Название: So viele Killer: Vier Kriminalromane
Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Extra Spannung
isbn: 9783742792952
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Nachdem er erneut gelauscht und vorsichtig beobachtet hatte, ging er bis zur Garage weiter, wo er die Torflügel nur angelehnt vorfand. Schnell schlüpfte er hinein und zog die Tür hinter sich zu, ehe er die Taschenlampe anzuknipsen wagte.
Wieder ging ein Teil der schwierigen Gleichung auf. Der Wagen, der hier stand, war ein alter Rolls-Royce. Der Kühler war noch ganz heiß. Mit anderen Worten, das Liebhaberstück war vor Kurzem für längere Zeit in Betrieb gewesen.
Höchst befriedigt entfernte sich Taggart wieder und machte mit äußerster Vorsicht eine Runde um das Haus. Er ging kurz mit sich zu Rate, denn er musste als vernünftiger Mensch die Risiken bedenken, die er auf sich nahm, ehe er sich in Gefahr begab. Sowohl der Vorder- als auch der Hintereingang des pittoresken Schlösschens war versperrt.
Schade!, überlegte Taggart kalt. Auf diese Weise wird die Chose noch gefährlicher ... Eine zweite Möglichkeit, ins Haus einzudringen, hatte er bereits bei seinem ersten Rundgang erkundet und der verwilderte Zustand des Parkes kam ihm dabei zu Hilfe. Büsche wucherten bis ans Haus heran und boten bei finsterer Nacht günstige Sichtdeckung. Die Standlinie der Mauerfront, in der die beiden erleuchteten Parterrefenster lagen, war ornamental gezackt. Von seinem unpraktischen Dress behindert, robbte Taggart durch das Gesträuch, bis er den Mauersockel mit der Hand ertastete. Jetzt galt es nur noch, ein offenes Fenster zu finden und eine Möglichkeit, zu diesem hinaufzuklettern ...
Das Kriminalistenglück ließ ihn nicht im Stich. Er richtete sich auf und stellte fest, dass zwischen dem linken der beiden erleuchteten und dem nächsten unbeleuchteten Fenster das Führungsrohr eines Blitzableiters verlief. Nachdem er abermals nach allen Seiten gelauscht hatte, erfasste er mit der rechten Hand das Stahlblechrohr und tastete mit der linken nach dem Fenstersims. Unter Anspannung aller Kräfte gelang es ihm, sich hochzuziehen, nachdem er den linken Fuß auf die Sockelleiste der Mauer aufgesetzt hatte, mit einem kräftigen Ruck weiter an Höhe zu gewinnen und mit der linken Hand — heavens, das Fenster war offen! — das Mittelkreuz zu packen. Er griff mit der rechten Hand nach, machte einen reichlich kläglichen Klimmzug und lag nun bäuchlings auf dem Sims. Danach wand er sich mit dem Oberkörper weiter in den Raum hinein, stemmte die Handflächen auf den Fußboden auf und zog den Unterkörper geräuschlos und vorsichtig nach.
Er richtete sich in die Hocke auf. Wie du mir — so ich dir!, dachte er und hätte beinahe gelacht. Zuerst waren ihm die Bewohner von Julian's Lodge auf den Pelz gerückt, und nun beschlich er sie. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit und seine Ohren an die Stille gewöhnt. Im Zimmer war es finster, aber Taggart konnte die Konturen der Möbel erkennen und dadurch der Gefahr entgehen, lärmend irgendwo anzustoßen.
Wenn ich Pech habe, überlegte er, sind die beiden Verbrecher — es sind mindestens zwei — bereits zu Bett gegangen ... Unsinn, ich brauche jetzt nicht mehr nachzudenken, wo ich direkt vor der Situation stehe!
Er wandte sich nach rechts, weil er dort eine Verbindungstür zu dem Raum vermutete, dessen erleuchtetes Fenster ihn angelockt hatte.
Als er sein Ohr lauschend an das Holz legte, hörte er keinen Ton.
Sollte tatsächlich alles umsonst gewesen sein?, fragte er sich. Blitzschnell knipste er seine Lampe an und ließ den Lichtstrahl rundum gleiten. Er sah einen schäbigen, verblichenen Teppich, verstaubte Möbel im Jugendstil und eine kitschige Deckenlampe, die ihren Glasschirm zu zwei Dritteln eingebüßt hatte. Höchstwahrscheinlich war der Raum, in dem er sich gerade aufhielt, seit Jahren nicht mehr regelmäßig benutzt worden ...
Sekundenlang spielte er mit dem Gedanken, den altmodischen Sekretär, der der Tür gegenüber an der Wand stand, zu durchsuchen, gab diese Absicht aber gleich auf, weil dort der augenblickliche Mieter des Hauses wohl kaum etwas aufbewahrte.
Ein Knall ließ ihn zusammenfahren — Taggart erstarrte zu vollkommener Regungslosigkeit. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Der Lärm kam aus dem Nebenraum. Vermutlich war dort jemand eingetreten und hatte die Tür achtlos hinter sich ins Schloss geworfen.
„Goddam, Hubert, dass du doch das Saufen einfach nicht sein lassen kannst!“, sagte eine Taggart unbekannte Stimme in aristokratisch gedehntem Tonfall, der aber nicht zwanglos-natürlich, sondern wie in späteren Jahren krampfhaft erlernt klang. „Das ist ein Ultimatum: Entweder du gibst endlich das Saufen auf oder wir beide sind geschiedene Leute. Merk' dir das!“
„Ach was, geh doch zum Teufel mit deinen Moralpredigten, blöder Kerl!“, grölte eine zweite Stimme, in der Inspector Taggart sofort die „seines“ Einbrechers erkannte. „Ich saufe nämlich so lange und so oft es mir passt — und ich nicht im Einsatz bin, verstanden?“
„Und das ist alles, was du mir zu sagen hast?“, fragte die erste Stimme ärgerlich. „Du bist mir vielleicht ein undankbarer Wechselbalg! Dabei habe ich vor wenigen Stunden mein Leben riskiert, als ich dich bei Taggart herauspaukte.“
Wieder ein Schritt vorwärts; „mein“ Mann heißt also Hubert, registrierte der Inspector. Der andere wird wahrscheinlich Squire sein, der Gigolo.
Auch diese Kombination bestätigte sich, Hubert brüllte seinen Komplicen an:
„Das hast du aus purer Nächstenliebe getan, Dom, wie? Dass ich nicht lache! Dir stand das Wasser auch bis zum Hals, als ich nicht wiederkam. Wenn mich nämlich die Polizei tatsächlich in die Fänge bekommen hätte, hätte es immerhin sein können, dass ich den Mund nicht hielt, und damit wäre dann auch dein letztes Bett gebaut gewesen.“
„Gib nicht so an, Großmaul!“, schimpfte Squire. „Stimmt — du hast recht, es stand Spitz auf Kopf. Und das alles für nichts und wieder nichts.“
„Warum für nichts und wieder nichts?“, fragte Hubert. „Wyschinsky muss sonst etwas im Kopf gehabt haben — bloß keinen Verstand — als er auf die Idee kam, das Metier zu wechseln. Dabei haben die Unkosten den bisherigen Ertrag bei weitem überschritten.
Derek ist ausgefallen, Benham ist ausgefallen. Sam ist ...“ sekundenlang zögerte Squire — “... ausgefallen, wie ich einmal sagen will, und wir beide wären heute Nacht beinahe aufs Kreuz geflogen. Und warum das alles? Bloß weil Wyschinsky, der große Herr und Meister, seinen gierigen Hals nicht voll genug bekommen kann und das Geschäft ausweiten musste! Keiner kann eben auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen.“
„Goddam, wie du mich langweilst, Dom!“, spottete Hubert. „Mit dem neuen Geschäft dürfte es ohnehin zu Ende sein, denn einen solchen Kurier wie Benham kriegen wir doch nie im Leben wieder. In dieser Hinsicht war er einmalig. Übrigens kannst du dich abregen, denn das Mary-Ann-Geschäft ist durch Benhams Totalausfall ohnehin futsch. Und Wyschinsky wird doch nicht so blöde sein, es wieder aufleben zu lassen, nachdem die Tecks auf der Burg ein- und ausgehen.“
„Ha, wunderbar logisch!“, lobte Squire. „Jetzt brüllt ihr allesamt nach der Feuerwehr — jetzt, wo das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Und die Mitwisser rechnet wohl keiner ein, wie?“
„Gib nicht so an, Dom! Wyschinsky weiß genau, was von uns Alten zu halten ist, und die Neuen sind tot.“
„Bis auf Eleanor. Die vergisst du wohl. Ich überlege mir schon die ganze Zeit, ob ich nicht einfach zu ihr hingehen und ...“
„Nein, keine Extratouren! Du würdest mehr schlecht als gut machen. Wyschinsky ist der Kopf — und das ist auch gut so. Und wenn er eine Aktion gegen Miss Peacock starten will, wird er es sagen. Du, lass die Finger von dem Girl! СКАЧАТЬ