Tarabas. Йозеф Рот
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Название: Tarabas

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750207356

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СКАЧАТЬ dachte Nikolaus im Nu. Man spioniert mich aus. Der alte Grimm gegen den Vater erwachte wieder, der Grimm gegen den Alten, der einen grausam vertrieben hatte, in das grausame New York. Der Vater erhob sich, sein Schlafrock klaffte auseinander, man sah das Bauernhemd und die langen Schläuche der Unterhosen aus Sackleinewand, zusammengebunden über den mächtigen Knöcheln. Mit beiden Händen ergriff der Vater Nikolaus an den Epauletten. »Ich degradiere dich!«, sagte der Alte. Oh, man kannte diese Stimme sehr gut, sie war nicht lauter als gewöhnlich. Nur der Adamsapfel bewegte sich auf und nieder, heftiger als sonst und in den Augen stand der kalte Zorn, Zorn aus blankem Eis. Jetzt geschieht was, dachte Nikolaus, die Angst um seine Epauletten verwirrte ihn. »Laß los!«, schrie er. Im nächsten Augenblick sauste die väterliche Hand gegen seine Wange. Nikolaus wich zurück, indes der Alte den Schlafrock wieder zusammenraffte.

      »Wenn du gesund heimkehrst, heiratest du!«, sagte der Alte. »Und nun geh! Sofort! Verschwinde!«

      Tarabas griff nach Säbel und Mantel und wandte sich zur Tür. Er öffnete sie, zögerte einen Augenblick, kehrte noch einmal um und spuckte aus. Dann schlug er die Tür zu und hastete hinaus. Pferde, Knecht und Wagen erwarteten ihn schon, um ihn zur Bahn zu führen.

      6

      Der Krieg wurde seine Heimat. Der Krieg wurde seine große, blutige Heimat. Von einem Teil der Front zum andern kam er. Er kam in friedliches Gebiet, setzte Dörfer in Brand, ließ die Trümmer kleiner und größerer Städte zurück, klagende Frauen, verwaiste Kinder, geschlagene, aufgehängte und ermordete Männer. Er kehrte um, erlebte die Unrast auf der Flucht vor dem Feind, nahm Rache im letzten Augenblick an vermeintlichen Verrätern, zerstörte Brücken, Straßen, Eisenbahnen, gehorchte und befahl, und alles mit gleicher Lust. Er war der mutigste Offizier in seinem Regiment. Patrouillen führte er mit der Vorsicht und Schlauheit, mit der die nächtlichen Raubtiere auf Beute ausgehn, und mit der zuversichtlichen Kühnheit eines törichten Mannes, der seines Lebens nicht achtet. Mit Pistole und Peitsche trieb er seine zaghaften Bauern zum Sturm, den Mutigen aber gab er ein Beispiel: er lief ihnen voran. In der Kunst, unsichtbar, maskiert durch Pflanze, Baum und Strauch, geborgen von der Nacht oder in den morgendlichen Nebel gehüllt, sich an Drahtverhaue heranzuschleichen, um den Feind zu vernichten, erreichte ihn keiner. Karten brauchte er nicht zu lesen, die Geheimnisse jedes Terrains errieten seine geschärften Sinne. Verhüllte und entfernte Geräusche vernahm sein hurtiges Ohr. Flink ergriff sein wachsames Auge alle verdächtigen Bewegungen. Seine sichere Hand griff zu, schoß und verfehlte kein Ziel, hielt, was sie gefaßt hatte, schlug unerbittlich auf Gesichter und Rücken, ballte sich zur Faust mit grausamen Knöcheln, öffnete sich aber bereitwillig und mit stählerner Zärtlichkeit zu kameradschaftlichem Druck. Tarabas liebte nur seinesgleichen. Er wurde ausgezeichnet und zum Hauptmann befördert. Wer immer in seiner Kompanie Neigung zum Zaudern verriet, geschweige denn Feigheit, war sein Feind, wie der Feind, gegen den die ganze Armee kämpfte. Wer aber, wie Tarabas selbst, das Leben nicht liebte und den Tod nicht scheute, war der Freund seines Herzens. Hunger und Durst, Schmerz und Müdigkeit, durchwanderte Tage und Nächte ohne Schlaf stärkten sein Herz, erfreuten es sogar. Vollkommen außerstande, strategisches Talent zu beweisen und, was man in der Militärsprache »größere Aktionen« nennt, zu begreifen, war er ein außerordentlicher Frontoffizier, ein ausgezeichneter Jäger auf kleinen Jagdabschnitten. Ja, ein Jäger war er, ein wilder Jäger war Nikolaus Tarabas.

      Die schwere Trunkenheit lernte er kennen und die flüchtige Liebe. Vergessen waren Haus, Hof, Vater und Mutter und die Cousine Maria. Als er sich ihrer aller eines Tages erinnerte, war es zu spät, ihnen Nachricht zu geben; denn Tarabas' Heimat war damals vom Feinde besetzt. Wenig bekümmerte ihn dies, der Krieg war seine große, blutige Heimat geworden. Vergessen waren New York und Katharina. Dennoch, in manchen Pausen, zwischen Gefahr und Gefecht, Trunkenheit und Nüchternheit, flüchtigem Rausch und flüchtigem Mord, ward es Tarabas sekundenlang (aber auch nur so lange) klar, daß er seit der Stunde, in der ihm die Zigeunerin auf dem New Yorker Jahrmarkt geweissagt hatte, als ein Verwandelter lebte, ein Verwandelter, ein Verzauberter und wie in einem Traum Befangener. Ach, es war nicht sein Leben mehr! – Zuweilen war es ihm, als sei er gestorben und das Leben, das er jetzt führte, bereits ein Jenseits. Doch verflogen diese Sekunden der Besinnung, und Tarabas versank aufs neue im Rausch des Blutes, das rings um ihn floß und das er fließen ließ, im Geruch der Kadaver, im Dunst der Brände und in seiner Liebe zum Verderben.

      So ging er denn, so ließ er sich kommandieren, von Brand zu Brand, von Mord zu Mord, und nichts Böses widerfuhr ihm. Eine höhere Gewalt hielt Wacht über ihn und bewahrte ihn auf für sein merkwürdiges Leben. Seine Soldaten liebten ihn und fürchteten ihn auch. Seinem Blick gehorchten sie und dem leisesten Wink seiner Hand. Und lehnte sich einer unter ihnen gegen Tarabas' Grausamkeit auf, so hielt fast keiner der anderen zu dem Empörer. Alle liebten sie Tarabas; und alle fürchteten sie ihn.

      Auch Tarabas liebte seine Leute, in seiner Art liebte er seine Leute, weil er ihr Gebieter war. Er sah viele von ihnen sterben. Ihr Tod gefiel ihm. Es gefiel ihm überhaupt, wenn man rings um ihn starb, und wenn er, wie er auch mitten zwischen den Schlachten als einziger im Regiment zu tun gewohnt war, durch den Schützengraben ging, die Namen seiner Leute verlas und die Antwort »gefallen« von den Kameraden hörte, so zeichnete er ein Kreuz in sein Notizbuch. In diesen Augenblicken genoß er manchmal die Vorstellung, er sei ja überhaupt selbst schon tot; alles, was er da erfuhr, geschähe im Jenseits; und die anderen, die Gefallenen, seien so gewiß in ein drittes Leben eingekehrt wie er selbst nunmehr in sein zweites.

      Er wurde niemals verwundet und niemals krank; er bat auch niemals um einen Urlaub. Der einzige war er im Regiment, der keine Post bekam und keine erwartete. Von seinem Haus sprach er niemals. Und dies befestigte die Meinung, die man von ihm hatte, daß er ein gar Sonderbarer sei.

      So verlebte er den Krieg.

      Als die Revolution ausbrach, behielt er seine Kompanie ingrimmig in der Gewalt, mit Gebärden, Fäusten, Blick, Pistole und Stock. Es war nicht seine Sache, zu verstehen, was in der Politik vorging. Es kümmerte ihn nicht, ob der Zar abgesetzt war. In seiner Truppe war er selbst der Zar. Es war ihm nur angenehm, daß seine Vorgesetzten, der Stab, das Armeekommando, verworrene und widerspruchsvolle Befehle auszuteilen begannen. Er brauchte sich nicht um sie zu kümmern. Bald gewann er, weil er der einzige im ganzen Regiment war, den die Revolution nicht verwirrt und nicht verwandelt hatte, mehr Macht als der Oberst selbst. Er kommandierte das Regiment. Und er verlegte es nach seinem Gutdünken dahin und dorthin, führte selbständige Kämpfe, brach in gleichgültige Dörfer und Städtchen ein, frisch und munter wie in den ersten Wochen des Krieges.

      Eines Tages – es war ein Sonntag – tauchte in seinem Regiment ein Soldat auf, den Tarabas noch niemals gesehen hatte. Zum erstenmal, seitdem er eingerückt war, erschrak er gewaltig vor einem ganz gewöhnlichen Infanteristen. Sie lagen in einem winzigen, halbzerschossenen galizischen Dorf. Der Hauptmann Tarabas hatte sich in einer der noch ziemlich gut erhaltenen Hütten einquartiert, die Nacht mit der vierzehnjährigen Tochter der Bäuerin verbracht, am Morgen bei seinem Burschen Kaffee mit Schnaps bestellt. Es war ein sonniger Tag, gegen neun Uhr morgens. In frischgewichsten Stiefeln, in gesäuberten, lederbespannten, breiten Reithosen, ein Reitstöckchen in der Hand, rasiert und mit dem ganzen Wohlgefühl ausgestattet, das einen Mann wie Tarabas nach einer wohlig verbrachten Nacht an einem glänzenden Herbstmorgen erfüllen konnte, verließ der Hauptmann die Hütte und das Mädchen, das im Hemd vor der Tür hockte. Tarabas schlug es mit seiner Reitgerte zärtlich auf die Schulter. Das Mädchen erhob sich. Er fragte, wie es heiße: »Der Herr hat mich schon gestern abend nach meinem Namen gefragt«, sagte das Mädchen, »als ich ins Bett kam.« In ihren winzigen, grünen, tief in die Wangen gebetteten Augen stand ein schelmisches und böses Feuerchen. Tarabas sah ihre junge Brust unter dem Hemd, ein dünnes Kettchen am Hals, dachte an das Kreuz, das Maria getragen hatte, und sagte, indem er ihren Scheitel mit der Reitpeitsche berührte: »Du heißt Maria, von nun ab, solange ich hierbleibe!« »Jawohl, Euer Gnaden!«, sagte das Mädchen. Und pfeifend ging Tarabas von dannen.

      Er СКАЧАТЬ