Название: Demokratie macht Spaß!
Автор: Winfried Brinkmeier
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783847616979
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Wie wichtig dies Thema für die Geschichte der Bundesrepublik war und auch noch immer ist, wird daran deutlich, dass noch heute um die Beschäftigung von solchen Tätern gerungen und kontrovers diskutiert wird. Die Nazi-Zeit ist für uns alle noch längst nicht vorbei. Diese schreckliche Zeit kann nicht einfach abgehakt werden nach dem Motto: Jetzt ist genug Zeit vergangen, nun soll endlich der Schwamm des Vergessens über diese schrecklichen Geschichten gezogen werden. Ob wir wollen oder nicht: Wir müssen uns mit unserer Vergangenheit immer wieder auseinandersetzen. Weil während der Nazizeit durch Deutsche die schrecklichsten Verbrechen geschahen, die unendlich viel Leid über andere und uns gebracht haben. Unsere Altvorderen haben uns ein schreckliches Erbe hinterlassen, dem wir nicht entfliehen können.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie die schrecklichen Geschehnisse der Nazizeit mit den Morden an Juden, Zigeunern, Geisteskranken und anderen von den Nazis gehasste Gruppen wie den Kommunisten und den Sozialdemokraten verdrängt wurden. Überall wurde verdrängt. So natürlich auch in den Bundesministerien. Alexander und Margarete Mitscherlich haben dies in ihrem äußerst verdienstvollen Buch “Die Unfähigkeit zu trauern“ gut beschrieben. Wenn im Kollegenkreise einmal das Gespräch auf das Dritte Reich kam - das war selten genug, denn das Thema wurde nicht geschätzt -, dann pflegten ältere Kollegen, auch solche mit akademischer Ausbildung, sofort darauf hinzuweisen: „Wir haben von alledem nichts gewusst“. Dies war der Standardsatz der deutschen Nachkriegsgeschichte. Diese Antwort des Verdrängens und Vergessens war damals hochgeschätzt. Jeder hätte Hitler’s „Mein Kampf“ lesen können, in dem seine Gedanken für seine Herrschaft schon vorgezeichnet waren. Jeder hätte sich fragen können, wo denn die Juden geblieben waren, die in ihrer Nachbarschaft plötzlich aus den Wohnungen verschwunden waren, weil sie in Konzentrationslager gebracht und in die Gasöfen getrieben wurden. Das alles und viel mehr wollten die Menschen nicht wissen. Ihre Devise war: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Da konnten sie hinterher gut reden: „Wir haben von alledem nichts gewusst“. Weil sie nichts wissen wollten. Wer nicht besonders blöde oder borniert war, der wusste Vieles und ahnte noch mehr.
Wenn es zu kritisch wurde bei Unterhaltungen und Diskussionen von älteren mit jüngeren KollegInnen (ich war damals im Bundesarbeitsministerium in einer stark überalterten Abteilung; dort saßen vereinzelt Kollegen schon seit 30, 35 Jahren auf ihrem selben Dienstposten; entsprechend einseitig waren ihre geistigen Kapazitäten ausgebildet), haben ältere Kollegen auf eine kritische Frage oder eine kritische Antwort entgegnet: „Sie wären ein guter Nazi gewesen“. Damals waren wir Jüngeren empört über diese Dreistigkeit. Heute wissen wir sie einzuschätzen als hilflose Verzweiflung; man hatte keine Argumente mehr und musste deswegen die Notbremse ziehen. Dies war kein Wunder: Diese Kollegen waren in der Regel eifrige BILD-Zeitungs-Leser und damit keine besonders scharfsinnigen Intellektuellen, die auch in Bundesministerien und –behörden eher seltener anzufinden sind. Jedenfalls wurde dort wie überall versucht, die Zeit des Dritten Reiches auf Deubel komm raus zu verdrängen.
Der Vater eines Freundes, der im Dritten Reich die Nazis unterstützt und eine bescheidene Karriere bei der Kriminalpolizei gemacht hatte, sagte mir einmal in jungen Jahren, er habe nach dem Krieg den Eindruck gehabt, er sei der einzige Nazi gewesen. Das traf die Situation punktgenau. Ich habe den Mann deswegen geschätzt, weil er mir ruhig und sachlich erklärt hat, warum er bei den Nazis mitgemacht hat, ohne in die störrische Rechthaberei zu verfallen, die manchen Alten eigen ist. Bei aller notwendigen und richtigen Kritik im Nachhinein vergisst man oftmals, dass diejenigen die die Nazis unterstützt haben, Menschen, oftmals junge Menschen mit ihren eigenen Hoffnungen, Sehnsüchten, Erwartungen und Wünschen und natürlich oftmals jugendlichem Ehrgeiz waren. Es waren viele Idealisten darunter. Sie wurden allerdings von den Nazis schändlich missbraucht.
„Die Amnesie ist eine deutsche Krankheit, man könnte auch sagen, eine deutsche Kunst: gezieltes Vergessen zum eigenen Vorteil“, schrieb dazu Ernst Piper im Berliner Tagesspiegel (Ausgabe vom 13. Mai 2013).
Der Artikel in der taz beschäftigte sich mit einem Symposium in Berlin, das sich jüngst mit der Erforschung der NS-Geschichte bundesdeutscher Ministerien befasst hatte. Dabei kommt dem Bundesjustizministerium eine zentrale Rolle zu. Weil es nicht nur die Verfolgung von NS-Tätern beeinflusste, sondern der Ort war, an dem die Republik zum Rechtsstaat geformt wurde. Eine Studie „Die Rosenburg“ (früherer Sitz des Bundesjustizministeriums in Bonn) versuchte eine Bestandsaufnahme. Danach waren Ende der 1950er Jahre 48 Prozent aller Beamten des Justizministeriums NS-belastet, bei den Abteilungsleitern waren es sogar 60 Prozent. So kam es, dass der Jurist Eduard Dreher, 1943 als Staatsanwalt in Innsbruck an Todesurteilen wegen Bagatelldelikten beteiligt, nach dem Krieg Karriere im Bundesministerium der Justiz machte. Er wurde Ministerialdirigent. 1968 schrieb Dreher in ein damaliges Ordnungswidrigkeiten-Gesetz einen Paragrafen, der einen großen Teil von NS-Tätern künftig vor der Justiz schützte. Danach konnten Planer des Holocaust (der Ermordung der Juden) nicht mehr für Mord, sondern nur noch für Mordversuch angeklagt werden. Dies war 1960 verjährt. Der Bundestag verabschiedete das Gesetz, ohne den darin aufgeführten Passus zu bemerken.
Mit seiner Nazi-Geschichte hat sich in den letzten Jahren intensiv das Auswärtige Amt (AA) befasst. Dass dies geschah, ist das große Verdienst des Politikers der Grünen und deutschen Außenministers von 1998 bis 2005, Joschka Fischer. Der hatte am 11. Juli 2005 eine unabhängige Historikerkommission mit hochqualifizierten international renommierten Wissenschaftlern eingesetzt, um die Geschichte des Auswärtigen Amtes und des Auswärtigen Dienstes in der Nazi-Zeit sowie in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Anlass dazu waren der Nachruf--Erlass und die Nachruf-Affäre. Die Kommission veröffentlichte ihre Ergebnisse am 21. Oktober 2010 als Buch (mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich) unter dem Titel: „Das Amt und die Vergangenheit“.
Joschka Fischer verfügte als Chef des Auswärtigen Amtes im Jahre 2003, dass frühere NSDAP-Mitglieder künftig keinen ehrenden Nachruf mehr in der Mitarbeiterzeitung des AA erhalten. Dies führte zu öffentlichen Protesten von MitarbeiterInnen des Auswärtigen Dienstes, die noch im aktiven Berufsverhältnis standen, sowie von pensionierten Diplomaten. Es war der bisher erste öffentliche Protest von aktiven und pensionierten Diplomaten des Auswärtigen Dienstes; die Wogen kochten also hoch. Man muss dazu wissen, dass gerade Diplomaten von Berufs wegen mit öffentlichen Protesten sehr zurückhaltend sind. Daraufhin kündigte Joschka Fischer die genannte Historikerkommission an. Sie sollte die personelle Kontinuität nach 1945 und den Umgang des Auswärtigen Amtes mit der eigenen Vergangenheit auf wissenschaftlichen СКАЧАТЬ