Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit. Katja Kerschgens
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Название: Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit

Автор: Katja Kerschgens

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847611097

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СКАЧАТЬ Rauschen in Nadines Kopf schwoll an.

      »Sorry«, murmelte sie in Richtung Micha, der mit einem Auge sein eigenes Manuskript, mit dem anderen auf seinem Monitor die auf- und abschwellenden Digitalsäulen fixierte.

      »Wir müssen da insgesamt saugut durchkommen, dein Verlag und der Buchverlag hängen mir im Nacken«, Micha schaute sie kurz an, dann blickte er wieder auf seine Anzeigen, »und wir haben hier einen Topspeaker sitzen, der macht das alles nicht zum Spaß.«

      Nadine wollte zu einer Antwort ansetzen, aber endlich griff ein Teil der professionellen Routine der letzten Jahre. Sie suchte sich die richtige Stelle im Manuskript. Dass ihr das Herz aus den Ohren herausschlug, ihr Magen heiß lief und ihre Hände Eisklötze waren, war neu, aber sonst.

      »Kommen Sie da raus, sofort!«

      Ihr Atem flog.

      »Wer sind Sie? Was haben Sie hier zu suchen?«

      Die Buchstaben auf dem Manuskript flatterten wild durcheinander.

      »Seien Sie lieber vorsichtig, ich bin bewaffnet.«

      Ihr gesamter Körper kribbelte.

      »Wie sind Sie hier hereingekommen?«

      Nadine fragte sich, wie sie hier wieder herauskommen sollte. An konzentriertes Arbeiten war überhaupt nicht zu denken. Schlagartig wurde ihr bewusst, in was sie da hineingeraten war: Von jetzt auf gleich hatte sie ein absolut hochrangiges Projekt übernommen. Vor ihr lag das Manuskript eines weltweiten Topsellers. Dieses Buch wurde genauso sehnsüchtig auf dem Markt erwartet wie die ungekürzte Hörbuchfassung. Höchste Aufmerksamkeit garantiert.

      Und sie saß da und hatte nur einen Gedanken.

      Diese Stimme.

      Sie war fassungslos darüber, wo es einem Menschen überall heiß werden konnte.

      »Pardon, sicher haben Sie es auch gerade gemerkt, Herr Noack«, Micha klang regelrecht unterwürfig, »da hatten Sie im letzten Abschnitt eine Inquit-Formel übersprungen.«

      »Ja, das stimmt. Ich handhabe das absichtlich an manchen Stellen so, damit die Dialoge flüssiger klingen.«

      »Aha. Ja, also gut, wie Sie meinen.«

      Micha bewegte die Computermaus, drückte Knöpfe. Ohne seine Sitznachbarin anzusehen, nörgelte er: »Ich mache übrigens gerade deinen Job hier.«

      Nadine hatte überhaupt nicht gemerkt, dass der Sprecher ein »sagte er« übersprungen hatte. Der gesprochene Text hatte ohne dieses Füllsel tatsächlich besser gewirkt.

      »Ja. Äh. Ich bin jetzt ganz da«, stammelte sie.

      »Na hoffentlich.«

      Die nächsten Seiten flogen vorbei. Nadine war berauscht. Entrückt. Erregt.

      Sie hatte schon so viele ausgefallene, warme, voluminöse, ergreifende, rauchige oder knarzende Stimmen gehört. Und nie, wirklich nie hatten die Sprecher so ausgesehen, wie sie sich den Menschen hinter dieser Stimme vorgestellt hatte.

      Das war nicht schlimm. So war das halt.

      Aber hier wäre das schlimm.

      Das hier war eine unglaublich attraktive, aufregend männliche, im wahrsten Sinne atemberaubende Stimme. Es konnte kein Gesicht geben, das dazu passte. Das wäre zu viel des Guten. Und jedes andere Gesicht wäre eine Katastrophe.

      Ihre Gefühlswallungen mischten sich mit ihrem Gedankenkarussell vom Vortag. In ihrer Welt war alles gut, schlechte Erfahrungen waren ihr fremd. Und so sollte es auch bleiben, fertig. Sie konnte sich die Illusion doch nicht einfach so zerstören lassen. Ihr Entschluss fiel unwiderruflich von der einen auf die andere Sekunde: Sie wollte diesen Menschen niemals zu Gesicht bekommen.

      Niemals.

      »So, kleine Pause, Herr Noack. Ich mache Ihnen die Kabinentür auf, damit Sie sich die Beine vertreten können«, sagte Micha und nahm seinen Kopfhörer ab.

      Nadine riss sich ihr eigenes Headset herunter und schnappte sich das Manuskript. Sie sprang auf.

      »Bin gleich wieder da.«

      Sie stürzte regelrecht aus dem Raum voller Racks und Blinklampen. Sie musste nach draußen an die frische Luft. Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt für eine Zigarette. Wenn sie nur rauchen würde. Loriot sah sie sofort, als sie in den Empfangsbereich kam. Freudig sprang er an ihr hoch. Aber da fiel ihr ein, dass Micha und der Sprecher ihr hier oder vor der Tür begegnen könnten. Nein, das ging gar nicht. Außerdem hatte sie Dringenderes zu tun, als sich abzukühlen, auch wenn ihr die Hitze noch im Gesicht stand.

      »Sorry, Schätzchen, jetzt kein Gassi, Frauchen muss lesen.«

      Sie sah sich um und entdeckte eine offen stehende Tür, dahinter ein herrenloses Büro. Bestens. Sie huschte hinein, zog die Tür hinter sich zu, setzte sich an den Schreibtisch. Schnell blätterte sie im Manuskript bis zu der Stelle, die zuletzt gelesen worden war. Sie scannte die nächsten Seiten im Schnelldurchgang. Sie musste das Buch perfekt drauf haben für die Produktion. Sie wusste, dass der Sprecher gut vorbereitet war und sich im Vorfeld schon intensiv mit dem Text auseinandergesetzt hatte, dass er längst Anmerkungen und Notizen für die einzelnen Protagonisten und seine Interpretation der verschiedenen Stimmlagen gemacht hatte. Alles Typen, die Nadine noch nicht kannte und von denen sie noch kein Bild hatte.

      Auf dem Flur hörte sie ihn sagen: »Frische Luft ist eine gute Idee.«

      Micha versuchte in seiner schnoddrigen Art einen Scherz zu machen, »Zigarette ist für Sie wahrscheinlich sowas Ähnliches wie Schokolade für Magermodels, was?«, scheiterte aber an seiner Unterwürfigkeit. Er hatte sicher schon bessere Witze gemacht, auch wenn Nadine noch keinen gehört hatte. Die Herren verließen offenbar das Gebäude, rasch sammelte sie sich für die Zeilen vor ihr.

      Sie konnte schnell lesen, aber für diesen dicken Schinken und das bisschen Zeit nicht schnell genug. Nach einer Weile - viel zu kurz, aber immerhin - waren wieder die Stimmen und Schritte der Männer zu hören.

      Dann rief Micha vom anderen Ende des Flurs: »Nadine, wo bist du? Herr Noack und ich warten!«

      Nadine packte den Papierstoß, stolperte aus dem Büro und auf die Studiotür zu. Micha saß bereits an seinem Platz, als sie ankam, die Tür zur Sprecherkabine war verschlossen.

      Perfekt.

      Erleichtert aufseufzend ließ sie sich auf ihrem Stuhl nieder.

      »Herr Noack«, sagte sie in das Mikro ihres Kopfhörers, den sie sich in einer fließenden Bewegung aufgesetzt hatte, »gleich beim nächsten Kapitel: Wie wollen Sie den Widersacher sprechen?«

      »Warten Sie«, in ihrem Kopfhörer hörte sie Blätterrascheln, »ah, hier. Den hatte ich mir mit einer verschlagenen Stimme vorgestellt. Wie jemand, der immer so ein bisschen aus angehobenen Schultern heraus spricht, einen Hauch zischend, spitz.«

      Er machte es vor. Und Nadine hatte sofort den perfekten Unhold vor Augen, eine hinterlistige Type, der besser nicht zu trauen und die brandgefährlich werden konnte. Sie scrollte im Geist die Geschichte weiter durch, die sie bis jetzt gelesen hatte, СКАЧАТЬ