Название: FANG MICH DOCH!
Автор: BAUMANN
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783742745743
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Doch Tausende von Akten der Staatssicherheit bezeugen nach dem Zerfall der DDR, dass in den Sportkasernen eisenhart trainiert, aber auch systematisch gedopt wurde. Anabolika, Testosteron und Wachstumshormone wurden massenhaft als so genannte unterstützende Mittel bereits an Kinder und Jugendliche verabreicht. Mehr als 10’000 Leistungssportler hat die DDR zum Doping verurteilt. Streng nach Plan.(9)
Alle Kinder wurden zuerst zielbewusst gesichtet, vermessen und auf Leistungstauglichkeit getestet. Wer den Vorgaben entsprach, wurde den verschiedenen Drillanstalten zugeteilt. Die Vorbereitung begann bereits im Kindergartenalter. Die geeigneten Talente wurden ohne ihr Wissen Schritt für Schritt in das listige und hinterhältige Dopingsystem eingeführt. Alles wurde dem geheimen Staatsplan 14.25 untergeordnet, einer Doktrin aus staatlichen Vorgaben zum Aufbau eines umfassenden Systems des organisierten Dopings. Das Konzept 14.25 sah vor, Forschung in Bezug auf Doping, aber eben auch ein flächendeckendes Dopingsystem in der DDR aufzubauen und sehr effizient und äußerst aggressiv umzusetzen. Die Vorgänge im damaligen Ostdeutschland waren im Grunde genommen nichts anderes als ein groß angelegter Menschenversuch, der über zweihundertmal olympisches Gold brachte. Wichtigster Bestandteil war die Optimierung durch männliche Sexualhormone – auch bei Minderjährigen. Die involvierten Ärzte machten gesunde Menschen krank.(10)
Noch heute kommen immer wieder neue Perversionen ans Tageslicht. Da gibt die Geschichte einer jugendlichen Eiskunstläuferin, die nach umfassenden Eignungstests gezwungen wurde, zum Eisschnelllaufen zu wechseln. Damit sie sich danach Schema entfalten konnte und wettbewerbsfähig blieb, musste sie innerhalb kürzester Zeit über dreißig Kilo zunehmen. Oder jener Skandal einer blutjungen Turnerin, die während ihrer Zeit als Sportlerin vorerst künstlich klein gehalten wurde und nach ihrer Karriere mit derart ungeheuerlichen Ladungen mit Wachstumshormonen therapiert wurde, dass sie innerhalb eines Jahres um mehr als zehn Zentimeter wuchs. Es gibt Tausende solcher Geschichten aus der DDR-Sportförderung. Einige Athleten sind an den Folgen dieses medizinischen Größenwahns gestorben.(11) Andere leiden unter mentalen Problemen wie Psychosen, Depressionen oder erkranken an Bulimie und Magersucht. Viele Frauen leiden unter schweren gynäkologischen Schäden wie unter anderem durch Fehlgeburten, verkrüppelten Eileitern oder Gebärmutterbeschwerden und erlitten Fehlgeburten. Es gibt Tumore und beinahe alle Athleten sind an Schädigungen am Bewegungsapparat erkrankt.(12)
So auch Dagmar Kersten: „Auch jetzt mehr als fünfundzwanzig Jahre nach dem Ende meiner Karriere habe ich natürlich jeden Tag Schmerzen. Vor allem die Gelenke tun weh und ich kann kaum durchschlafen.“(13) Zu einem Arzt zu gehen kommt jedoch für die Mutter von zwei Kindern in keinem Fall infrage. Die negativen Erfahrungen von damals machen sie den Halbgöttern in Weiß gegenüber skeptisch.
Im Jahre 1988, ein Jahr vor der Wende, hatte Dagmar Kersten genug vom Spitzensport. Sie war müde und hatte es satt, sich weiter zu quälen. Sie wollte aufhören und gab ihren Rücktritt bekannt. Doch das Regime war gegen diesen Entscheid und wollte, dass die Turnerin weitermachte. Sie war zu gut, um einfach so Schluss zu machen. Der Leistungsauftrag stand im Vordergrund. Kersten wehrt sich und drohte dem stellvertretenden Staatschef Egon Krenz schriftlich, dass sie auspacken und erzählen würde, wie es in den Sportkasernen zu- und hergeht, wie Trainer, Ärzte und Funktionäre mit Doping und Drill vorgehen. Erst da gab man klein bei und erlaubte Dagmar Kersten, offiziell Schluss zu machen: „Nachdem das alles vorbei war, ist eine riesige Last von mir gefallen. Ich fühlte mich wie befreit und endlich durfte ich wieder essen, was ich wollte, nachdem ich mit achtzehn ein Sollgewicht von 43 Kilogramm halten musste.“(14) Die junge Frau durfte sich endlich unabhängig bewegen und machen und tun, was sie wollte.(14)
Die Gesamtverantwortung für das systematische Doping der DDR trug Manfred Ewald. Bis 1988 zog er über viele Jahre als Chef des Turn- und Sportbundes sowie als Präsident des Nationalen Olympischen Komitee die Fäden und bestimmte mit, wie der Sport in Ostdeutschland zu funktionieren hat. Ewald war das „DDR Sportwunder“ zu verdanken und deshalb galt er in seiner Zeit als ideologisches und omnipräsentes Sprachrohr. Er stand immer an vorderster Front und umgab sich regelmäßig mit den Stars der Leistungsspitze. Und wenn einmal der Erfolg ausblieb, geschah es häufig, dass er die fehlbaren Sportler aufs Übelste beschimpfte. Ihm zur Seite stand der Chefmediziner Manfred Höppner. Er war für die Umsetzung der wissenschaftlichen Methoden zuständig und zudem für die Menschenversuche mit Dopingmitteln verantwortlich. Im Gegensatz zu Ewald war Höppner während seiner aktiven Zeit ein Phantom. Man kannte weder sein Gesicht noch seinen Namen und er trat nie in der Öffentlichkeit auf. Erst viel später, während den Gerichtsverhandlungen, wurde seine Person bedeutungsvoll. Erst dann kam aus, dass Höppner unter dem Dach des Sportmedizinischen Dienstes Präparate an Verbandsärzte übermittelte. Von dort aus wurden die unterstützenden Mittel an Sektionsärzte und schließlich an die Trainer übergeben. Die Sektionsärzte bestimmten die Dosierung für den jeweiligen Sportler oder die jeweilige Sportlerin.
Im Jahre 2000 wurden sowohl Ewald als auch Höppner zu Bewährungsstrafen von zweiundzwanzig beziehungsweise achtzehn Monaten verurteilt. Der Vorwurf: Beihilfe zur Körperverletzung.(15) Wenn man bedenkt, was die beiden Spitzenfunktionäre vielen Kindern und Jugendlichen angetan haben, sind sie mit den diesen Strafen beachtlich gut weggekommen. Es gab Beteiligte, die noch milder bestraft wurden. Einige Dopingärzte kamen mit Geldstrafen davon. Bei anderen wurden die Verfahren wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Ihre Zulassung als Sportärzte haben die Mediziner jedoch nie verloren. Das Dopingwissen der DDR Doktoren war weltweit begehrt und sie bekamen gute Jobs in internationalen Sportsystemen. Noch heute arbeiten viele von damals mit jungen und hoffnungsvollen Sportlern zusammen.
Doch standen alle, von Ewald über Höppner bis hin zu Ärzten, Funktionären und Trainern, unter dem Eid des Sekretärs der Abteilung Sport im Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Und auch die beteiligten Einrichtungen standen angesichts des befohlenen Staatsplans Gewehr bei Fuß. Neben dem Forschungsinstitut für Körperkultur und dem Sportmedizinischen Dienst vervollständigten die Chemiefirmen Jenapharm und das Arzneimittelwerk Dresden als Hersteller der verwendeten Präparate das System. Hauptsächlich wurden in beiden Unternehmen Anabolika, Androstendion und Mestanolon hergestellt. Die Substanzen wurden exklusiv als Leistungsförderung für den Sport hergestellt und hatten nie einen medizinischen Zweck.(16)
Die detaillierten Aufklärungen der Machenschaften der DDR nützen dem Gewichtsheber und einst stärksten Mann der Welt Gerd Bonk nichts mehr. Die letzten Jahre seines Lebens war er apathisch und an den Rollstuhl gebunden – gezeichnet von den Dopingmitteln, die er im Laufe seiner Sportkarriere zu sich nahm, nein, gezwungen war zu nehmen. Gerd Bonk bekam 12000 Milligramm Anabolika pro Jahr – so viel wie kein anderer DDR Athlet.(17)
Doping, Training, Zwang und sicherlich viele Tränen. Niemand bekam von all dem etwas mit, weder Eltern noch Freunde. Leistungssport war aber nicht nur in der DDR eine geschlossene Gesellschaft.(18)
Der Herkules
Geschmeidig wie ein leichtfüßiger Fußballer tippt er die Kugel mit dem rechten Fuß an, bückt sich leicht nach vorne und ergreift mit seiner magnesiumbeschmierten Hand flink das rund acht Kilogramm schwere Ding. Scheinbar entschlossen schreitet er nun in Richtung Stoßring. Werner Günthör pustet kräftig durch und dabei scheint es, als wolle er den Wirbel, der in letzten Wochen um seine Person entstanden ist, einfach so wegblasen. Es ist sein letzter Versuch. Er dreht sich ab, die Kugel weit in den Himmel gestemmt und begibt sich in Position, um seinen Wurf so weit möglich ins Olympiastadion von Barcelona zu katapultieren.
Werner СКАЧАТЬ