Название: Die Kinder der Bosheit
Автор: Ralph Ardnassak
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847606864
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Sie waren gezwungen, alles zu transportieren, was ihnen gerade angeboten wurde.
Alle an Bord befindlichen Personen und damit auch der Schiffseigner, hatten beim Ein- und beim Ausladen der zu transportierenden Güter mit Hand an zu legen. Auch für die Ferstners hieß es beispielsweise dann, Säcke zu schleppen und zu stapeln.
Während er Ruhezeit wurde hingegen das Schiff gesäubert. Ordnung galt als das halbe Leben. Jedes Gerät war an seinem festen Platz zu verwahren, damit es im Notfall sofort zur Hand war.
Jede Unordnung, jede Stolperfalle auf dem Schiff, barg Gefahr für Leib und Leben der Mannschaft.
Wann immer Zeit war, mussten unterwegs kleinere Reparaturen ausgeführt werden. Hierzu zählte vor allem die Vornahme eines neuen Anstriches, denn der Anstrich eines Flusskahnes galt als das Spiegelbild des jeweiligen Schiffseigners.
V
Allgemeine Strom – Polizeiverordnung für die Schifffahrt auf der Elbe
§ 7: Die Besatzung jedes Schiffes in Fahrt muss einschließlich des Führers mindestens betragen: Bei einer Tragfähigkeit des Schiffes von 10 bis 125 t 2 schifffahrtskundige Männer, über 250 t 3 schifffahrtskundige Männer, von denen stets einer am Steuer bleiben muss und die übrigen für den Schiffsdienst bereit sein müssen.
§ 13: Während der Fahrt muss auf jedem Schiff in der Vorderkaffe ein zum Werfen klarer Anker von solcher Stärke, dass das Schiff mit demselben gestellt werden kann, und auf Schiffen von 100 t und mehr Tragfähigkeit daselbst noch ein zweiter solcher Anker bereit liegen. Zudem ist auf jedem frei oder geschleppt zu Tal fahrendem Schiff von 100 t und mehr Tragfähigkeit ein gleicher Anker in der Hinterkaffe stets bereit zu halten. Auf den Schleppzügen zu Berg fahrenden Schiffen dürfen die Anker nicht über Bord hängen, müssen aber jederzeit zum sofortigen Gebrauch bereit liegen.
§ 42: Wenn nicht sehr niedriges oder schnell fließendes Wasser, plötzlich eintretender Eisgang oder stark widriger Wind es hindern, muss die Fahrgeschwindigkeit der Schleppzüge innerhalb der Strecken Hamburg bis Magdeburg durchschnittlich mindestens 4 km/h und von Magdeburg bis Schandau durchschnittlich mindestens 3,5 km/h betragen.
§ 46: Im Schleppzug steht der Oberbefehl dem Führer des schleppendes Dampfschiffes zu; alle im Schleppzug befindlichen Schiffe und Leute haben seinen Anordnungen unweigerlich Folge zu leisten. Er kann widersetzliche Schiffer aus dem Verband weisen.
Rohes Elbwasser darf weder zum Kochen und Trinken, noch zum Reinigen von Ess- und Kochgeschirren verwendet werden. Der Führer des Fahrzeuges hat dafür zu sorgen, dass in einem ausreichend großen Behälter stets Trinkwasser bereit steht.
(Quelle: Dr. Erich Vogel: Geschichte und Geschichten unserer Heimatstadt Nienburg. Folge Nienburg, eine Schifferstadt, Teil I. Nienburg 2007, S. 15)
VI
Noch im Jahre 1930 wurde in Klein Piesicke der Schifferklub „Einigkeit“ gegründet, der vor allem den jüngeren Schiffern des Ortes Geselligkeit bieten will. Otto Ferstner und Ehefrau Marga, die Eltern The Ferstners, traten dem Schifferklub bei, vor allem der Schifferbälle wegen, zu denen nur die Mitglieder geladen wurden.
Am 31. Mai 1933 kam es gegen 9:00 Uhr zum sogenannten Kalkrutsch am Strom bei Klein Piesicke.
Schlammmassen, die vom Ufer her in den Strom gerutscht waren, versperrten den Strom und damit die Schifffahrt auf mehrere hundert Monate. Es dauerte bis zum 29. September 1933, um ein neues Bett im Strom zu schaffen und die Schifffahrt wieder aufnehmen zu können.
Otto Ferstner begann, sich nach einer neuen Betätigung umzusehen, die möglichst unabhängig von den Witterungseinflüssen sein sollte.
Er wurde erst im Jahre 1935 fündig, als in Klein Piesicke zu der ehemaligen Malzfabrik eine Sauganlage für Getreide errichtet wurde.
Otto Ferstner gab die Flussschifffahrt auf und wurde Getreidehändler. Bereits seit etwa 1820 florierte der Getreidehandel in Klein Piesicke. So berichtet die Chronik im herzoglichen Justizamt von Klein Piesicke, dass der dort tätige Aktuarius Hagedorn durch seine Nebeneinkünfte aus dem Getreidehandel derartig viel verdient habe, dass ihm der Erwerb eines nahe gelegenen Rittergutes möglich geworden sei.
Neben der Schifffahrt wurde der Getreidehandel eine der wichtigsten Einnahmequellen von Klein Piesicke.
Die Malzfabrik und die Getreidesauganlage dienten während des gesamten Zweiten Weltkrieges als Verpflegungslager der deutschen Wehrmacht.
Im Jahre 1938 kam schließlich noch der gewaltige Kornspeicher hinzu, welchen die Hamburger Getreidefirma Hoppe und Lucke unmittelbar am Strom errichten ließ. Getreide konnte seither von dort aus per Schiff oder per Bahn verladen werden.
So war aus der Schifferfamilie Ferstner eine Familie von Getreidehändlern geworden. Gerade noch rechtzeitig, ehe schließlich im Jahre 1960 das große und endgültige Sterben der Flussschlepper in Klein Piesicke einsetzte.
Als sich nach dem verlorenen Kriege unter der Regie der sowjetischen Besatzer über 6.300 ländliche Genossenschaften aller Art in der Sowjetischen Besatzungszone, zu der auch Klein Piesicke gehörte, zu Bäuerlichen Handelsgenossenschaften (BHGs) zusammenschlossen, war Otto Ferstner in leitender Funktion auf Bezirksebene dabei. Aus dem einstigen Getreidehändler war ein landwirtschaftlicher Funktionär geworden.
Die beiden Söhne, Theo und Bernd, geboren 1946 und 1948, sollten es einmal noch besser haben.
Theo war Berufsschullehrer geworden und unterrichtete als leidenschaftlicher Fußballer Sport. Man sah ihn meist im Trainingsanzug, mit der silbrig glänzenden Trillerpfeife um den Hals. Nur Bernd schien nicht recht zu geraten. Ein Studium des Maschinenbaus in Magdeburg hatte er abbrechen müssen. Die Lehre als Optiker konnte er auch nicht erfolgreich beenden. Noch einmal musste Vater Otto seine alten Verbindungen reaktivieren, um den Sohn Bernd als Schlosserlehrling im nahen Zementwerk unterzubringen. Auch diese Lehre verlief nicht ohne Schwierigkeiten, da Bernd dem Alkohol sehr zugeneigt war, mehrfach bei Diebstählen von Material erwischt wurde und als Raufbold galt. Nur mit Mühe und Dank zahlreicher väterlicher Hilfen in Gestalt von Kaffee und Westzigaretten, verteilt an seine Lehrmeister, schaffte er den Abschluss seiner Schlosserlehre.
VII
Lange Zeit galt Klein Piesicke als friedlicher, ja verschlafener Ort im äußersten Südosten der Mark Brandenburg, dort, wie sie bereits in die Niederlausitz übergeht.
Eine Chronik aus dem Jahre 1860 beschreibt Klein Piesicke als Sitz der Herzoglichen Kreisgerichtscommission, eines Rentenamtes, eines Herzoglichen Schlosses mit besonders schön angelegtem Park nach englischem Vorbild, einer Herzoglichen Försterei mit einem Reviere von insgesamt 120 Morgen Laub- und vor allem Föhrenholz, 2 Kirchen, 2 Schulen mit 4 Lehrern und mehreren größeren Stein-, Holz-, Ketten- und Schifferbrücken, die über den Strom hinweg führten.
Die prächtigsten Gebäude von Klein Piesicke waren das Herzogliche Schloss und die mit ihm baulich verbundene Schlosskirche.
Beide thronen auf dem hohen linken Ufer des Stromes und eröffnen von hier aus den Blick über die weiten umliegenden fruchtbaren СКАЧАТЬ