»Es ist nur eine Krise, sonst nichts.«
»Die dauert nun aber schon zu lange«, stellte er fest. »Oder ist sonst etwas vorgefallen, von dem ich nichts weiß?«
»Nein.«
»Also zähl besser nicht mehr auf mich! Ich kann mir das sowieso nicht leisten.«
»Du hast es sogar bitter nötig«, sagte sie. »Oder willst du dein Leben lang als Putzhilfe arbeiten?«
»He, Moment mal!« Pauly streckte seinen Arm aus. »Was heißt hier Putzhilfe? Ich bin Aufseher in einem gefragten Fitness-Center.«
»Mach dir nichts vor, Nino!«
Er nahm den Arm herunter und schwieg.
»Stell dir nur mal vor, Leo würde erfahren, dass du ein Buch geschrieben hast«, sagte Kim, »so einen richtig spannenden Thriller! Der würde vor Neid erblassen.«
»Oder sich totlachen.«
»Dein Name wird vorne auf dem Umschlag stehen. Gross gedruckt: Nino de Pauly.«
Pauly konnte ein knappes, selbstgefälliges Grinsen nicht unterdrücken, kippte dann aber wieder in seine alte Verfassung zurück: »Nein, Kim, das kannst du mir nicht weismachen.«
»Ich werde es dir beweisen, Nino.«
Er setzte sich in den Sessel zurück.
»Wenn du noch eine Pizza essen gehen willst, komme ich mit«, bot Kim ihm an.
»Später«, sagte er und schaltete den Fernseher ein.
Kim fuhr mit ihrem Wagen, hatte es eilig und wollte nirgends aufgehalten werden. Bei einer Ampel, die auf rot stand, stoppte sie ab, trommelte mit den Fingern gegen das Steuerrad und konnte es kaum abwarten, den Wagen wieder zu beschleunigen. Endlich ging es weiter! Doch vor ihr schlich einer nur so dahin. Kim überholte, näherte sich einer kurzen Wagenkolonne, die vor der nächsten Ampel stand. Hastig schaute sie auf ihre Armbanduhr. Vier Uhr. Sie musste Pauly noch im Center erreichen.
Eine Viertelstunde später hielt sie vor dem Fitness-Center, stieg aus und rannte auf ihren hohen Absätzen auf den Eingang zu. Zwei Männer mit großen Sporttaschen kamen ihr entgegen. Im Flur klopfte sie gegen das geschlossene Fenster der Anmeldung. Frau Kuval saß an ihrem Schreibtisch. Wie sie Kim sah, erhob sie sich ohne Eile.
Hinten im Flur ging eine Tür auf. Es war Pauly, der in seiner weißen Arbeitskleidung heraustrat. Kim eilte auf ihren Freund zu. »Nino!«, rief sie, und ihre Absätze klackten auf dem Boden.
»Was ist los?« Pauly zeigte sofort Unverständnis.
»Es hat geklappt«, sagte Kim und blieb, außer Atem, vor ihrem Freund stehen. »Es hat geklappt«, wiederholte sie. »Verstehst du, es hat tatsächlich geklappt!«
»Warum bist du nicht in der Firma?«, fragte Pauly. »Die werden dich rauswerfen, wenn du – «
»Ach was«, unterbrach sie ihn. »Ich weiß schon, was ich tue.« Sie nahm nochmals einen Anlauf und sagte: »Rozeck hat einen Verlag gefunden, der das Manuskript veröffentlichen will.«
»Tatsächlich?« Pauly zeigte keine Spur von Begeisterung. »Seit wann weißt du das?«, fragte er sachlich.
»Rozeck hat mich vorhin angerufen«, erklärte Kim. »Da musste ich einfach herkommen. Keine Minute habe ich es in der Firma mehr ausgehalten.« Und laut sagte sie nochmals: »Es hat wirklich funktioniert, Nino!«
»Nimm dich bitte zusammen!«, bat Pauly, dem es nicht passte, dass Frau Kuval möglicherweise zuhören könnte. »Du musst das nicht so laut herumerzählen.«
»Warum nicht?«, ereiferte sich Kim. »Sie sollen hier nur wissen, dass demnächst ein Buch von dir erscheinen wird.«
Pauly war es peinlich. Er drehte den Kopf, weil von unten jemand die Treppe hochkam. »Du, es kommt jemand«, sagte er. »Ich muss sowieso weitermachen. Aber wenn du willst, kannst du im Café auf der anderen Straßenseite auf mich warten.
Ein breitschultriger Mann in einem grauen Trainingsanzug kam die Treppe hoch. Pauly wartete, bis er draußen war, und sagte dann leise: »Wir können das alles später besprechen, ganz in Ruhe.«
»Nino!« Kim schaute ihn an. »Freust du dich denn tatsächlich nicht?«
»Was soll der Spaß denn bringen?«, wollte er wissen.
»Rozeck hat etwas von einem Vorschuss erwähnt«, antwortete Kim, obwohl sie das auch nicht genau verstanden hatte.
»Wie viel?«
»Zehntausend«, sagte sie einfach mal,
Ein Grinsen breitete sich in Paulys Gesicht aus. »Zehntausend!«, wiederholte er fast andächtig. »Du bist ja nicht nur ein kluges Mädchen – sondern sogar mein kleines Genie!
Kapitel 6 (Das Buch)
Zwei Jahre später erschien das Buch. Der Verlag hatte bei Vertragsabschluss zweitausend Euro Vorschuss gezahlt. Weiter besagte die Vereinbarung, dass der Autor für jedes verkaufte Exemplar zehn Prozent vom Ladenpreis erhalten werde, außerdem einen höheren Anteil an nebenrechtlichen Auswertungen, zum Beispiel bei einer Verfilmung. Zwischen Rozeck und Pauly existierte ein zusätzlicher Vertrag, ohne dass der Agent den Autor persönlich kennen gelernt hatte. Kim hatte das geschickt vermittelt. Diese Vereinbarung lief fünf Jahre und bestimmte, dass alles, was Pauly in dieser Zeit schreiben werde, über die Agentur Rozeck an Verlage verkauft werden musste. Die Agentur erhielt dafür zwanzig Prozent von den Einnahmen des Autors.
Es war eine lange Wartezeit gewesen. Vor allem Kim hatte es kaum abwarten können, das gedruckte Buch in den Händen zu halten. Pauly arbeitete noch immer im Fitness-Center bei Leo, und Kim hatte ihre Stelle ebenfalls beibehalten.
Kim und Pauly hatten sich vorgenommen, im Bekanntenkreis bis zum Tag der Veröffentlichung über das Buch zu schweigen. Besonders Kim war das schwergefallen, denn wenn manchmal gewisse Leute abschätzig über Pauly sprachen, hätte sie es ihnen am liebsten direkt ins Gesicht gesagt. Bei Pauly verhielt sich das anders: Er schwieg sich schon deshalb darüber aus, weil er davon überzeugt war, dass ihm sowieso niemand glauben würde.
Der Verlag hatte nochmals eine Änderung des Titels gewünscht. Das Buch hieß nun DER V-MANN.
Pauly hatte den angeblich vom ihm verfassten Thriller noch immer nicht gelesen. »Wozu auch?«, meinte er dazu. »Mein Name steht doch auf dem Umschlag.«
»Nino!« Kim schaute in der Küche nach, vernahm dann das soeben einsetzende Geräusch der Dusche aus dem Bad. Eilig ging sie hin, schob die Tür auf. »Nino, schau mal her!«, sagte sie.
Er schien sie nicht zu hören. Der Plastikvorhang vor der Dusche war zugezogen. Sie konnte nur den Schatten von Paulys nacktem Körper erkennen.
»Nino!« Kim zog der Vorhang zur Seite.
Pauly seifte sich gerade ein.
»Was ist los?«, fragte er.
»Das СКАЧАТЬ