Название: So viele Killer: Vier Kriminalromane
Автор: Alfred Bekker
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Extra Spannung
isbn: 9783742792952
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In seiner Verblüffung musste Taggart zweimal hinsehen, ehe er begriff, was er gelesen hatte. Danach fiel ihm plötzlich wieder ein, warum ihm die angebliche „Miss Helen Craigie“ gleich so bekannt vorgekommen war, wenn auch sehr nebulös: Er hatte einige Jahre zuvor an einem Aufbaulehrgang der Polizeiakademie teilgenommen, der unter dem Motto „Kriminalpolizei und Geheimdienst“ veranstaltet worden war, und später in London ein Referat „Spionageabwehr und Kriminologie“ halten müssen. Vorher hatte er sein neu gewonnenes Wissen durch fleißig zusammengetragenes Archivmaterial ergänzt und war dabei auch auf die spärlichen Akten des Falles Richard Roget gestoßen, in denen unter anderem H. Lorna Chilten erwähnt worden und ihr Bild enthalten gewesen war. —
„Colonel Ashburton, Sir!“
Unhörbar war der Vorzimmerbeamte eingetreten, um den Besucher zu melden.
„Soll 'reinkommen!“, murmelte Taggart. „Bin gerade scharf auf ihn ...“
*
In seinem Dress — gestreifte Hose, schwarzes Jackett, Melone, Regenschirm, Wildlederhandschuhe — wirkte Ashburton äußerlich wie ein gehobener Ministerialbeamter, konnte aber bei näherem Hinsehen den etwas einseitigen Offizier nicht verleugnen. Sein gemessener Gruß ließ deutlich erkennen, dass er Ray Taggart — der schließlich „nur“ C.I.D.-Inspector war — neuerdings für voll nahm, aber aus seinem sauber geputzten Monokel blitzte dem Beamten immer noch der alte Dünkel entgegen.
Taggart hatte sich erhoben und gab den Gruß des Eingetretenen reserviert zurück: ,,'n Tag, Colonel Ashburton! Bitte Platz zu nehmen.“ Eigenhändig rückte er seinem Besucher den Sessel zurecht. „Inzwischen haben sich interessante Details ergeben, aber nichts Entscheidendes.“
Das könne man nach knapp zwei Tagen billigerweise nicht verlangen, versetzte Ashburton gemessen und blickte sich neugierig um. „Sehr feudal haben Sie's hier gerade nicht, mon cher.“
„Stimmt genau!“ Der Inspector lachte. „Wissen Sie, wir haben eine geradezu krankhafte Animosität gegen das, was wir Ämter-Luxus nennen, denn wir wollen uns nicht gern den Vorwurf machen lassen, wir würden Steuergelder vergeuden.“
„Aber wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, brüllt der biedere Bürger nach der Polizei, wie?“ Der Colonel seufzte. „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, lieber Taggart, dass wir uns endgültig dazu entschlossen haben, die weitere Bearbeitung des Falles Benham vom — ehem! — Fall meiner Frau abzutrennen. Ich komme eben von Super Heytesbury, und wir sind so verblieben, dass die Rauschgiftaffäre gemeinsam von der Generalstabsabwehr in Zusammenarbeit mit Ihrem Rauschgiftdezernat unter Einschaltung von Interpol bearbeitet werden soll. Alle Ermittlungsergebnisse werden nachrichtlich an Sie weitergeleitet.“
„Eine faire Lösung“, erkannte der Inspector gerechterweise an. „Ich möchte eine Bemerkung machen, Sir: Meiner Meinung nach war Miss Peacock Benhams Komplicin.“
„Naturellement!“ Plötzlich lief Ashburton rot an. „Was Miss Peacocks Behauptung, Benham habe sich die Dunster-Begegnung aus den Fingern gesogen, bedeuten soll, ist mir allerdings völlig unerfindlich.“
„Mir ganz und gar nicht“, versetzte Taggart kurz. „Es gibt da verschiedene Theorien ...“
„Da bin ich ja ganz erschlagen!“, murmelte Ashburton, als er alles wusste. „Immerhin möchte ich nicht annehmen, dass Elga mit der Affäre zu tun hat.“
„Das wäre auch zu weit hergeholt, Sir, wenn ich auch leider bekennen muss, dass es im Leben Ihrer Gattin ebenfalls einen Punkt gibt, der mir Kopfschmerzen verursacht ...“
„Sie werden geschmacklos, Taggart!“
„... den Sie sicher aufklären können, Sir.“ Der Inspector fixierte sein Visavis gespannt. „Erzählen Sie mir bitte, was Sie über Mrs. Elgas Korrespondenz mit Worcester wissen.“
„Comment ...?“ Ashburton hob irritiert den Blick. „Korrespondierte Elga mit Worcester? Mir neu!“
Die alte Leier, dachte Taggart, der Ehemann ist immer der Allerletzte, der was merkt! Er nickte reserviert und erklärte:
„Seit Juli oder August 1958 schickte Ihre Gattin pünktlich am Fünfzehnten jeden Monats einen dicken Brief an die Adresse 'J.T., Worcester, hauptpostlagernd' ab. Wussten Sie das nicht?“
Ashburtons Miene fror ein. Er murmelte mit gepresster Stimme:
„Sollte sich damit vielleicht Elgas enormer Geldbedarf aufklären? Erpressung also ...! — Aber nein, wer sollte sie schon erpressen ...“
„Fällt Ihnen an der Abbreviatur 'J.T.' nichts auf, Colonel?“
„J.T.? Nicht, dass ich wüsste! — Goddam“, fluchte Ashburton plötzlich los, „meinen Sie etwa, dass es Juro Todd bedeute?“
„Das werden wir demnächst wissen, Sir! Es ist überhaupt der Fall der Mysterien. Hören Sie zu: Ihre Gattin führt eine geheimnisvolle Postlager-Korrespondenz, Benham erschießt sich, die Peacock straft ihn wider besseres Wissen dreist Lügen, und der Besitzer von Dunster Castle regt sich über meinen Besuch so auf, dass er mir glatt einen Mörder auf den Hals hetzt ...“
Ashburton schnaubte: „Mann, Sie faseln!“, wurde aber zusehends kleiner, als er die makabre Geschichte erfahren hatte.
„Wie beurteilen Sie übrigens Miss Craigie?“, fragte Taggart, ohne ihm Zeit für eine Bemerkung zu lassen.
Ashburton nahm einen tiefen Zug aus seiner „Simon Arzt“ und beugte sich ein wenig vor. „Helen?“, kläffte er im Ton ungläubigen Erstaunens. „Eine Lady — muss ich mehr sagen? Wir sind seit zehn Jahren befreundet. Für Helen lege ich die Hand ins Feuer, verbürge ich mich mit allem, was ich bin und habe!“
Na, warte, du widerlicher Snob!, dachte Taggart erbarmungslos. Ringrichter, aufgepasst, jetzt schlage ich ihn k.o. „Hoffentlich haben Sie eine gute Brandsalbe zu Hause“, sagte er schneidend, „und einen neuen Job in Aussicht! Da haben Sie Ihre Busenfreundin Helen Craigie ...!“ Mit diesen Worten schob er den Bericht der Zentralkartei zu seinem Visavis hinüber.
Ashburton nahm zornig Kenntnis und meinte am Ende verächtlich:
„Was soll der Hokuspokus, Mann? Ich erinnere mich an den Fall Roget, aber ich kann mit dem Namen Lorna Chilten nichts anfangen.“
„Die unter a und b näher bezeichneten sogenannten 'fremden Fingerspuren' auf meinem Zigarettenetui stammen ...“ — hier lächelte der Inspector sardonisch — „... von der Dame, für die Sie die Hand ins Feuer legen wollen, Sir.“
Ashburton ging wie angestochen in die Höhe, wandte sich um und ging minutenlang — den Rücken Taggart zugekehrt — mit sich zu Rate. Als er wieder vor dem Schreibtisch Platz nahm, hatte er einiges von seiner Größe und Schönheit verloren.
„Knapp achtundvierzig Stunden haben Sie den Fall in den Händen — und schon krempeln Sie mein ganzes Weltbild um“, sagte er heiser. „Mein Kompliment, Taggart, Sie sind mir über!“
„Nun ja“, widersprach der C.I.D.-Beamte mit sympathischer Bescheidenheit, „ich beherrsche nur meinen Beruf, wie Sie den Ihren — das ist auch schon alles.“
„Na, na“, wurde ihm zweifelnd entgegengehalten, „jetzt machen СКАЧАТЬ