Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit. Katja Kerschgens
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Название: Hilfe, ich hatte eine glückliche Kindheit

Автор: Katja Kerschgens

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847611097

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СКАЧАТЬ machte sie mit großen Augen. Sie mochte tief in ihre eigene missglückte Welt vergraben sein, aber es gab sie dann doch, diese lichten Momente. Da war ihre Freundschaft plötzlich weniger einseitig.

      Ausgerechnet jetzt.

      »Weißt du, wie das für mich klingt?«, fragte sie mit einem Blick, als wolle sie eine zu kleine Schrift entziffern.

      »Nein.«

      »Es soll ja Leute geben, die vor der Ehe keinen Sex haben wollen. Die sparen sich für den großen Moment auf«, Sarah zeigte mit dem Finger auf Nadine, »ist es sowas vielleicht?«

      »Quatsch.«

      Ihre Freundin machte eine wegwerfende Geste.

      »Ist auch besser so. Diese Sexaufsparerei ist totaler Unsinn, das endet meist in der großen Enttäuschung, ich sag´s dir.«

      »Diese Enttäuschung will ich mir halt grundsätzlich ersparen.«

      Sarah nippte an ihrem Glas. Nachdenklich schleckte sie mit der Zungenspitze einen Tropfen von der Oberlippe.

      »Verstehe ich nicht.«

      »Überleg doch mal. Stell dir nur mal vor, er ist vielleicht so ein Hutzelmännchen«, Nadine schüttelte sich, »so ein kleiner Typ mit krummen Beinen und ein paar letzten dünnen Haaren, die er über seine Glatze gekämmt hat.«

      Sarah riss theatralisch die Augen auf und rief: »Vielleicht hat er ja einen Buckel!«

      Die beiden Frauen fingen an zu kichern, als hätten sie schon den dritten harten Drink hinter sich. Die Damen am Nachbartisch schauten herüber, als wollten sie einen abhaben.

      »Stimmt, das wäre eine Schande. Es wäre so, als risse jemand so ein pokemsches Dorf ein.«

      »Po-tem-kin-sches Dorf«, verbesserte Nadine.

      »Ich würde das nicht durchhalten, echt jetzt.«

      »Klar, du bist Enttäuschungen ja auch gewohnt.«

      Ein Gesprächsvakuum entstand, das an die Schmerzgrenze ging. Es war keine lange Pause, aber eine sehr tiefe. Nadine hörte den Nachhall ihrer eigenen Worte.

      Oha.

      »Was genau«, Sarah sprach ihre Worte so ruhig, dass Nadine genau wusste: Sarah war alles andere als ruhig in diesem Moment, »willst du damit sagen?«

      »Ich. Also. Weißt du ...«

      »Ich höre.«

      Nadine suchte nach einem Erdloch, starrte aber nur auf den verkratzten, leicht verschmutzten Linoleumboden. Oder war es Laminat? Industrieparkett? Wie hielt so ein Boden überhaupt den Belastungen durch die hin und herlaufenden Kellner und Gäste stand? Machten Stöckelschuhe eigentlich grundsätzlich mehr Dellen als ...

      Sie blickte auf. Keine Chance. Ihr Gegenüber wartete auf ihre Antwort.

      »Ich habe das nicht so gemeint«, gab sie sich reumütig.

      Sarahs Frage war stecknadelspitz: »Wie dann?«

      »Ach, weißt du, ich kann mit Enttäuschungen eben schwer umgehen.«

      »Mir fällt das dagegen ganz leicht? Das ist mir jetzt aber neu.«

      Sarahs Tonfall war betont unbetont. Wollte Nadine eine Freundin loswerden, war das hier gerade eine günstige Gelegenheit. Zum handfesten Streit fehlte nur noch ein falscher Atemzug. Sie schluckte. Eigentlich waren ihre Treffen doch immer recht nett. Sie lachten viel zusammen. Meistens. Wenn es nicht um Sarahs Probleme ging. Also fast meistens. Manchmal.

      »Im Gegensatz zu dir habe ich eben einiges an Glück gehabt. Und das will ich nicht aufs Spiel setzen. Ich meine«, Nadine war plötzlich überzeugt, dass das einfach mal gesagt werden musste, »das Leben hat dich ganz anders auf solche Dinge vorbereitet. Ich habe Angst, dass meine heile Welt einen Riss bekommt.«

      So. Jetzt war es raus.

      »Deine Sorgen will ich haben«, Sarah atmete schnell und tief ein und stieß die Luft in einem Stoß durch die Nase aus, »denn meine Welt hat ja schon genügend Risse, so dass es auf den einen oder anderen nicht ankommt. So in der Art?«

      Nadine nickte vorsichtig. Sie rechnete damit, dass Sarah jetzt auf den Tisch schlug oder empört aufsprang oder sie beschimpfte oder ...

      »Da hast du irgendwie Recht.«

      »Habe ich?«, fragte Nadine leise.

      »Du und deine goldene Hülle. Du verkriechst dich in deine Bücher, hast dich um nichts zu kümmern, hast einen tollen Job, einen total süßen Hund und kannst machen, was du willst. Meilenweit weg von der Wirklichkeit um dich herum.«

      Nadine hatte das Gefühl, zu einer winzigen flauschigen Kugel zusammenzuschrumpfen.

      »So ähnlich.«

      Beinahe wäre ihr noch eine Entschuldigung hinterhergerutscht. Konnte das sein, dass sie sich jetzt schlecht fühlte, weil ihr Leben ein kleines bisschen über der Norm all der Enttäuschten und Gedemütigten verlief? So gesehen fühlte sich ihr Leben falsch an, da gab es nichts dran zu rütteln. Verquere Welt.

      Sarah warf sich in die Rückenlehne ihres Bistrostuhles. Das Plastik gab ein ächzendes Geräusch von sich.

      »Du hast echt Sorgen.«

      »Sagen wir es mal so: Ich habe eben andere Sorgen als die Mehrheit.«

      Ihre Freundin machte übergangslos ein nachdenkliches Gesicht.

      »Am meisten wundert mich, dass der Typ da mitspielt. Ich meine, die Situation muss dem doch völlig absurd vorkommen.«

      Nadine zog die Augenbrauen zusammen. Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, aber Mr. Stimme, wie sie ihn für sich nannte, war mit ihrem ungewöhnlichen Wunsch umgegangen, als sei es das Normalste dieser Welt.

      »Vielleicht machen das andere Produktionsleiter auch so«, mutmaßte sie.

      »Oder er ist so hässlich, dass er froh ist, niemandem unter die Augen zu kommen«, setzte ihre Freundin dagegen.

      Nadine prustete leise auf, die Blicke der beiden Freundinnen trafen sich, Sarah gab ein Geräusch unterdrückten Lachens von sich, wieder traf sich ihr Blick und dann platzten sie unisono laut heraus. Ihr schallendes Gelächter ließ die Gespräche im Raum für einen Moment verstummen, Köpfe drehten sich zu ihnen um. Einige der anderen Gäste mussten schmunzeln.

      Auf der Liste der Treffen, bei denen sie gemeinsam lachten, bekam dieses hier drei goldene Sterne.

      4

      »Die Frau hatte ein schmales rotes Kostüm an. Sie trug lange Fingernägel und hohe Absätze. Ihr teures Parfum und die offenen Haare brachten ihn auf den Gedanken, dass sie mehr wollte als nur ein paar Informationen. Er fragte: >Möchten Sie einen Drink?< Ihr roter Mund glänzte. Sie nahm den Bourbon entgegen. Ihre Finger berührten sich ein paar Sekunden länger СКАЧАТЬ