Название: Kampf dem Karl,
Автор: Bernhard Giersche
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Krebstagebücher von Bernhard Giersche
isbn: 9783742774200
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12. Juli 2017
Gestern habe ich es also tatsächlich nicht geschafft, mein kleines Tagebuch hier fortzusetzen. Seit wir von meiner Erkrankung wissen, nimmt der Stress irgendwie zu. Termine bei Ärzten und Diagnostikern, tausend Sachen die geregelt werden müssen. Sehr viele und lange Gespräche. Wenn hier abends die Ruhe einkehrt, sind wir oft fix und fertig. Aber das ist auch gut so. So bleibt weniger Zeit und Raum zum grübeln.
Ich hatte gehofft, dass ich mich an die neue Situation gewöhnen würde, leider geht das offenbar nicht. Es ist morgens der erste und abends mein letzter Gedanke. „Du hast Krebs, du musst sterben. Ich habe Krebs, ich muss sterben.“ Dieses Gedankenkarussell dreht sich permanent in meinem Kopf. Aber das ist irgendwie auch, als würde man an Bahngleisen wohnen. Irgendwann hört man den Zug nicht mehr.
Und am Donnerstag werden Gisela und ich heiraten. Um elf Uhr fünfzehn schließen wir im Standsamt Lippstadt den Bund fürs Leben. Das ist uns unglaublich wichtig. Es ist für mein Leben ein wichtiges Zeichen, nämlich dass es weitergehen wird. Es wird keine große Feier geben oder so. Nur Gisi und ich, dann verbunden für den Rest unserer Tage. Darauf freuen wir uns wie verrückt.
Am Freitag dann um neun Uhr werde ich meine erste Chemotherapie bekommen. Weil ich körperlich noch recht fit bin, haben die Onkologin und ich mich darauf verständigt, „eine Schüppe draufzulegen“. Das bedeutet, dass die Chemotherapie mehr als nur palliativ dosiert sein wird. Wenn schon, denn schon.
Gestern war auch ein Zeitungsredakteur hier. Unsere lokale Zeitung ist irgendwie auf meine Facebookposts aufmerksam geworden und will jetzt darüber berichten. Soll sogar eine ganze Reihe werden, mein „Krebstagebuch“ sozusagen. Da sind wir sehr gespannt drauf.
Das Methadon schmeckt zwar absolut widerlich, hilft aber unglaublich gut gegen die Schmerzen. Ungefähr so, als würde man eine Zigarette zerkauen. Pfui Deibel. Aber angesichts der Chance, die uns dieses Medikament bietet, kann es schmecken wie es will. So, es gibt auch heute viel zu tun, deswegen belasse ich es heute bei diesem kurzen Text. Ich möchte mich noch einmal für die vielen guten Wünsche und eure Unterstützung bedanken. Das schenkt mir, schenkt uns, Kraft. Und die können wir, weiß Gott, gut gebrauchen.
13. Juli 2017
Heute wird es keinen Bericht geben. Gisela und ich stehen um viertel nach elf vor unserer sehr netten Standesbeamtin und werden uns das Ja-Wort geben. Mein Liebling, ich habe bereits vor einem halben Jahr um Deine Hand angehalten. Und du hast „Ja“ gesagt, aber schmunzelnd hinzugefügt, dass von einem konkreten Zeitpunkt ja nicht die Rede war. Offenbar ist der richtige Zeitpunkt: JETZT!!!
Ich heirate Dich nicht, weil ich diese Krankheit habe, sondern ausschließlich, weil ich Dich liebe. Nur an Deiner Seite kann ich das alles überstehen. Du gibst mir die Kraft und den Mut, durchzuhalten und nicht einfach aufzugeben. Die Welt ist schön, weil Du in ihr lebst. Mein Engel, ich will Dir ein guter Mann sein! Ich liebe Dich aufrichtig und aus vollem Herzen!
14. Juli 2017
Als die Standesbeamtin diesen kurzen Text zu unserer Hochzeit verlas, brach sie selbst in Tränen aus. Die wenigsten Gäste konnten danach die Tränen zurückhalten. Gisela Fischer und ich am wenigsten. Das war auf jeden Fall eine äußerst bewegende Hochzeit. Ich werde das nie vergessen.
Ein Versprechen
Ich will wachen, wenn du müde bist.
Ich will erinnern, wenn du vergisst.
Ich will schweigen, wenn du Recht hast.
Ich will sprechen, wenn du irrst.
Ich will vorangehen, wenn du zögerst.
Ich will stark sein, wenn du strauchelst.
Ich will dir deinen Freiraum lassen, wenn du alleine sein willst.
Ich werde aber immer da sein, wenn du mich brauchst.
(Christa Alden)
15. Juli 2017
Seit heute läuft in unserer Tageszeitung eine Serie über unseren Kampf gegen des tödlichen Krebs. Hier ein Hinweis zum einleitenden Artikel des Chefredakteurs Dominik Friedrich, der einen brillanten Text erarbeitet hat. Ich finde das Engagement der Zeitung großartig, denn mitten in der Super-Sonne-Urlaubsstimmung so ein Thema zu bringen ist einfach auch mutig und couragiert. Vielleicht lesen ja auch Ärzte mit. Ärzte aus dem katholischen Krankenhaus, die eine Gastritis diagnostizierten und Ärzte aus dem evangelischen Krankenhaus, die mir erst das Methadon und dann die Chemotherapie verwehrten, als sie erfuhren, dass eine ihrer Kolleginnen mir wider alle Anweisung das Mittel verordnet hatte. Dieser Ärztin verdanke ich meine Hoffnung, vielleicht sogar mein Leben.
16. Juli 2017
Krebs ist ein feiger Hund. Dachte ich früher an Krebskranke Menschen, sah ich vor dem inneren Auge gelbliche Menschen mit eingefallenen Wangen und glasigem Blick. Menschen die sehr dünn waren, fahrig und wegen der Chemotherapie alle Haare verloren hatten. Menschen, die voller Schmerzen waren und denen die körperliche Qual tiefe Falten in das Gesicht geprägt hatten. Die zu schwach zum Sitzen waren. Die nur noch leise sprachen und sich verschlucken. Menschen, die hoffnungslos ins Leere blickten, darauf wartend, nein, hoffend, dass sie endlich erlöst werden. Die in abgedunkelten Zimmern schliefen. In dem es nach Desinfektionsmitteln roch.
Jetzt bin ich einer von ihnen. Ein an absolut tödlichem Krebs erkrankter Mann von neunundvierzig Jahren. Überall in meinem Körper wuchern entartete Zellen, befallen meine Organe, meine Knochen. Ich blicke auf meinen Bauch und sehe nicht, was unter der Hautschicht abgeht. Sechs Zentimeter groß sei der Tumor auf der Bauchspeicheldrüse. Die auf der Leber bis zu vier Zentimeter. Im Gallengang tummelt sich das Hauptkarzinom und streut fleißig ins Bauchfell und die Lymphsysteme. Davon kann man allerdings nichts sehen. Ich esse, wie ich immer gegessen habe, laufe, stehe und wurstle herum. Habe meine Haare noch und dank des Methadons kaum Schmerzen. Ich habe etwas Probleme mit dem Wasserlassen, aber das ist für Männer in meinem Alter nichts Besonderes. Kreislauf und Blutdruck sind in Ordnung und sogar meine Leberwerte sind klasse. Ich lache, weine und bewege mich wie früher.
Früher? Damit ist die Zeit von vor drei Wochen gemeint. Als ich Karl, das Karzinom schon längst als Untermieter hatte. Hätte ich die Oberbauchschmerzen nicht gehabt und wäre ich damit nicht zum Arzt gegangen, dann wüsste ich bis heute nicht, dass ich rein medizinisch gesehen schon lange ein toter Mann bin. Verdammt, man merkt es mir nicht an. Selbst die Ärzte schauen fragend auf mich und meine Agilität. Nicht einmal humpeln tue ich mehr. Das Methadon hat mir auch diese Schmerzen genommen. Hin und СКАЧАТЬ