Название: Spiel des Zufalls
Автор: Joseph Conrad
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750247857
isbn:
›Immer schon, Wachtmeister‹, sagte der große Lümmel gefühlvoll. Das andere zerbrechliche Wesen schien stumm zu sein, es humpelte dahin und schleifte den Rand seines Soldatenrocks über das Pflaster.
›Na ja, das kennt man‹, sagte der Polizist. ›Also vorwärts, marsch ... Er macht's so, weil er zu feig ist für die andere Art‹, vertraute er mir an. ›Es fehlt ihm die nötige Schneid dazu. Aber ich werde die zwei doch nicht aus dem Auge verlieren, bis sie zum Tore draußen sind. Der kleine Kerl da ist ein Teufel. Schneid hätte er zu allem, aber am Schmalz fehlt's halt. Na, na! Sie haben wirklich Glück gehabt, daß Sie mit heiler Haut und allen Ihren Sachen hereingekommen sind!‹
Ich war etwas ungläubig. Es schien undenkbar, daß nach so viel Hast und Schererei meinem glücklichen Anfang eine solche Gefahr gedroht haben sollte.
Ich fragte: ›Geschieht so was öfter, so nahe vor den Docktoren?‹
›Oft? Nein! Natürlich nicht oft! Es kommt eben auch nicht sehr oft vor, daß ein Mann um diese Nachtzeit mit einer Kutsche voll Koffer angefahren kommt, um sich einzuschiffen. Ich bin seit dreizehn Jahren bei der Hafenpolizei und habe es noch nie erlebt.‹
Unterdessen folgten wir meinem Schiffskoffer durch eine schmale, dunkle Gasse zwischen zwei hohen Lagerschuppen hinunter. Der ehrliche Ted und sein kleiner verteufelter Freund, der nur im Trab mit ihm Schritt halten konnte, trugen ihn zwischen sich. Die Flügel seines Waffenrocks flogen hinter dem Kleinen her, so dicht über dem Pflaster, daß es aussah, als führe er auf Rollschuhen. An der Ecke der düsteren Gasse, dicht neben einem gußeisernen Lampenpfosten, ragte ein aufgetakelter Klüverbaum mit Stampfstag, der in einem Pfeilerkopf endete, in die Nacht hinaus. Wir waren am Kai. Die beiden setzten ihren Koffer unter der Lampe nieder, und Ted erkundigte sich mit heiserer Stimme: ›Wo ist Ihr Schiff, Gov'nor?‹
Ich wußte es nicht. Den Schutzmann interessierte meine Unwissenheit.
›Wissen nicht, wo Ihr Schiff ist?‹ fragte er neugierig. ›Und Sie sind der Zweite Offizier? Waren Sie denn noch nicht an Bord?‹
Es hatte wenig Sinn, ihm zu erklären, daß das einzige, was mich mit dem Schiffe verband, ein Werk des Zufalls war. Ich sagte ihm kurz, daß ich das Schiff überhaupt nicht kannte. Darauf meinte er: ›Das seh' ich wohl! Hier ist es, gerade vor Ihnen! Das hier ist's!‹
Sofort flößte die Takelage in der Gasbeleuchtung mir Interesse und Achtung ein. Die Spieren waren fest, die Taue und Ketten stark, und das Ganze machte einen kraftvollen, vertrauenerweckenden Eindruck. Nur ganz schwach vom Licht gestreift, stieg der Schiffsbug über den Kaistufen empor. Alle anderen Teile bildeten einen formlosen Klumpen in der Dunkelheit. Hier stand ich Auge in Auge vor meinem ersten Schritt ins Leben. Wir gingen alle zusammen ein paar Schritte auf dem schmierigen Pflaster weiter, zwischen den Wänden des Schiffes und dem hochaufragenden Warenschuppen, wobei ich mir mein Schienbein elend an dem Landungssteg anstieß. Der Polizist rief das Schiff halblaut in tiefem Baß an: › Ferndale, ahoi!‹
Ein schwacher, trauriger Ton, wie ein Ächzen, kam als Antwort vom Schanzkleid.
Ich konnte undeutlich gegen die Reling ein unregelmäßiges, rundes Etwas unterscheiden, wie ein Stück Holz etwa. Es bewegte sich nicht im geringsten, aber als ein nochmaliges heiseres Seufzen, wie das noch schwächere Echo jener ersten kümmerlichen Laute diesem dunklen Gegenstand entströmte, kam ich zu dem Schluß, daß es der Kopf des Schiffsliegers sein müßte. Der Schutzmann rief in scherzhaft übertriebenem Dienstton:
›Zweiter Offizier kommt an Bord! Rühren Sie sich gefälligst!‹
Die Richtigkeit der Bemerkung fuhr mir in den Magen. Dort, wissen Sie, ist für mich der wahre Sitz der menschlichen Gefühlsempfindung. Denn es dämmerte mir nun, daß ich für diesen Konstabel ganz einfach der Zweite Offizier eines Schiffs war, wie jeder andere. Ich war gerührt durch den unzweifelhaften Beweis meiner neuen Würde. Nur sein Tonfall beleidigte mich. Trotzdem gab ich ihm das Trinkgeld, das er erwartet hatte. Daraufhin verlor er jegliches humorvolle oder sonstige Interesse an mir und entfernte sich; vor sich her trieb er den ehrlichen Ted, der brummte wie ein hungriger Menschenfresser, sowie den unheimlichen, stummen, kleinen Kerl im Soldatenrock, der von Anfang bis zuletzt keinen Ton von sich gegeben hatte.
Es war sehr dunkel auf dem Achterdeck der Ferndale, zwischen dem hohen Schanzkleid, im tiefen Schatten des Vorderschotts und der hohen Schuppen längsseits. Ich ließ mich nächst der Achterluke schwer auf meine Kiste fallen, als seien mir die Beine unter dem Leib weggezogen worden. Plötzlich war ich sehr müde und gleichgültig. Der Schiffslieger, den ich kaum unterscheiden konnte, hing über das Gangspill gebeugt, in einem Anfall schwachen, kläglichen Hustens. Zwischendurch röchelte er kaum hörbar: ›Oje, oje‹, und schnappte so lange nach Luft, daß ich ängstlich und beunruhigt aufstand.
›So hat's mich jetzt schon seit zwölf Monaten, von letztem Weihnachten an, gepackt. Das heißt nichts!‹
Er schien mir mindestens hundert Jahre alt. Richtig gesehen habe ich ihn nie, denn er war schon an Land gegangen, als ich am nächsten Morgen an Deck kam; aber er hinterließ mir den Eindruck des schwächsten Wesens, das je gelebt hat. Seine Stimme war dünn, wie das Summen einer Schnake. Da es roh gewesen wäre, von einem so elenden Geschöpf irgendwelche Hilfe zu verlangen, so machte ich mich selbst an die Arbeit und schleppte meine Kiste einen pechschwarzen Gang unter dem Hüttendeck entlang, während er um mich herum seufzte und stöhnte, als seien meine Anstrengungen mehr, als er mitansehen könnte. Als ich endlich recht wuchtig gegen die Schotten gerannt war, mahnte er mich in seinem schwachen, atemlosen Flüstern, vorsichtiger zu sein.
›Was ist denn los?‹ versetzte ich ziemlich unfreundlich, nicht sehr entzückt davon, von einem so verkommenen Nachtgespenst zurechtgewiesen zu werden.
›Nichts, gar nichts, Herr‹, wandte er so hastig ein, daß er sein bißchen Atem sofort wieder verlor und mir nun wieder leid tat. ›Nur daß der Kapitän und seine Gnädige an Bord schlafen. Sie ist eine Dame, die nicht gestört werden darf. Sie kamen um halb neun Uhr, und wir hatten Erlaubnis, in der Kajüte bis zehn Uhr nachts Licht zu brennen.‹
Dies schien mir eine nicht unwichtige Neuigkeit zu sein. Ich war nie auf einem Schiff gewesen, auf dem der Kapitän seine Frau mit sich hatte. Ich hatte öfters sagen hören, daß Kapitänsfrauen viel Unfrieden an Bord stiften können, wenn sie sich eine Abneigung gegen irgend jemand in den Kopf setzen, besonders die neubackenen Frauen, wenn sie jung und schön sind. Die alten und erfahrenen Frauen dagegen bildeten sich ein, mehr vom Schiff zu verstehen als der Kapitän selbst, und verfolgten mit Falkenaugen jeden Vorgang. Sie waren wie ein zweiter Obermaat von besonders scharfer und unnachsichtiger Gemütsart, der dann jeden Abend seinen Bericht erstattete.
Die besten Frauen waren immer noch hinderlich. Allgemein wird angenommen, daß ein Kapitän mit seiner Frau an Bord viel schwerer zu befriedigen ist; ob aber aus dem Grunde, um seine Macht vor einem bewundernden Weibe zur Schau bringen zu können, oder aus liebender Fürsorge um ihr Wohl, oder einfach aus Gereiztheit über ihre Anwesenheit, das hat mir niemand, mit dem ich darüber sprach, genau sagen können.
Nachdem ich alle meine Sachen untergebracht hatte, rieb ich ein Streichholz an und tat einen raschen Blick auf meine Koje, dann warf ich mein Bettzeug auf das Lager, nahm mir aber nicht die Mühe, es auszubreiten. СКАЧАТЬ