Название: Entfremdung und Heimkehr
Автор: Werner Boesen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783741843419
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Eltern, die fremde Kinder zu sich nehmen, vollbringen eine Leistung für die Gesellschaft. Im Falle der Annahme behinderter Kinder ist diese Leistung immens. Kinder zu erziehen, bedeutet die Auseinandersetzung mit kindlichen und elterlichen Problemstellungen, die aus der Individualität des einzelnen resultieren.
„Die einzigen Menschen, die keine Probleme haben, liegen auf den Friedhöfen“
(Robbins 1992 s. 45).
Versuchen wir deshalb gemeinsam, uns der Herausforderung zu stellen, unschuldigen Kindern zur Familie zu verhelfen und sie nicht hinter kalte Mauern (Kinderheime) abzuschieben. Auch behinderte Kinder haben ein Recht auf eine Familie. Es gibt keine familienunfähigen Kinder, wie manch ein Bürokrat artikuliert.
Gebt Kinder nur dann in fremde Hände, wenn beide Elternteile verstorben sind oder sich die leiblichen Eltern nicht um ihre Kinder kümmern wollen oder sie gar misshandeln. Kinder bereichern die Gemeinschaft. Was wäre eine Welt ohne Kinder?
1. Wie eine Wiedergeburt …
So könnte man meinen, nachdem wir unsere Mutter nach vielen Jahren der Trennung wiedergesehen hatten. Was war geschehen?
1.1. … das Wiedersehen nach langer Trennung
In jungen Jahren wurden wir, Peter, Günter, Doris und ich, von unserer Mutter getrennt und in Kinderheime eingewiesen. Später kamen noch zwei weitere Geschwisterkinder hinzu.
Die folgenden Ausführungen stellen einen Kurzbeitrag dar, der die wesentlichen Kindheitserlebnisse von mir und meinen Geschwistern in geschlossenen Einrichtungen beinhaltet. Die aufgezeigten Phänomene sind sehr ausführlich und im wissenschaftlichen Kontext beschrieben in meinem Erstlingswerk: „Kinder in geschlossenen Einrichtungen. Gefühls- und geschlechtslose Wesen“ (1990):
In den 1960iger Jahren verbrachten wir über sechs Jahre in Kinderheimen, sog. geschlossenen Einrichtungen mit staatlichem Erziehungsauftrag unter katholischer Trägerschaft. Meine Geschwister waren etwa zwei bis sechs Jahre in geschlossenen Einrichtungen untergebracht. Drei Erzieher und zwei Praktikanten kümmerten sich im Wechsel um eine Masse von Kindern. Es mussten ca. 30 Kinder und mehr gewesen sein. Aufgewachsen bin ich mit den genannten Geschwistern, die das gleiche Schicksal erlitten: sie wurden von ihrer geliebten Mutter gerissen und erlebten – zum größten Teil getrennt – wechselnde Heime, wobei die ersten Jahre des Heimaufenthalts bei uns allen in Form menschlicher Züchtigung und menschlichen Terrors erlebt wurden. Kaum vorstellbar, dass so etwas in unserem Lande, der BRD, passiert. Doch wer konnte sich die Judenvernichtung im 3.Reich vorstellen?
Obwohl heute die Öffentlichkeit scheinbar einiges mehr erfährt über das, was in geschlossenen Einrichtungen passiert, sind immer noch zu viele Kinder in deutschen Heimen. Seit längerem möchten mehr Eltern Kinder aus den Heimen holen, als Kinder in Heimen vorhanden sind. Weshalb müssen Kinder in Heime und wie erleben sie in jungen Kinderjahren die Heimeinweisung und den Heimaufenthalt?
1.2. Die Erlebniswelt von Kindern in geschlossenen Einrichtungen
ZWANGSGEWALT
Die Heimeinweisung bedeutet für Kleinkinder, deren Eltern noch leben, eine Zwangsmaßnahme. Die Kinder gehen nicht freiwillig ins Heim, sondern möchten aufgrund ihrer natürlichen Nachahmungsbestrebungen bei ihren Eltern bleiben, selbst oft sogar wenn die Eltern ihre Kinder misshandeln. Von Misshandlung konnte in unserem Falle nicht gesprochen werden. Dafür hatte unsere alleinerziehende Mutter wechselnde Männerbekanntschaften und konnte für kein „geordnetes“ Familienleben sorgen. Als dann nach dem ersten Kind noch weitere Kinder geboren wurden, nahm das Jugendamt der Mutter die Kinder weg; vorab bekam sie das Sorgerecht entzogen.
OHNMACHT
Zum ersten Mal in unserem noch jungen Menschenleben verspürten wir bei der Heimeinweisung das Gefühl der Ohnmacht. Unser Wille zählte nicht mehr. Mit uns wurde gemacht, wie andere es wollten. Die anderen, das waren Sozialarbeiter, Erzieher und Nonnen, jene Mitmenschen von uns, die scheinbar nur Gutes vollbringen und sich ebenso scheinbar über herzzerreißendes Kindergeschrei und Gestrampel hinwegsetzen können. Hatten sie keine Gefühle mehr? Doch was nutzten Gefühle? Sie hatten ihre Pflicht zu erfüllen und da wurde nicht mehr gefragt, wie dies zu geschehen hat. Hauptsache es geschah, denn der Zweck heiligt die Mittel.
HEIMTERROR
Der Heimalltag orientierte sich an einer alten Mönchsregel:
„Bete und arbeite“.
Sobald die Kinder in die Schule kamen, mussten sie bei allen anfallenden Haushaltsarbeiten im Kinderheim mitarbeiten. Durchgesetzt wurde dies von den Erziehern nach dem
Prinzip „Befehl und Gehorsam“
und dem
Motto: „Und bist Du nicht willig, so brauch ich Gewalt“.
Wenn ein Heimkind nicht gehorchte, wurde es geprügelt und zwar solange, bis es gehorchte. Die Erzieher bedienten sich des Faustrechts und ihnen schien jedes Mittel recht zu sein. Die Heimkinder konnten sich vor lauter Angst niemandem anvertrauen. Es hatte zudem keinen Zweck. Wer es einmal von den Heimkindern wagte, sich seinen Eltern anzuvertrauen und die Eltern den Heimerziehern die Missstände darlegte, erlebte als Heimkind die Hölle auf Erden. Ein scheinbar nie endendes Trommelfeuer an Prügel wurde dem betreffenden Heimkind zuteil, sodass es anschließend wirklich den Mund hielt.
KINDER SIND NUR NOCH OBJEKTE
Der terroristische Heimalltag ließ die Kinder zu Objekten werden. Ein berühmter Satz seitens der Erzieherin war: Du faules Subjekt! Gefühlsaustausch seitens der Erzieher erfolgte nicht außer Schlägen ins Gesicht, leider auch eine Art von Gefühlsaustausch. Während des Heimaufenthalts war man als Heimkind
ein gefühls- und geschlechtsloses Wesen.
Es war nur eine Frage der Zeit, wann sich das Heimkind als
Marionette (willenloser Mensch als Werkzeug anderer)
und
menschliches Wrack
fühlen musste. Wenn ein Heimkind krank wurde, nahmen die Erzieher die ersten Krankheitsanzeichen wie Müdigkeit und Lustlosigkeit gar nicht wahr. Solche Anzeichen wurden stets als Faulheit ausgelegt und mit einer Tracht Prügel begleitet. Als meine Backen durch die Kinderkrankheit Mumps so dick angeschwollen waren, dass es endlich die Erzieher sehen konnten, unterblieben die Schläge und eine Einweisung ins Krankenhaus folgte, in meinem Fall ein sechswöchiger Krankenhausaufenthalt, nicht nur wegen der Mumps, sondern auch durch eine inzwischen hinzugezogene Hirnhautentzündung.
ALLES REGLEMENTIERT
Der Heimalltag war strikt vorbestimmt, selbst die Spielzeiten und Spielarten. Über jedes Heimkind wurden Berichte geschrieben, in denen von den Erziehern festgehalten wurde, wie sich die Heimkinder verhalten. Jedes Heimkind galt generell als verhaltensgestört СКАЧАТЬ