Arthur Rett - Aufstieg und Fall eines Helden. Ulrich Muller
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СКАЧАТЬ Rett atmete erleichtert auf, als er hörte, dass sich Steffi von Dominic trennen wollte. Er hatte schon befürchtet, dass demnächst ein kleiner Kickboxerenkel das Licht der Welt erblicken würde. Um den guten Kontakt zu ihrer Tochter nicht zu gefährden, hatten die Eltern nie ein schlechtes Wort über Dominic verloren, obwohl sich Max stets heftig auf die Zunge beißen musste, um mit bissigen Bemerkungen hintanzuhalten, insbesondere, wenn Dominic begann, seine reaktionären Parolen vom Stapel zu lassen. Auch an jenem Morgen hielten sich Max und Margarethe zurück. Das zarte Pflänzchen der Hoffnung, dass diese unselige Beziehung ihr Ende finden sollte, wollten sie nicht durch irgendwelche Kommentare, die vielleicht ein Umdenken auslösen hätten können, gefährden. Steffi war erstaunlich gefasst. Es war, als ob in ihrem Kopf ein Schalter umgelegt worden wäre. Mit einem Schlag war ihr klar, dass sie sieben Jahre ihres Lebens vergeudet hatte. Diesen Irrtum galt es nun zu korrigieren. Auf eine Konfrontation mit Dominic hatte sie keine Lust. Abgesehen davon wollte sie sich einer weiteren für sie inzwischen sinnlosen Debatte mit ihm nicht stellen. Ihr Entschluss stand fest, die Sache war zu Ende. Sie kannte Dominic wohl gut genug und wusste, dass er sich gegen eine Lösung der Beziehung mit allen Mitteln wehren würde. Daher ermächtige sie ihren Vater in einem kurzen Schreiben, ihre Sachen bei Dominic abzuholen.

      Während ihre Eltern sich nun auf den Weg machten, rief sie ihren Cousin Heinrich an, um zu erfahren, wo man Josef besuchen könne. Doch es lief nur das Band. Aber das war eigentlich auch egal, denn selbst, wenn Josefs Kieferverletzung nicht in Heinrichs Fach passte, lag er sicher bei diesem auf der Internen Abteilung. Sie würde ihn daher leicht finden.

      Sie kam gerade noch rechtzeitig. Josef stand in seinem Spitalsnachthemd, das am Rücken weit geöffnet war, vor seinem Kasten und wollte sich gerade anziehen. Kurzzeitig war er irritiert, bis er erkannte, wer ihn da besuchen kam. Jetzt, wo Steffi normale Alltagskleidung trug, gefiel sie ihm noch besser als am Tag davor. Sie war klein und sehr zart und wirkte dennoch selbstbewusst. Ihr Gesicht wurde von einer dichten Mähne blonder Haare umrahmt, und unter den gerade geformten Augenbrauen blickte sie fast streng. Josef ließ sich dadurch nicht beirren und grinste sie mit seiner Zahnlücke an.

      ***

      Es waren nur vier Monate vergangen, da betrat Josef erneut das große Barockhaus. Sein oberes Gebiss zierte nun ein schönes neues Implantat. In der Zwischenzeit hatte er einige Familienmitglieder von Arthur näher kennengelernt. An seiner Seite schritt Steffi die Steinstufen zur Rundbogentüre hinauf. Dass Steffi Dominic verlassen hatte, wurde in der Familie Knie allgemein mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Der Schreck war umso größer, als man erfuhr, wer nun der neue Mann an ihrer Seite war. „Kann sich dieses kleine dumme Ding nicht einen ordentlichen Freund aussuchen?“, hatte Sophie Knie zu ihrer Tochter gesagt, nachdem sie Steffi und Josef in der Stadt einmal zufällig begegnet waren.

      Am Stephanitag nach Weihnachten war es Tradition bei den Knies, dass die Großfamilie zu einem opulenten Festessen zusammentraf. Nur seiner frischen Verliebtheit und der Freundschaft zu Arthur war es zu verdanken, dass Josef sich hatte überreden lassen, dieses Haus erneut zu betreten. Er bereute es aber sofort, als er erfuhr, dass Arthur ohne Entschuldigung dem Fest ferngeblieben war. Genervt ließ er den Smalltalk über sich ergehen. Um sich abzulenken, konzentrierte er sich auf seinen Teller. Allmählich dämmerte es ihm, dass er hier fehl am Platz war. Doch er hatte dazugelernt und verzichtete daher darauf, sich mit launigen Einlagen in Szene zu setzen. Eines musste er zugeben: Bei Knies gab es exzellentes Essen. Bei Erikas Hochzeit war er ja nicht in den Genuss der Köstlichkeiten gekommen. Aber so missmutig Josef auch war, er ließ sich nicht davon abhalten, jede aufgetragene Speise mit seiner kleinen roten Kamera zu fotografieren.

      Es machte ihn etwas nervös, dass er von jedem Gang nur einen kleinen Happen bekam. Gerade wollte er die Haushälterin, die heute gemeinsam mit einem eigens engagierten Kellner servieren musste, in seiner üblichen direkten Art anweisen, ihm einen Nachschlag zu verschaffen, da hatte er schon den nächsten Teller vor der Nase.

      Gespeist wurde in dem großen Salon im Erdgeschoß. Das Klavier war zugeklappt und in das linke, hintere Eck verfrachtet worden. In der Mitte des Raumes waren mehrere Tische zu einer langen Tafel zusammengestellt. Das wertvolle Familiensilber war samt dem Sèvres-Porzellan aufgedeckt. Mitten im dritten Gang kippte dann Aldo Knie vornüber. Mit einem lauten Knall donnerte sein kahler Schädel auf den vor ihm liegenden Teller. Die Scherben des Porzellans zerschnitten ihm das Gesicht und das Wildgulasch spritzte durch die Gegend. Heinrich sprang auf und zog den leblosen Körper seines Onkels auf den Täbris herunter. Die klaffende Wunde auf der Stirn schien kaum zu bluten. Heinrich untersuchte Aldo und begann dann gleich mit Wiederbelebungsversuchen. Dieses Mal dauerte es viele bange Minuten, bis der Notarzt eintraf. Josef hätte gerne Fotos gemacht, aber dass die Lage ernst war, war selbst ihm bewusst, und so blieb die Kamera in der Hosentasche.

      Der Notarzt packte seinen Defibrillator aus, doch Aldos Zustand ließ sich nicht stabilisieren. Mehrmals bäumte sich der leblose Oberkörper durch die Elektroschocks auf, doch das Herz war nicht wieder in Gang zu bringen. Nach dem Eintreffen der Rettung wurde Aldo sofort auf eine Bahre verfrachtet und aus dem Haus getragen. Heinrich verließ mit dem Notarzt das Haus und die betretene Gesellschaft blieb zurück. Erika und Reinhold kümmerten sich um Frau Knie, die weiß wie die Wand auf einem seitlich stehenden Sofa Platz genommen hatte. Nach einigen geflüsterten Worten standen die drei auf und verließen den Raum.

      Im Krankenhaus konnte nur noch Aldos Tod festgestellt werden. Ein Aneurysma in seinem Hirn war gerissen, er hatte spontan das Bewusstsein verloren und war nach wenigen Sekunden durch die starke Blutung verstorben.

      Arthur war zu diesem Zeitpunkt auf seiner ersten großen Tournee unterwegs. Einige Wochen nach der Hochzeit seiner Schwester hatte er in Wien durch Mischa Sisi Braunschweiger kennengelernt. Die aufstrebende Sängerin suchte für ihre neue Band geeignete Musiker und ein guter Schlagzeuger fehlte noch. Arthur und Sisi waren beide besonders attraktive Menschen mit besonderen Eigenschaften; sie waren einander auf den ersten Blick sympathisch. Arthur wurde wenige Tage später zu einer Probe eingeladen und trommelte sich in die Herzen der Bandmitglieder. Mischa wurde als Tontechniker engagiert und kümmerte sich bald auch um organisatorische Belange der Gruppe. Sisi und Arthur verstanden sich prächtig, und Arthur fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben als der wahrgenommen, der er selbst zu sein glaubte.

      Sisi Braunschweiger und Band waren ein Erfolgsgespann. Arthur war zum ersten Mal seit Monaten, vielleicht überhaupt zum ersten Mal in seinem Leben, glücklich. Aufgenommen in der Familie der Bandmitglieder war er befreit von dem Spießrutenlauf, dem er sonst ausgesetzt war. Kein wütender Trafikant, der „Guten Tag Herr ⅎ#☠ blöder ʞ†☹Ȋ!“, auf sich bezog. Keine verwunderte Frau an der Wursttheke im Supermarkt, der vor Angst fast die Gabel aus der Hand fiel, wenn der sympathisch wirkende junge Mann seine Bestellung aufgab: „Bitte eine Semmel mit – #☹ʞ☠ⅎ, Frau, †¿#☠☠#!, aber mit Extrawurst – ☹☠†#ⅎⅎ, blöde ¿ⅎ#☠ⅎ!“

      Nach dem Konzert zog ihn Mischa zur Seite. Arthur sah das besorgte Gesicht seines Freundes, konnte sich allerdings keinen Reim darauf machen. Arthur hatte zwar ein Handy, verwendete es aber die meiste Zeit nicht und hatte es daher auch jetzt auf lautlos gestellt. Josef hatte mehrfach erfolglos versucht, Arthur telefonisch zu erreichen. Um ihm dennoch möglichst rasch die traurige Nachricht zu übermitteln, rief Josef Mischa an. Arthur war bestürzt über Aldos Tod. Sie waren einander zwar nie besonders nahegestanden, doch anders als zu seiner Mutter und seiner Halbschwester hatte er zu Aldo stets ein unbelastetes Verhältnis gehabt. Mischa fasste Arthur bei den Schultern und schilderte, was vorgefallen war. Arthur schluckte hart, als Mischa ausgeredet hatte. Doch seine Augen blieben trocken. Der Rausch des erfolgreichen Konzerts und das Hochgefühl, das er empfunden hatte, während er am Schlagzeug saß, waren mit einem Schlag dahin. Arthur überlegte einen kurzen Augenblick, ob er sich mit dem Auto auf den Weg nach Hause machen sollte, aber er konnte sich nicht entschließen. Zu groß waren die Enttäuschung und СКАЧАТЬ