Ein feines Haus. Emile Zola
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Название: Ein feines Haus

Автор: Emile Zola

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Rougon-Macquart

isbn: 9783754188521

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СКАЧАТЬ ins Ministerium eintreten zu können, das ihn zum Erfolg führen sollte und wo man ihm bereits zur Heirat verholfen hatte.

      »Man tut seine Pflicht, die Regierung tut die ihre«, murmelte er, während er die mechanische Rechnung aufstellte, daß er noch sechsunddreißig Jahre zu warten hatte, bis er mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet wurde und zweitausend Francs Pension erhielt. Dann wandte er sich zu Octave: »Sehen Sie, mein Herr, eine Last sind vor allem die Kinder.«

      »Allerdings«, sagte Frau Vuillaume. »Hätten wir noch ein zweites bekommen, wären wir niemals ausgekommen ... Denken Sie deshalb auch daran, Jules, was ich verlangt habe, als ich Ihnen Marie zur Frau gab: ein Kind, nicht mehr, oder wir würden Ärger miteinander bekommen! Nur die Arbeiter hecken Junge, so wie die Hühner Eier legen, unbesorgt darum, was das mal kostet. Freilich lassen sie sie dann ja auch draußen rumlaufen; wahre Viehherden, die mich auf den Straßen anekeln.«

      Octave hatte Marie angeblickt, da er meinte, dieses heikle Thema werde ihre Wangen purpurrot färben. Aber sie blieb blaß, sie pflichtete ihrer Mutter mit der Seelenruhe eines unschuldigen Mädchens bei. Octave langweilte sich tödlich und wußte nicht, auf welche Art und Weise er sich entfernen sollte. So also pflegten diese Leute den Nachmittag in dem kleinen, kalten Eßzimmer zu verbringen, indem sie alle fünf Minuten langsam ein paar Worte kauten, in denen nur von ihren eigenen Angelegenheiten die Rede war. Selbst das Dominospiel fanden sie zu aufregend.

      Jetzt setzte Frau Vuillaume ihre Ansichten auseinander. Nach einem langen Stillschweigen, das allen vieren keinerlei Verlegenheit bereitete, als hätten sie das Bedürfnis verspürt, sich neue Gedanken zurechtzulegen, meinte sie:

      »Sie haben kein Kind, mein Herr? Das kommt noch ... Ach, es bedeutet Verantwortung, besonders für eine Mutter! Als die Kleine da geboren wurde, war ich neunundvierzig Jahre alt, mein Herr, ein Alter, in dem man sich glücklicherweise zu benehmen weiß. Ein Junge wächst ja noch von selbst auf, aber ein Mädchen! Und ich habe wenigstens den Trost, meine Pflicht getan zu haben, o ja!«

      Nun trug sie in kurzen Sätzen ihren Erziehungsplan vor. Zunächst einmal Ehrbarkeit. Keine Spielereien auf der Treppe, die Kleine stets zu Hause und sorgfältig beaufsichtigt halten, denn die Gassenmädel haben nur Schlechtigkeiten im Sinn. Die Türen geschlossen, die Fenster zu, nur kein Luftzug, der garstige Dinge von der Straße hereinbringt. Draußen keinesfalls die Hand des Kindes loslassen, es daran gewöhnen, die Augen niedergeschlagen zu halten, um jedem schlechten Anblick zu entgehen. In Sachen der Religion keine Übertreibung, gerade so viel, wie als sittlicher Kern notwendig ist. Wenn das Mädchen dann größer geworden, Hauslehrerinnen nehmen, es nicht in Pensionate stecken, wo die Unschuldigen verdorben werden; und obendrein muß man dem Unterricht beiwohnen, auf das achtgeben, was das Kind nicht wissen darf, die Zeitungen selbstverständlich verstecken und den Bücherschrank abschließen. Ein kleines Fräulein erfährt davon noch immer zuviel, erklärte die alte Dame abschließend.

      Während ihre Mutter sprach, schaute Marie mit verschwommenem Blick ins Leere. Sie sah die klösterlich abgesperrte kleine Wohnung wieder, diese engen Räume in der Rue Durantin, wo sie sich nicht mit den Ellbogen aufs Fensterbrett lehnen durfte. Es war eine verlängerte Kindheit, allerlei Verbote, die sie nicht begriff, Zeilen, die ihre Mutter in ihrer Modezeitung mit Tinte durchstrich und deren schwarze Balken sie zum Erröten brachten, von Anstößigkeiten gereinigte Lektionen, die selbst ihre Lehrerinnen in Verlegenheit setzten, wenn sie diese ausfragte. Eine sehr sanfte Kindheit im übrigen, ein schlaffes und laues Heranwachsen wie in einem Treibhaus, ein Wachtraum, in dem die Wörter der Sprache und die täglichen Begebenheiten zu albernen Bedeutungen entstellt wurden. Und noch jetzt, da sie, von diesen Erinnerungen erfüllt, verloren vor sich hin blickte, schwebte auf ihren Lippen das Lachen eines Kindes, das in der Ehe unwissend geblieben war.

      »Sie können mir wirklich glauben, wenn es Ihnen beliebt, mein Herr«, sagte Herr Vuillaume, »meine Tochter hatte mit über achtzehn Jahren noch keinen einzigen Roman gelesen ... Nicht wahr, Marie?«

      »Ja, Papa.«

      »Ich besitze«, fuhr er fort, »die sehr schön eingebundenen gesammelten Werke von George Sand20, und trotz der Befürchtungen ihrer Mutter habe ich mich entschlossen, ihr ein paar Monate vor ihrer Verheiratung zu erlauben, den ›André21‹ zu lesen, ein ungefährliches, phantasievolles Werk, das die Seele erhebt ... Ich, ich bin für eine freisinnige Erziehung. Die Literatur hat gewiß ihre Berechtigung ... Diese Lektüre hat eine außerordentliche Wirkung auf unsere Tochter ausgeübt, mein Herr. Sie weinte nachts im Schlafe: ein Beweis dafür, daß zum Begreifen des Genies nichts besser geeignet ist als eine reine Phantasie.«

      »Es ist so schön!« murmelte die junge Frau, deren Augen glänzten.

      Aber nachdem Pichon die folgende Theorie dargelegt hatte: vor der Ehe keine Romane, in der Ehe alle Romane, schüttelte Frau Vuillaume den Kopf. Sie lese niemals und befände sich doch wohl dabei.

      Nun sprach Marie leise von ihrer Einsamkeit.

      »Mein Gott, bisweilen nehme ich ein Buch zur Hand. Übrigens sucht Jules sie für mich in der Leihbücherei in der Passage Choiseul aus ... Wenn ich wenigstens noch Klavier spielen könnte!«

      Octave verspürte schon lange das Bedürfnis, einen Satz anzubringen.

      »Wie, Madame!« rief er aus. »Sie spielen nicht Klavier?«

      Es entstand Verlegenheit. Die Eltern schützten eine Verkettung unglücklicher Umstände vor, da sie nicht eingestehen wollten, daß sie die Kosten gescheut hatten. Übrigens versicherte Frau Vuillaume, Marie könne von Geburt aus richtig singen; als junges Mädchen habe sie allerlei sehr hübsche Lieder singen können, sie hätte die Melodien nur einmal zu hören brauchen, um sie zu behalten; und die Mutter erinnerte an jenes spanische Lied – die Geschichte einer Gefangenen, die sich nach ihrem Herzliebsten sehnt –, das sie als Kind so ausdrucksvoll vorzutragen pflegte, daß auch den verstocktesten Herzen Tränen entlockt wurden.

      Aber Marie blieb untröstlich. Die Hand nach dem Nebenzimmer ausstreckend, wo ihr Töchterlein schlief, beteuerte sie: »Ach, ich schwöre feierlich, daß Lilitte Klavier spielen lernen wird, und wenn ich die größten Opfer bringen müßte!«

      »Denke zunächst einmal daran, sie so zu erziehen, wie wir dich selber erzogen haben«, sagte Frau Vuillaume streng. »Gewiß, ich habe nichts gegen die Musik, sie entfaltet das Gemüt. Vor allem aber gib auf deine Tochter acht, halte die schlechte Luft von ihr fern, sieh zu, daß sie ihre Unwissenheit bewahrt ...« Sie begann wieder von vorn, sie legte sogar noch mehr Nachdruck auf die Religion, legte fest, wie oft ein Mädchen im Monat zur Beichte zu gehen habe, bestimmte die Messen, die man unbedingt besuchen müsse, und das alles unter dem Gesichtspunkt der Schicklichkeit.

      Da sprach Octave erschöpft von einer Verabredung, die ihn nötige aufzubrechen. Seine Ohren sausten vor Langeweile, er war sich klar, daß dieses Gespräch in solcher Weise bis zum Abend weitergehen würde. Und er flüchtete, mochten doch die Vuillaumes und die Pichons vor immer denselben langsam ausgetrunkenen Tassen Kaffee sitzen und sich untereinander erzählen, was sie sich Sonntag für Sonntag aufs neue wiederholten. Als er ein letztes Mal grüßte, wurde Marie mit einem Schlag und ohne Grund purpurrot.

      Von diesem Nachmittag an beschleunigte Octave sonntags vor der Tür der Pichons seine Schritte, besonders wenn er Herrn und Frau Vuillaumes rechthaberische Stimmen hörte. Im übrigen war er ganz mit Valéries Eroberung beschäftigt. Trotz der flammenden Blicke, deren Ziel er zu sein glaubte, wahrte sie eine unerklärliche Zurückhaltung; und darin sah er das Spiel einer koketten Frau. Eines Tages begegnete er ihr sogar wie zufällig im Jardin des Tuileries, wo sie seelenruhig über ein Gewitter vom Tage zuvor zu plaudern begann, was ihn vollends darin bestärkte, daß verteufelt viel mit ihr los sei. So ging er denn überhaupt nicht mehr von der Treppe weg und paßte den Augenblick ab, da er, zur Brutalität СКАЧАТЬ