzu die gleichen Spitzendeckchen, die auf den Möbeln herumlagen.

      Am Tage darauf, einem Sonntag, brachte Octave ihr das Buch. Pichon hatte fortgehen müssen, um eine Visitenkarte bei einem seiner Vorgesetzten abzugeben. Und da der junge Mann Marie fertig angekleidet antraf – sie war gerade von einem Gang in die Nachbarschaft zurückgekehrt –, fragte er sie aus Neugierde, ob sie aus der Messe zurückkäme, denn er hielt sie für fromm.

      Sie verneinte. Bevor ihre Mutter sie verheiratet hatte, habe sie sie ganz regelmäßig hingeführt. Während des ersten halben Jahres ihrer Ehe sei sie, da sie sich daran gewöhnt hatte, wieder hingegangen, in der ständigen Furcht, zu spät zu kommen. Als sie dann einige Messen versäumt habe, habe sie – warum, wisse sie nicht – den Fuß nicht mehr in eine Kirche gesetzt. Ihr Mann könne die Priester nicht ausstehen, und ihre Mutter sage zu ihr jetzt nicht einmal mehr ein Sterbenswort davon. Allerdings war sie durch Octaves Frage bewegt, als hätte er in ihr soeben Dinge wachgerufen, die unter den Trägheiten ihres Daseins begraben lagen.

      »Ich muß doch demnächst mal morgens in die Kirche Saint-Roch gehen«, sagte sie. »Eine Beschäftigung, die einem fehlt, das ruft sogleich eine Leere hervor.« Und auf diesem blassen Gesicht eines spät zur Welt gekommenen, von zu alten Eltern gezeugten Mädchens tauchte die krankhafte Sehnsucht nach einem anderen Dasein auf, das einst im Land der Phantasiegebilde erträumt worden war. Sie konnte nichts verheimlichen, alles stieg ihr ins Gesicht, unter diese Haut, die wie bei Bleichsucht fein und durchsichtig war. Dann wurde sie gerührt, mit einer vertraulichen Gebärde ergriff sie Octaves Hände. »Ach, wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie mir dieses Buch gebracht haben! Kommen Sie morgen nach dem Mittagessen. Ich werde es Ihnen zurückgeben und Ihnen sagen, welchen Eindruck es auf mich gemacht hat ... Das wird Spaß machen, nicht wahr?«

      Als Octave sie verließ, dachte er, sie sei doch immerhin drollig. Sie interessierte ihn allmählich, er wollte mit Pichon sprechen, um ihn aufzutauen und zu veranlassen, sie ein bißchen aufzurütteln; denn sicherlich brauchte dieses Frauchen nur aufgerüttelt zu werden. Gerade am folgenden Tag traf er den Beamten, als der eben fortging; und er begleitete ihn auf die Gefahr hin, selber eine Viertelstunde zu spät ins »Paradies der Damen« zu kommen. Aber Pichon erschien ihm noch weniger aufgeschlossen als seine Frau, er steckte voller beginnender Wunderlichkeiten, sein ganzes Sinnen war darauf gerichtet, sich bei Regenwetter nicht die Schuhe zu beschmutzen. Er ging auf den Zehenspitzen und sprach dabei fortwährend von seinem stellvertretenden Bürovorsteher. Octave, der in dieser Angelegenheit von brüderlichen Absichten beseelt war, ließ ihn schließlich in der Rue Saint-Honoré laufen, nachdem er ihm geraten hatte, Marie oft ins Theater zu führen.

      »Warum denn?« fragte Pichon verdutzt.

      »Weil es gut ist für die Frauen. Das macht sie nett.«

      »Ach, meinen Sie?«

      Er versprach, daran zu denken, er überquerte die Straße, wobei er schreckerfüllt nach den Droschken ausspähte, da ihn im Leben allein die quälende Angst vor Dreckspritzern plagte.

      Zum Mittagessen klopfte Octave bei den Pichons, um das Buch wieder abzuholen. Marie las, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, beide Hände tief in das ungekämmte Haar vergraben. Soeben hatte sie, ohne erst ein Tischtuch aufzulegen, ein Ei aus einem Blechteller gegessen, der inmitten des Durcheinanders eines hastig gedeckten Tisches herumstand. Auf dem Boden schlief Lilitte, war dort vergessen worden und lag mit der Nase auf den Scherben eines Tellers, den sie sicher zerschlagen hatte.

      »Nun?« fragte Octave.

      Marie СКАЧАТЬ