Wir statt Gier. Gordon Müller-Eschenbach
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Название: Wir statt Gier

Автор: Gordon Müller-Eschenbach

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783847631033

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СКАЧАТЬ ersten Mal in der Geschichte hat die Wertegemeinschaft – im Sinne der Weltgemeinschaft wie auch jeder kleineren, konkreten Werten folgenden Gemeinschaft – die Möglichkeit, sich vorbei an jeder Zensur oder anderweitigen Filterung von Kritik ihrer größten Selbstreinigungskraft zu bedienen: Information und deren grenzenlose Verbreitung. Und es gibt Anlass zur Hoffnung, denn wir machen zunehmend regen Gebrauch von dieser Chance. Mit der Möglichkeit, der gezielten Informationsverbreitung der etablierten Meinungsmacher unabhängige, allein der Aufklärung verpflichtete Informationsströme entgegenzusetzen, wächst auch der Mut, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Damit allein ist die Welt noch nicht gerettet, denn zur Selbstreinigungskraft des Systems ist neben der Information auch die Komponente der Interpretation vonnöten. Zum ersten Mal in der Geschichte jedoch hat jeder vernetzte Mensch der freien Welt von Abu Dhabi bis Zürich die Möglichkeit, diese Interpretation ohne die vorgeschaltete Selektion durch machtorientierte Instanzen selbst vorzunehmen, anstatt sie sich – alten Bildungsmustern entsprechend – durch tendenziöse Auslassungen und Priorisierungen als vermeintliche Information gleich mit andrehen zu lassen. Endlich liegt uns die Art von Information vor, die wahre Aufklärung braucht: diversifizierte Information, die wir selbst empfangen, priorisieren, kombinieren und in ihrer Gesamtheit interpretieren können. Diese Interpretationsfähigkeit zu schulen ist deshalb der vordringliche Auftrag von Bildung – hier und heute. Vor allem aber ist die Beteiligung an diesem Prozess Bürgerpflicht.

       Die ethische Renaissance der Information

      

      Die neue Aufklärung ist bereits in vollem Gange. Inzwischen erreicht uns täglich eine Flut von Meldungen, die den Missbrauch der Deutungshoheit seitens jener zum Gegenstand haben, die qua Definition explizit eben jenen Werten verpflichtet sind, die sie in der Praxis unablässig mit Füßen treten. Noch vor wenigen Jahren wären diese Verstöße gegen die ethischen Verpflichtungen von Macht in den meisten Fällen unentdeckt geblieben. Dank der technischen und sozialen Vernetzung der Wertegemeinschaft finden sie heute immer schneller den Weg an eine immer breiter werdende Öffentlichkeit. Die implizite Warnung der Gemeinschaft an die Zirkel der Macht ist unüberhörbar geworden: Machtmissbrauch bleibt kein Geheimnis mehr. Er wird aufgedeckt, er findet die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, er lässt sich nicht mehr unter den Teppich kehren. Und er wird geahndet: Wer die Werte mit Füßen tritt, für die er steht, muss sich immer öfter an ihnen messen und von der betrogenen Gemeinschaft abstrafen lassen. Die globalen Protestaktionen gegen Banken und Wirtschaftspolitik im Herbst 2011 sind ein Indiz dafür.

      Die Krise der Ethik liegt offen auf dem Tisch. Sie wurde herbeigeführt durch jene Instanzen, die eigentlich ihrem Schutz und ihrer Pflege verpflichtet sind. Die Folgerung liegt nahe, dass die Ethik, wie wir sie kannten, nichts anderes mehr ist als ein Konstrukt der Eliten – bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert von den freiheitlichen, demokratischen und humanistischen Werten, denen sie eigentlich dienen sollte. Es wird höchste Zeit, dass wir als soziale Gemeinschaft im Kleinen wie im großen Ganzen unsere ureigenen Werte aus jenem schadhaften, machtbesetzten Konstrukt von Ethik zurückerobern.

       Die härtesten aller Erfolgsfaktoren

      

      Die Bedeutung von Werten wird besonders in der Wirtschaft aufgrund ihres Interpretationsspielraums gern als weiches Thema abgetan und ist innerhalb ihrer verschiedenen Reibungsflächen in Unternehmen zum Spielplatz für alle möglichen Installationen und Experimente geworden. Im Unternehmenskontext gelten Werte viel zu oft noch immer als Erfolgsfaktor zweiter Klasse. Aus der Unternehmenskommunikation sind sie inzwischen nicht mehr wegzudenken, doch im Kontext von Führung dienen sie meist eher als Feigenblätter denn als definierende Motivatoren: Beinahe jedes Unternehmen hat sich inzwischen ein Leitbild angeklebt, das statistisch ermittelte Kunden- und Mitarbeiterwünsche befriedigen soll. Die Werte, die dort propagiert werden, sind jedoch viel zu häufig dehnbar und unkonkret und entziehen sich der Überprüfbarkeit. Im schlimmsten Fall dienen sie dazu, von Missständen oder gar Machtmissbräuchen in der Unternehmensführung abzulenken. Viel zu selten werden sie tatsächlich gelebt, prägen die Leitgedanken von Management und Führung oder definieren gar bis ins Detail Kernprozesse.

      Womit die „alte Schule“ der Wirtschaft beschrieben wäre: Sie schert sich einen Dreck um das wahre Potenzial von Werten, denn sie hat sich der bequemen Steuerung durch manipulierbare Kennzahlen verschrieben. Sie begeht die gleichen Fehler wie jene Politik, die den Missbrauch der Werte vorlebt. Das liegt in erster Linie daran, dass die Vertreter dieser alten Businessethik der Macht sehr nahestehen. Entweder arbeiten sie unmittelbar in ihrem Sinne und Auftrag, oder sie orientieren sich an deren „elitären“ Methoden.

       Vom Ende der alten Schule

      

      Doch auch in der Wirtschaft sind die ertragreichen Zeiten der Wertemanipulation endlich. Unternehmen, die sich auf so errungenen Erfolgen ausruhen und die Kernaufgaben von Wirtschaft – gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt – vernachlässigen, vergeben damit ihre Chance, an den Märkten der Zukunft zu bestehen oder überhaupt nur anzukommen. Diese Schule der Unternehmensführung, die es offiziell nie gegeben hat und die in der Masse der Unternehmen dennoch bis heute federführend ist, ist dem Untergang geweiht.

      Die erfreuliche Nachricht ist also: Mit dem Ende der Ära der Geheimniskrämer wird auch die alte Schule der machtmissbräuchlichen Unternehmensführung zu Grabe getragen werden. Ihr Untergang geht Hand in Hand mit dem Verlust der Glaubwürdigkeit jener, deren Methoden des Wertemissbrauchs sie folgen. Korruption, Lobbyismus und Egospielchen sind nichts anderes als Symptome eines falschen oder gar eines fehlenden Wertebewusstseins.

      Keinesfalls der Skepsis anheim geben müssen wir dagegen den Kapitalismus und die Marktwirtschaft. Im Nachgang der Finanzkrise wurden besonders hierzulande schnell Stimmen laut, die ein Maximum an Regulierung einforderten. In Amerika stellt man dieser Generalkritik jedoch die Alternativlosigkeit des Kapitalismus und dessen Potenzial auch zu tugendhaften Erneuerung gegenüber: „Wir müssen den modernen Kapitalismus nicht bremsen oder verändern, damit er gut wird“, zitierte das Handelsblatt noch im Verlauf der Krise die Ökonomin, Historikerin und Philosophin Deidre McCloskey aus Chicago.

      Die folgenden Kapitel beleuchten, welchen Schaden die Wertemanipulatoren an der Ethik angerichtet haben und zeigen, wie sich dieser Schaden auf die Gesellschaft im Ganzen, aber auch auf die Zentren der Wirtschaftskraft ausgewirkt haben. Sie decken auf, wie jeder Einzelne von uns unter der Wertearmut der Systeme leidet. Im Zeichen der neuen Aufklärung, die die Vernetzung der Wertegemeinschaft ermöglicht, werde ich Ihnen anhand von Beispielen zeigen, wie wir von der Manipulation unserer Grundwerte beeinflusst werden und unwissentlich an den Spielchen der Macht teilhaben.

      Denn auch diese Erkenntnis gehört zu den Grundbedingungen jeder Erneuerung: Nur wenn wir erkennen, wie wir selbst ein korruptes System unterstützen, können wir damit aufhören. Nur, wenn wir damit aufhören, können wir an der ethischen Erneuerung teilhaben. Nur, wenn wir an ihr teilhaben, können wir weiterhin jene Werte für uns in Anspruch nehmen, die durch vielfältigen Missbrauch akut bedroht sind und die den Kern der freien Wirtschaft und des Unternehmertums bilden: Freiheit, Fortschritt, Selbstverwirklichung. Diese Werte werden sich durchsetzen, und der Wandel ist bereits im Gange. Wer ihn mitgestaltet, genießt alle Erfolgschancen der freien Marktwirtschaft. Wer sich ihm widersetzt, wird scheitern. Mancher Politiker, mancher Kirchenobere, mancher Konzernboss jedoch verhält sich noch immer, als hätte er sich bereits für den Untergang entschieden.

      Die folgenden Kapitel singen das Grablied der alten Schule.

       2 Die Krise der Ethik: Wie die Eliten unsere Werte missbrauchen

       Politik: ein Streit СКАЧАТЬ