Название: Wir statt Gier
Автор: Gordon Müller-Eschenbach
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783847631033
isbn:
Lobbyismus: Die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
Nur am Rande sei an dieser Stelle erwähnt, was an anderer Stelle noch eingehend behandelt wird: Die Spitzen der deutschen Wirtschaft, insbesondere der Hochfinanz, haben sich bezüglich ihres Umgangs mit Werten im Zuge der Ausdifferenzierung der föderalistischen Strukturen in Deutschland über die letzten Jahrzehnte hinweg eine dicke Scheibe von der Politik abgeschnitten. Was heute Wirtschaftsethik heißt, darf getrost als Werkzeugkoffer des Lobbyismus betrachtet werden – nicht selten kommt Ethik inzwischen sogar als schamlos ausgeweidete Marketingstrategie daher. Der Milliardenkonzern BP etwa wirbt mit Floskeln wie „saubere Kraftstoffe“ und protzt allen Ernstes damit, in den „nächsten zehn Jahren insgesamt eine Milliarde US-Dollar“ in den Bereich Biokraftstoffe zu investieren. Allein im ersten Quartal 2010, noch in der Erholungsphase von der Finanzkrise, machte der Ölkonzern einen Gewinn von 5,6 Milliarden US-Dollar.
Auch hier ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass sich hochrangige Vertreter der Wirtschaft an dem orientiert haben, was die Vertreter der Politik in unserem Land – wie in vielen anderen – vorleben. Die Mechanismen des Erfolgs gleichen nicht zufällig denen, die auch in der Politik wirksam sind. Viel zu häufig hat das eine sogar mit dem anderen zu tun.
Der Atomausstieg liefert dafür ein besonders plastisches Beispiel. Kaum hat nach den Vorfällen in Fukushima die Bundesregierung unter Zugzwang die Energiewende beschlossen, werden in den politischen Fraktionen die Gegenstimmen laut. Hier lässt sich gut nachvollziehen, wie stark Politik und Wirtschaftsmacht miteinander verkettet sind: Die Bundesregierung lässt sich vorgeblich von unabhängigen Experten beraten, um den Atomausstieg wirtschaftlich verträglich zu gestalten.
Ein Blick auf die Liste der Redner bei den ersten diesbezüglichen Anhörungen vor dem Kabinett im Juni 2011 lässt erahnen, um wessen Interessen es wirklich geht, wenn darüber verhandelt wird, wie die künftige Energiepolitik den Bürgern unter dem Deckmantel von Werten wie „Sicherheit“ und „Umweltschutz“ verkauft werden sollen: „In beiden Anhörungen sollen Stefan Kohler, Chef der halbstaatlichen Deutschen Energieagentur (Dena), und Hildegard Müller, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Rede und Antwort stehen. Während bei Müller klar ist, dass sie Lobby-Interessen vertreten muss, gilt Kohler als unabhängiger Experte. Das stimmt für Kohler aber ebenso wenig wie für Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), den die FDP geladen hat. Der Etat von Kohlers Dena wird nicht unwesentlich von den großen Energiekonzernen bestritten. Im Aufsichtsrat sind das Wirtschafts- und das Umweltministerium vertreten, doch Kohler hat in den vergangenen Jahren Positionen eingenommen, die seinen Geldgebern genutzt haben. … Der Experte Knebel wiederum spricht für das ehemalige Kernforschungszentrum Karlsruhe. Das KIT ist oder war Mitglied in nahezu allen Lobbyorganisationen der Atomwirtschaft.“
Geschickt vertuschter Lobbyismus ist nur eine von vielen ethischen Verfehlungen der Politik und der Wirtschaft gleichermaßen. Er ist jedoch eine, die in besonderem Umfang und unter dem Deckmantel des Schweigens stattfindet. Jeder weiß, dass es ihn gibt, und doch weiß kaum jemand, wie er funktioniert – weil Lobbyisten entweder ganz und gar unsichtbar bleiben, oder sich durch pseudoethisches Marketing in Wertediskussionen einbringen, die zur Ablenkung von ihren äußerst unethischen Geschäftspraktiken dienen. Wenn solche Praktiken gezielt durch die Politik befördert werden und ganze Konzerne zum Erfolg führen, ist es nicht verwunderlich, dass derartige Methoden sich noch bis in die kleinsten Verästelungen von Unternehmensstrukturen fortsetzen, unter denen letztlich noch der einzelne Angestellte zu leiden hat.
Was über Jahrzehnte hinweg unter dem Deckmantel des Schweigens im großen Stil betrieben werden konnte, kommt heute allerdings vermehrt ans Licht der Öffentlichkeit. Meldungen über Korruptionsskandale sind inzwischen auch im Wirtschaftsteil der Zeitungen an der Tagesordnung. Immer geht dabei der Schaden zu Lasten des gesellschaftlichen Wohlstands, oft genug aber auch zulasten der Wohlstands des Einzelnen; um individuelle wie gemeinschaftliche Sicherheit. Gespielt wird in jedem Fall mit den Werten, die die gesellschaftliche Aufgabe von Wirtschaft wie von Politik ausmachen.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Wirtschaftsethik mehr noch als die Ethik anderer gesellschaftlicher Bereiche in diesen Tagen als Widerspruch in sich betrachtet wird: Wirtschaft und Ethik, das bringt in der Öffentlichkeit kaum noch jemand zusammen. Die Krise der Ethik findet ihr Epizentrum in der Krise der Wirtschaftsethik.
Und doch liegt meine Hoffnung für die Ethik inmitten ihrer Krise nicht zuletzt genau hier: in der Wirtschaft. Bevor wir uns jenen Funken der Hoffnung inmitten des Gerölls der Wirtschaft alter Schule zuwenden, gilt es allerdings noch genauer hinzuschauen, wie die Vertreter jener alten Schule unseren Unternehmen täglich Schaden zufügen. Das geschieht nämlich schon weit unterhalb der Ebene des wirtschaftspolitischen Lobbyismus, in Unternehmen aller Art, tagtäglich, in unser aller Umfeld, innerhalb unseres persönlichen Radars. Nur hinschauen müssen wir selbst.
3 Management: Ein Missverständnis
Ein wahrhaft großer Mann wird weder einen Wurm zertreten noch vor dem Kaiser kriechen. (Benjamin Franklin)
Begleiten Sie mich in die Geisterbahn der alten Schule der Unternehmensführung: Willkommen in den ethischen Untiefen des seelenlosen Managements. Willkommen in einer Arbeitswelt, die – unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung – selbst inmitten von Finanzkrisen und Aufruhr an den Märkten noch heute für Millionen von Arbeitnehmern an der Tagesordnung ist.
Low Performers: Die Pockets der Schnarchnasen
Wenn Bruno M., Sachbearbeiter in der Verwaltung eines großen deutschen Industriekonzerns, morgens zur Arbeit geht, könnte er genauso gut direkt in den Park gehen und sich in die Sonne legen – der Effizienzgewinn seiner Firma wäre in etwa der gleiche. Bruno M. trinkt erst einmal einen Kaffee, und plaudert in der Teeküche eine Runde mit der attraktiven Sekretärin. Dann beantwortet er einige aufgelaufene Korrespondenz (von der Vorwoche) mit Rückfragen, ohne auch nur die fraglichen Akten zu konsultieren. Nach seiner Mittagspause telefoniert er ausgiebig mit seiner Frau, bevor er zwei Stunden lang veraltete Vorgänge aussortiert. Schließlich verbringt er die restliche Zeit bis zum Feierabend damit, sein E-Mail-Postfach aufzuräumen, weil die IT-Abteilung wegen knapper Serverkapazitäten alle Angestellten dazu aufgefordert hat. Dann geht Bruno M. nach Hause.
Überspitzt? Vielleicht. Unrealistisch? Keineswegs. Solche Schnarchnasen wie Bruno M. bremsen die Effizienz unserer Wirtschaft auch heute noch in ungeahntem Ausmaß – sie sind ein Fossil jahrzehntealter, grob hierarchischer Unternehmensstrukturen, die in Großkonzernen vielerorts noch immer unverändert an der Tagesordnung sind.
Selbst Krisen und schlechte Auftragslagen können dieser Sorte Mitarbeiter in der Regel nichts anhaben – sie kleben wie angewachsen in ihren Pockets im Schatten der Produktivkraft, weil sie völlig unauffällig bleiben und selten Rechenschaft ablegen müssen. In der Regel halten sie jene Abteilungen besetzt, die selbst die toughste Geschäftsführung gern ignoriert, weil sie Bereiche betrifft, die vermeintlich keinen Effizienzgewinn bringen, sondern dem bloßen bürokratischen Funktionieren von Unternehmen dienen. Eine Self-fulfilling Prophecy: Die Mitarbeiter in diesen Zeitlupen-Pockets setzen schließlich auch alles daran, dass das so bleibt.
Low Performance als Lebensaufgabe
Da die Low Performer bevorzugt СКАЧАТЬ