Название: Der einsame Weg
Автор: Arthur Schnitzler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754188323
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JOHANNA. Wann sind Sie denn auf diese Idee gekommen?
SALA. Erst vor wenigen Tagen. Gesprächsweise sozusagen. Graf Ronsky, der Leiter der Sache, hat mir so große Lust dazu gemacht. Es gehörte nicht viel dazu; er kam einer alten Sehnsucht von mir entgegen. Lebhafter. Denken Sie nur, Fräulein Johanna: Mit eigenen Augen sehen, wie solch eine begrabene Stadt allmählich aus der Erde hervortaucht, Haus um Haus, Stein um Stein, Jahrhundert um Jahrhundert. Nein, es war mir nicht bestimmt, dahinzugehen, eh' mir dieser Wunsch erfüllt wird.
JOHANNA. Warum reden Sie denn vom Sterben?
SALA. Gibt es einen anständigen Menschen, der in irgend einer guten Stunde in tiefster Seele an etwas anderes denkt?
JOHANNA. Ihnen ist wohl nie ein Wunsch unerfüllt geblieben.
SALA. Keiner ...?
JOHANNA. Ich weiß, daß Sie auch viel Trauriges erlebt haben. Aber manchmal glaub' ich, Sie haben auch das ersehnt.
SALA. Ersehnt ...? Genossen, wenn es kam, da mögen Sie wohl recht haben.
JOHANNA. Wie gut versteh' ich das! Ein Dasein ohne Schmerzen wäre wohl so armselig wie ein Dasein ohne Glück. Pause. Wie lang ist's her?
SALA. Was meinen Sie?
JOHANNA leise. Daß Frau von Sala gestorben ist.
SALA. Das ist sieben Jahre her, beinahe auf den Tag.
JOHANNA. Und Lilli ... im selben Jahre?
SALA. Ja, Lilli starb im Monat drauf. Denken Sie noch manchmal an Lilli, Fräulein Johanna?
JOHANNA. Recht oft, Herr von Sala. Ich habe seither keine Freundin gehabt. Vor sich hin. Zu ihr müßte man jetzt auch »Fräulein« sagen. Sie war sehr schön. Sie hatte so dunkles blauschillerndes Haar wie Ihre Frau und so klare Augen wie Sie, Herr von Sala. Vor sich hin. »Nun gingt ihr beide, gingt ihr Hand in Hand, die dunkle Straße in ein lichtes Land ...«
SALA. Was Sie für ein Gedächtnis haben, Johanna.
JOHANNA. Sieben Jahre ist das vorbei ... wie sonderbar.
SALA. Warum sonderbar?
JOHANNA. Sie bauen sich ein Haus und graben versunkene Städte aus und schreiben seltsame Verse, – und Menschen, die Ihnen so viel gewesen sind, liegen schon seit sieben Jahren unter der Erde und verwesen, – und Sie sind beinahe noch jung. Wie unbegreiflich ist das alles!
SALA. Du, der da weiterlebt, laß ab zu weinen, sagt Omar Nameh, geboren zu Bagdad im Jahre 412 der mohammedanischen Zeitrechnung als Sohn eines Kesselflickers. Übrigens kenn' ich einen, der dreiundachtzig Jahre alt ist; er hat zwei Frauen begraben, sieben Kinder, von den Enkeln ganz zu geschweigen, und spielt Klavier in einem schäbigen Praterwirtshaus, während sich auf der Bühne Künstler und Künstlerinnen produzieren in Trikots und fliegenden Röckchen. Und neulich, als die armselige Produktion zu Ende war und man die Laternen auslöschte, spielte er rätselhafterweise auf dem gräulichen Klimperkasten unbeirrt weiter. Und da haben wir ihn eingeladen, Ronsky und ich, sich zu uns zu setzen, und haben mit ihm zu plaudern angefangen. Und nun erzählte er uns, daß das letzte Stück, das er da oben gespielt hatte, seine eigene Komposition war. Wir machten ihm natürlich unsere Komplimente. Und da leuchteten seine Augen, und mit seiner zittrigen Stimme fragte er uns: »Glauben Sie, meine Herren, wird mein Werk Erfolg haben?« Dreiundachtzig Jahre ist er alt und seine Karriere endet in einem kleinen Praterwirtshaus und sein Publikum sind Kindermädchen und Feldwebel, und seine Sehnsucht ist, – daß die ihm Beifall klatschen!
Dritte Szene
Johanna, Sala, Doktor Reumann.
DOKTOR REUMANN. Guten Abend, Fräulein Johanna. Guten Abend, Herr von Sala. Reicht beiden die Hände. Wie befinden Sie sich?
SALA. Vorzüglich. Man ist Ihnen doch nicht verfallen, wenn man einmal die Ehre gehabt hat, Sie um Rat zu fragen!
DOKTOR REUMANN. Daran hatt' ich selbst schon vergessen. Aber es gibt Leute, die sich dergleichen einbilden. – Mama ruht wohl ein wenig, Fräulein Johanna?
JOHANNA war durch das kurze Gespräch zwischen dem Arzt und Sala betroffen und betrachtete Sala aufmerksam. Sie wird wohl schon wach sein. Felix ist bei ihr.
DOKTOR REUMANN. Felix ...? Man hat doch nicht etwa um ihn telegraphiert?
JOHANNA. Nein, soviel ich weiß. Wer hätte denn ...?
DOKTOR REUMANN. Ich dachte nur. Ihr Papa ist manchmal so ängstlich.
JOHANNA. Da kommen sie.
Vierte Szene
Johanna, Sala, Doktor Reumann, Frau Wegrat und Felix von der Veranda her.
FRAU WEGRAT. Grüß' Sie Gott, lieber Herr Doktor. Was sagen Sie zu der Überraschung?
Freundliches Händedrücken zwischen den Herren.
FRAU WEGRAT. Guten Abend, Herr von Sala.
SALA. Ich freue mich, gnädige Frau, Sie so wohl zu sehen.
FRAU WEGRAT. Ja, es geht mir ein wenig besser. Wenn nur die traurige Jahreszeit nicht so nahe wäre.
SALA. Aber gnädige Frau, jetzt kommen ja erst die allerschönsten Tage. Wenn die Wälder rot und gelb schimmern, der goldene Dunst über den Hügeln liegt und der Himmel so fern und blaß ist, als schauerte ihn vor seiner eigenen Unendlichkeit –!
FRAU WEGRAT. Das möchte man wohl noch einmal sehen.
DOKTOR REUMANN vorwurfsvoll. Gnädige Frau –
FRAU WEGRAT. Verzeihen Sie, es kommen einem manchmal solche Gedanken. Heiterer. Wenn ich nur wenigstens wüßte, wie lange mir mein guter Doktor noch erhalten bleibt.
DOKTOR REUMANN. In dieser Hinsicht kann ich Sie beruhigen, gnädige Frau: Ich bleibe in Wien.
FRAU WEGRAT. Wie? Ist die Sache schon entschieden?
DOKTOR REUMANN. Ja.
FELIX. Ist also richtig ein anderer nach Graz berufen worden?
DOKTOR REUMANN. Das nicht. Aber der andere, dem die Stelle so gut wie sicher war, hat sich auf einer Bergtour den Hals gebrochen.
FELIX. Da wären doch jetzt Ihre Chancen die allerbesten? Wer außer Ihnen käme denn noch in Betracht?
DOKTOR REUMANN. Meine Chancen wären jetzt gewiß nicht übel. Aber ich habe es vorgezogen, zu verzichten.
FRAU WEGRAT. Wie?
DOKTOR REUMANN. Ich nehme eine Berufung nicht an.
FRAU WEGRAT. Sind Sie so abergläubisch?
FELIX. СКАЧАТЬ