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Timmrol. Wir redeten uns immer mit vollem Namen an.“ „Aber dein Vater lebt nicht mehr, oder?“ „Nein, er starb im Krieg.“ „Dann werde ich dich Timm nennen.“ Timmrin war gereizt. Die Grobheit des Alten passte ihm nicht. Er war vielerlei Grobheit gewöhnt. Respektlos oder herablassend behandelt zu werden war auch alles andre als fremd für ihn. Aber dieser Kerl hatte nicht wirklich einen Grund so mit ihm umzuspringen. „Nun, nennt mich wie Ihr wollt. Darf ich Euren Namen auch erfahren?“ „Skhat heiße ich“, antwortete der Alte knapp. Timmrin fragte nicht weiter nach dem Zunamen. Außerdem glaubte er keinesfalls, dass der Mann Skhat hieß. Dieser Wortlaut konnte bestenfalls eine Abkürzung sein, die wohl für Skhator stehen musste. Der Fremde schien nicht viel über sich preisgeben zu wollen. „Steh auf und zieh deine Sachen an“, Skhat deutete auf den kleinen Tisch in der Ecke des Raumes, wo Timmrins Klamotten lagen. „Ich habe sie heute Nacht trocknen lassen unten in der Stube. Danach wirst du dich zu einem Schneider begeben und dir etwas zweckmäßigere Kleidung besorgen.“ „Zweckmäßig?“, fragte Timmrin. „Ja“, antwortete Skhat. „Du wirst für mich ein paar Dinge in Erfahrung bringen. Ich will nicht, dass du dabei unnötig auffällst.“ „Ich habe kein Geld für Kleidung!“, Timmrin richtete sich im Bett auf. „Auf dem Tisch liegt ein Beutel. Der Inhalt sollte ausreichen, deine Ausgaben zu decken“, der Alte ging rüber zum Fenster und blickte auf die Straße hinaus. Timmrin stand auf, ging zum Tisch und zog seine Sachen an. „Was genau soll ich für Euch tun?“ „Das ist einfach“, Skhat wandte sich zu seinem Gesprächspartner um. „Ich werde dir einen Orden geben: den eines Veteranen, den Silberzahn, ein Tapferkeitsorden! Du wirst ihn tragen.“ „Das…das ist gefährlich…und wird hart bestraft!“, Timmrin gab sich Mühe, über ein solches Angebot schockiert zu wirken. „Wie kommt Ihr überhaupt darauf, dass ich so etwas tun würde – das Gesetz brechen?“ „Welches Gesetz?“ „Was ist das für eine Frage?“ „Das Gesetz, dass den Schwachen unterdrückt und den Starken fett und träge werden lässt?“, der Alte klang wie immer ruhig, beinahe monoton. Timmrin setzte sich aufs Bett, dachte nach. Dann antworte er: „Gesetz ist Gesetz! Warum verlangt Ihr so etwas von mir und was soll ich überhaupt mit diesem Orden?“ „Mit ihm gelangst du in den ersten Bezirk.“ Timmrin wurde hellhörig. Das Reichenviertel, ein Ort, an dem er noch nie gewesen ist, noch jemals zu träumen gewagt hätte, ihn zu betreten, ein Ort, der auf ihn ebenso abstoßend wie faszinierend wirkte. Timmrin hatte sich oft vorgestellt, heimlich hinüber zu schwimmen und die hohe Kaimauer hinaufzuklettern, um hinein zu gelangen. „Was soll ich im Reichenviertel? Und warum wollt Ihr mich zur Straftat anheuern? Ihr begeht einen schwerwiegenden Verstoß in diesem Augenblick!“, Timmrin hatte die Gedanken der Neugierde vertrieben und sich die Risiken wieder vor Augen geführt – Gefängnis in Ersthafen, eine mit dem Tod gleichzusetzende Strafe. „Du bist hier, anstatt einer Arbeit nachzugehen, obgleich du gesund bist. Das ist doch richtig, oder?“, fragte Skhat. „Was hat das denn damit zu tun?“, Timmrin wurde ungeduldig. „Ganz einfach, du hast keine Lebensgrundlage. Wahrscheinlich bist du ohnehin ein Dieb oder ein Halsabschneider oder warum bietest du einem Kerl deine Dienste an, der vor deinen Augen drei Männer niedergestochen hat?“ Die Worte des Alten gaben Timmrin zu denken, aber gleichzeitig erzürnten sie ihn erneut. „Ihr nennt mich einen Halsabschneider? Ich habe gearbeitet wie jeder andere, bevor man mich rausgeworfen hat, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie man einen Jungen misshandelt!“ Timmrin hatte diese Worte sehr laut ausgesprochen, beinahe gebrüllt. Skhat entgegnete kühl: „Aber nun hast du keine Arbeit mehr, keinen Verdienst.“ „Und Ihr glaubt, dass mich das zu einem Verbrecher macht?“, Timmrin wurde noch zorniger ob der Tatsache, wie ihn der Alte einschätzte. Skhat aber blieb gelassen: „Nein, das glaube ich nicht. Auch weiß ich, dass du kein Verbrecher bist. Du bist einfach ein Knabe, der keine Arbeit hat und außerdem wütend darüber, was dieses System ihm Tag für Tag antut.“ „Woher wollt Ihr das wissen?“ „Ich sehe es in deinen Augen. Ich kann deinen Zorn sehen!“ Timmrin schwieg. Der Alte fuhr fort: „Du botst mir deine Dienste an. Ich hatte dich nicht danach gefragt. Wenn du nicht willst, dann sieh zu, dass du hier rauskommst. Behalte das Geld, meinetwegen, aber wage nicht, jemandem von unserer Begegnung zu erzählen.“ Timmrin sah dem Alten in die Augen - Augen die nichts verraten wollten. „Ich weiß nicht, wie man redet, wie man sich verhält im ersten Bezirk. Was soll ich sagen, wenn man mich nach dem Krieg frägt?“ „Das gleiche, was die anderen erzählen“, lautete die Antwort. „Was du davon bereits gehört hast. Oder du sagst, dass du nicht darüber reden willst, nicht darüber reden kannst. Stell dich stumm oder blöd, was weiß ich. Vermutlich wird dich niemand danach fragen.“ „Sehr hilfreich!“, spottete der frisch getaufte Timm und ging rüber zum Tisch um einen Blick in den Beutel mit dem Geld zu werfen. Es waren zahlreiche Fünf- und Zehn- Thamenmünzen, insgesamt etwa 200 Thamen. Skhat schien nichts auf Papiergeld zu geben. „Den Rest kannst du behalten“, erwähnte dieser beiläufig. Selbst wenn Timmrin sich mit stattlicher Kleidung eindeckte, würde ihm knapp die Hälfte bleiben – eine beachtliche Summe. Er dachte nach. Wenn er es einfach tun würde? Mit etwas Glück hätte er etwas Geld und eine Grundlage für die nächsten Tage. Vielleicht würde er wieder Arbeit finden – oder noch besser, die Stadt verlassen. Mit diesem Geld konnte Timmrin sich Vorräte kaufen, gutes Schuhwerk. „Nun, was genau soll ich im ersten Bezirk in Erfahrung bringen?“ „Das ist einfach: Ich will wissen, wo sich Argahl aufhält. Ich will wissen, ob er in der Kaserne wohnt, oder ob er einen Wohnsitz im ersten Bezirk hat.“ „Wieso sollte er denn nicht in der Kaserne wohnen? Er ist der Kommandant!“ „Weil es ihm dort zu unbequem geworden sein könnte.“ „Unbequem?“ „Stell dich nicht dümmer als du bist. Was denkst du halten die Rekruten, die an die Front müssen, von einem Mann, der selbst seit Jahren keinen Fuß in eine Schlacht gesetzt hat? Noch dazu, wenn er ihr Kommandant ist?“ Timm nickte verstehend. „Genau“, fuhr Skhat fort, „sie respektieren ihn nicht. Argahl ist zwar ein Veteran, aber kein Krüppel, wie viele Heimkehrer, nie ernstlich verwundet worden.“ „Und deswegen soll er sich nicht sicher fühlen?“ „Deswegen und weil er nicht alle Leute gleich behandelt, nicht alle Rekruten, nicht alle Väter. Aber das waren genug der Fragen. Geh und kauf dir etwas zum Anziehen. Geize nicht dabei, aber leiste dir auch nichts zu Nobles, Sachen eben, die ein Veteran tragen würde. Wenn jemand nach Wunden fragt: Du brauchst nicht unbedingt welche gehabt zu haben - du bist auf Heimaturlaub. Die Beurlaubung wurde dir als Belohnung erteilt für deine herausragenden Dienste im Feld.“ Der Alte hatte diese Dinge so erzählt, als wären sie wirklich passiert. „Wie lange bin ich beurlaubt?“, fragte Timmrin. „Zwei Monate sind üblich in solchen Fällen, um die „Helden“ ausreichend in der Heimat zu präsentieren.“ „Das wäre alles?“, erkundigte sich Timm. „Nicht ganz. Besorge dir außerdem noch ein Messer für den Notfall. Trage es aber nicht im Stiefel oder übertrieben versteckt. Veteranen dürfen Blankwaffen offen tragen. Mit einer verborgenen Klinge erregst du nur Verdacht.“ Timmrin lief ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen. „Wo genau soll ich in Erfahrung bringen, was Ihr wissen wollt?“ „In den Tavernen, auf der Straße! Fang ein Gespräch an, welches du auf dieses Thema lenkst. Das wirst du ja wohl fertig bringen! Vermeide den Kontakt mit anderen Kriegsheimkehrern. Die werden dir schnell auf den Zahn fühlen.“ „Das hört sich alles sehr leicht an, wenn Ihr es sagt!“, Timmrins Beunruhigung war ihm anzumerken. Der Alte aber verabschiedete ihn ebenso kühl wie schonungslos mit den Worten: „Ich erwarte dich heute Abend hier, nach Sonnenuntergang. Viel Erfolg!“ „Danke!“, verabschiedete sich Timmrin mit ironischem Unterton, „Bis später.“
-4-
Timmrin sah noch einmal an sich herunter, kurz bevor er die Nordbrücke erreichte, deren Zugang bewacht war.
Er hatte sich einen langen, jägergrünen Samtgehrock mit Lederknöpfen und leicht tailliertem Schnitt zugelegt – ein kostspieliges Kleidungsstück. Darunter trug er ein weißes Hemd, unter dessen Kragen er eine breite, dunkelrote Schleife gezogen hatte, deren enden sich im Ausschnitt des Gehrocks aufbauschten. Auf eine Weste hatte er verzichtet und bei der Wahl der Beinkleider auf eine eher schlichte, beige Hose gesetzt. Geschnürte Wildlederstiefel – ein klarer Stilbruch – ragten ihm bis zu den Knien. Sein wirres, fettiges braunes Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden und sich einen schwarzen Hut mit
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