Название: 3000 Plattenkritiken
Автор: Matthias Wagner
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783741869433
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„Live” (1994)
„Wenn sie mal mein Leben verfilmen“, sagt Meat Loaf, der so heißt, weil er aussieht wie ein aufgepumpter Hackbraten, „dann soll Michael J. Fox mich spielen.“ Solch sarkastischer Umgang mit der eigenen Unattraktivität kommt auch live zum Tragen. Der anfangs in Anzug und Rüschenhemd steckende frischgefönte Klops verwandelt sich im Lauf einer Konzertstunde genüsslich zum schweißtriefenden, sabbernden Glubschaugenmonster, das strähnenhaarig Drohgesten schleudert und in eklem Tète-a-Tète mit einer leichtgeschürzten Sexbombe rummacht. Im Wortsinn saftiger, ekstatischer Rock’n’Roll also, den das reservierte Wembley-Publikum offeriert bekommt. Leider gilt das nur für die Musik, denn optisch gibt sich das Video ausgesprochen bieder. Zoom vor, Zoom zurück, mal eine Pose, die einfriert – Ästhetik der 70er Jahre. Sollte aber nicht verschrecken.
Mucky Pup
„Lemonade” (1994)
Es hat seine Vorteile, wenn das Line-up schneller wechselt als der Drummer die Stöcke: Man nimmt sich nicht so wichtig. Mucky Pup ist identisch mit Chris Milnes, der Rest ist disponible Masse – und hat gar nicht die Zeit, Allüren auszubilden. So strickt Milnes sich seinen halbherzigen, doch knallharten Crossover in Eigenregie zusammen, packt seine Stimme in den metallischen Sound wie in Stahlwolle. Und am Ende, wenn man nach 20-minütiger Leerrille mit nichts mehr rechnet, lässt er die sentimentale rosa Sau raus: eine zuckrige Ballade für alle, die sich tapfer durch Gewitter und Stille kämpften.
Neil Young & Crazy Horse
„Rust never sleeps” (1994)
Die Szenerie: Bühne im Schummerlicht, huschende Gnome in rostbraunen Mönchskutten, glühende Augen. Ein weißgekleideter Jüngling mit schlechter Haltung und Gitarre tritt auf und singt ein Lied von Utopia: „Sugar Mountain“. Später werden ihn die Volldampfrocker von Crazy Horse auf den Boden der (Gitarren-)Realität zurückholen … Ja, Neil Youngs 78er-Konzept brachte die melancholischen Folkattitüden seiner frühen Jahre mit der Schrottästhetik des Punk zusammen. Ein kühner Spagat, der ihm das Bekenntnis „I am a Child“ genauso ermöglichte wie die Vergötterung Johnny Rottens („Hey hey my my“). Das war zweifellos die Initialzündung dafür, was später unter den Labels Noise und Grunge boomen sollte. Gegenüber der Platte „Live Rust“, die das gleiche Konzertereignis repräsentiert, wartet der Film übrigens mit einem zusätzlichen Stück auf: „Welfare Mothers“.
Neil Young & Crazy Horse
„Sleeps with Angels” (1994)
Schon oft bezog Neil Young seine Themen aus Erfahrungen des Todes, und seine besten Alben (wie „Tonight’s the Night“ von 1975) verarbeiteten Schocks. Auch seine neue CD ist so – eine offene Wunde. Unterm Eindruck von Kurt Cobains Tod versammeln die meditativen Songs Szenen von Verlusten – an urbaner Sicherheit, an Liebe und Leben. Skizzen ohne Geschichten, eindringliche, manchmal episch lange Klangzustände im Bluesduktus, welche die Rockurviecher Crazy Horse in eine verhaltene Stille zwingen. Den Vulkanausbruch gestattet Young ihnen nur in „Piece of Crap“ – wofür sie sich dann bei Ian McNabb schadlos halten. Drei Songs nahm der Exsänger von Icycle Works mit Crazy Horse auf, und nun ersäuft der Arme in diesem Sound aus Sägezahngitarren und gepeitschten Drums. Für den Rest der CD übernimmt leider er das Kommando, was dann überwiegend im soßig Seichten endet. Eine CD, deren seltsam extremes Spektrum nicht Stärke verkörpert, sondern Orientierungslosigkeit.
Nick Cave & The Bad Seeds
„Let Love in” (1994)
Liebe ist der Himmel, Liebe ist der Abgrund. Am Anfang fragt er besorgt, aber im Bewusstsein, selbst einen Trumpf im Ärmel zu haben: „Do you love me/like I love you?“. Am Ende spart sich Cave den Vergleich, es regiert die lauthalse panische Verlustangst: „DO YOU LOVE ME?“. Dazwischen liegen acht Songs, in denen der Australier das Thema erschöpfend und bis zur Erschöpfung auslotet. Conway Savages Klavier- und Orgelspiel gibt manchen Songs (wie „Red right Hand“ oder „Do you love me?“) eine bebende Spannung, die man zuletzt vor fast einem Vierteljahrhundert im Doors-Klassiker „Riders on the Storm“ gehört hat. Dazu raunt die Band einen romantisch-morbiden Backgroundchor. „Thirsty Dog“, ein makabrer Gruftcountry, schraubt sich – angespornt von überdrehten Drums und Caves manischem Gesang – hoch in eine Spirale des Irrsinns. Und die Ballade eines Verlassenen, „Ain’t gonna rain anymore“, ist keine tränenreiche, selbstverliebte Klage, sondern Ausdruck einer Lähmung, eines Betäubtseins jenseits von Schmerz und Wut. Caves Metaphorik spielt dabei mit dem eigenen Image genauso wie mit tradierten Popklischees: Bill Withers verglich umfassendes Liebesleid noch mit dem endgültigen Rückzug der Sonne, Cave kehrt das Bild ins Gegenteil – der Regen versiegt für immer. Eine Platte mit mächtigen dunklen Sounds, voll großer Gefühle und Gesten – so intensiv wie eine Stunde im Himmel und eine in der Hölle.
Peter Gabriel
„Secret World live” (1994)
Als Best-of-Sammlung könnte dieser Doppelpack durchgehen, mischte sich nicht zwischen die Stücke das Volk mit störendem Geklatsche. Gabriel ist zweifellos ein kreativer und weltoffener Popkünstler, doch er ist auch sehr langsam. Drum drängt sich der Verdacht auf, dieses Livedoppel sei ein üppiger Lückenbüßer zwischen zwei Studioalben, für die Gabriel gemeinhin eine halbe Dekade braucht. Er hat sich der Sache lustlos entledigt – mit perfekten, doch seelenlosen Arrangements. Musterbeispiel dafür, wie er alle Chancen auslässt, die ein brillantes Ensemble (darunter Manu Katché und Shankar) ihm eigentlich bietet: der elf Minuten lang langweilig plätschernde Rausschmeißer „In your Eyes“.
Pink Floyd
„The Division Bell” (1994)
Zeigt mir eine neue Idee auf dieser Platte, und ich zeige euch einen Lügner – oder ein Opfer totaler Amnesie. Es beginnt mit einem „Crazy Diamonds“-Klon, geht weiter mit einem „Echoes“-Klon und endet irgendwann, nach einem Stückchen „Wall“, mit dem geklonten Akustikgitarrensound aus „Wish you were here“. Der schleppende Schwabbelsound wird wie ehedem von femininem Background-„Ahuuuu“ untermalt, ein „Dark Side …“-Sax kommt zum Zug, und Gilmours Gitarre scheint aus dem eigenen Backkatalog gesampelt. Irgendwo in England sehe ich einen wutbleichen Roger Waters fluchen über die Schamlosigkeit, mit der die Exfreunde eine gemeinsame Vergangenheit als wohlfeilen Steinbruch missbrauchen. Künstlerisch weitgehend wertlos, ist die CD indes – dank des Produzenten Bob Ezrin – klanglich ein Genuss.
Primal Scream
„Give out but don’t give up” (1994)
„Screamadelia“ (1991) gilt als Meilenstein, weil gute Songs im Schmelztiegel von Dance und Rock zum Prototyp künftigen 90er-Rocks verkochten. All die so gewonnenen Fans bügelt Primal Scream jetzt schroff ab: mit einer schockierenden Retroscheibe. Mastermind Bobby Gillespie übersetzte sein Bedürfnis, eine „ernste, fast traurige Platte“ zu schreiben, konsequent in rockhistorische Nostalgie. Lupenreiner R’n’B („Rocks“) steht neben Muscle-Shoals-Funk oder akustischen Schnulzen („Cry myself blind“). Die CD mutet an wie ein verschollenes Mittsi-70er-Album der Stones – mit Lenny Kravitz als Produzenten. „Ich will nicht sagen, dass ich erwachsen geworden bin“, sagt Gillespie, „aber vielleicht … weise?“ Das ist übertrieben. Er schließt einfach eine Lücke, die „Screamadelia“ noch per Spagat ignorierte. Demnächst СКАЧАТЬ