Der Plethora-Effekt. Jon Pan
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Plethora-Effekt - Jon Pan страница 14

Название: Der Plethora-Effekt

Автор: Jon Pan

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847661313

isbn:

СКАЧАТЬ wenigstens etwas Konkretes in der Hand.

      Die Idee kam mir ganz plötzlich. Ich zog wieder die mittlere Schublade auf, holte die Fotoalben heraus und sah sie nur flüchtig an: Familienfotos. Ich kannte die darauf abgebildeten Personen nicht. Also legte ich die Alben wieder weg. Von den zwei Heften, die ich herauszog, war eines leer, beim anderen führte eine sehr runde Schrift über die Linien der ersten Seite. Es handelte sich um das Aufzählen von täglichen Ausgaben für Essen und sonstigen Haushaltsbedarf. Das angebrauchte Heft schob ich in die Schublade zurück, das leere behielt ich. Dann hatte ich auch schon einen der Kugelschreiber zwischen den Fingern. Meine Hand zitterte leicht, als ich zu schreiben anfing.

       Erste Eintragung

      Befinde mich in einem unbekannten Flugobjekt, aus zehn oder zwölf Räumen bestehend. Bis auf zwei alle aus Wänden eines Steins, der eine eigenartige Leuchtkraft besitzt. Das Alleinsein ist schwer. Zwölf Außerirdischen bin ich bisher begegnet. Drei gehen immerzu in einer Gruppe umher. Nur ihre verschiedenartigen braunen Flecken, die sie im Gesicht tragen, unterscheiden sie voneinander. Daher benenne ich sie nun. Die Dreiergruppe: Der Fremde in der Mitte soll MIT heißen, der linke LIN und der rechte REC. Die Fremden auf den Würfeln benenne ich von links nach rechts KUB l, KUB 2, KUB 3, KUB 4 und KUB 5. Von den restlichen vier bezeichne ich den mit den wenigsten braunen Flecken OHN. Die anderen drei heißen SPI l, SPI 2 und SPI 3, was ich von dem Spiel ableite, bei dem ich sie beobachtet habe. Ein ständiges Vibrieren erfüllt alle Räume, wobei es hinten (also am gegenüberliegenden Ende des »Flurs«, in dem sich KUB l bis KUB 5 aufhalten) zunimmt. Es klingt wie eine in Schwingung geratene dicke Saite, daher nehme ich an, dass da ein ähnliches Prinzip wie der Trichter (zum Auflösen der Wände) am Werk sein muss. Wird damit das Raumschiff angetrieben? Die Einsamkeit ist deshalb so groß, weil mich niemand zur Kenntnis nimmt. Aber das ist immer noch besser, als wenn sie mich folterten und umbrächten. OHN, den ich im Schlafraum überrascht habe (oder war es umgekehrt?), wirkt am gefährlichsten. Es könnte sein, dass er der Anführer ist. MIT, LIN und REC halte ich für eine Art Bordpolizei. Der Raum mit dem schwarzen Quadrat, diesem Fenster zum Weltraum, scheint das Cockpit des Raumschiffs zu sein. Sicher bin ich mir da allerdings nicht, denn ich habe keinerlei Vorrichtungen zum Steuern oder Messinstrumente gesehen. KUB l bis KUB 5 sitzen bloß auf ihren Würfeln und schauen ins All hinaus. Wer führt uns also? Und wo endet diese für mich unglaubliche Reise?

       (Rupert Dill)

      

      Diese schnell hingeschriebenen Sätze erleichterten mich. Ich sprach, wenn auch nur mit einem leeren Heft, das ich jedoch mit meinen Worten füllen konnte. Ein Teil meines Innern kehrte sich dadurch nach außen, stand sich selbst gegenüber, fand in dieser vollgeschriebenen Seite einen Spiegel. So lautlos funktionierte das also! Dabei zählte ich bloß einige Beobachtungen auf, benannte, versuchte zu ordnen. Ich schrieb, um mir selber etwas mitzuteilen, das ich schon wusste, aber es war eine Verdoppelung mit Sinn. Wo bin ich? hatte hier ganz eindeutig mit Wer bin ich? zu tun. Inmitten der Welt dieser mir vertrauten Gegenstände richtete ich meinen Blick in mich hinein und damit wieder nach draußen, in die Weite der weißen Atmosphäre, in die Fremde des leuchtenden Steins, des Vibrierens und aller anderen unerklärlichen Geschehnisse, die innerhalb kurzer Zeit auf mich einstürzt waren. Dabei war ich doch von Anfang an nicht tatenlos geblieben. Ich besaß sogar einen der Trichter mit der Saite. Hier fügten sich weitere Bilder zusammen. Begriff ich endlich? Teilweise, ja, das Gesehene fand sich im Gedachten wieder. Was blieb nun aber konkret übrig, jetzt und hier? Welche Aufgabe wartete auf mich, was musste in einer äußeren Aktion bewältigt werden? In dem Trichter mit der Saite sah ich plötzlich eine Möglichkeit, mich zur Wehr zu setzen. Sollte ich nämlich ausfindig machen können, wie viele dieser Trichter es an Bord gab, und brachte ich diese dann alle in meinen Besitz, so würde ich damit in der Lage sein, die Außerirdischen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.

      Doch kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, verwarf ich ihn wieder. Kämpfen war sinnlos. Meine Stärke lag allein darin, dass mich keiner der Fremden zur Kenntnis nahm. Das bedeutete für mich einen Freiraum, den ich nicht aufs Spiel setzen durfte. Simpel ausgedrückt: Solange ich sie in Ruhe ließ, würden auch sie mich in Ruhe lassen. Auf mich gestellt, würde ich es schaffen, einiges zu erforschen und mir selbst das Überleben zu sichern. Das hatte ich mir in den letzten Stunden – oder wie lange es auch immer gewesen sein mochte – bereits bewiesen.

      Eine starke Müdigkeit machte sich bemerkbar. Nur mühsam konnte ich noch meine Augen offen halten. Ich steckte mir Heft und Kugelschreiber vorne in die Hose, schob die Schublade der kleinen Kommode zu. Die unerwarteten Erlebnisse hatten mich angestrengt. Hinzu kam, dass die Nacht – wenn es denn etwas Derartiges geben sollte – , bestimmt schon vorüber war. Ich hatte noch nicht geschlafen. Sollte ich es wagen, mich hinzulegen? Mir blieb fast keine Wahl, so bleiern fühlte ich mich nun. Ich fasste nach dem Trichter, drückte ihn an mich. Auf den Knien, mich mit der freien Hand auf dem weißen Boden abstützend, bewegte ich mich auf das an die Wand gestellte Zelt zu. Mein Blick fixierte den Reißverschluss des zerknitterten Stoffgebildes, der vorne, unter einer herausragenden Aluminiumstange, sichtbar war. Meine Finger öffneten ihn, wobei das zusammengepresste Zelt auf mich stürzte. Dunkelheit und ein leicht moderiger Geruch hüllten mich ein. Sekunden später schlief ich.

      Das Erwachen war angenehm, denn nichts von diesem Schwindelgefühl, das ich die beiden Male nach meiner Bewusstlosigkeit empfunden hatte, haftete ihm an. Atmen konnte ich zwar nur schlecht, doch das störte mich nicht, solange ich mich geschützt glaubte. Sicher verbarg das Zelt meinen Körper. Im Schlaf hatte ich meine Beine an den Bauch gezogen. Auf meiner Brust spürte ich einen Druck. Wie ich mit der Hand danach griff, ertastete ich den Trichter mit der Saite. Bruchstücke der Erinnerung formierten sich, tauchten an die Oberfläche, drängten sich in das Empfinden körperlicher Erholung. Ruckartig schleuderte ich die Zeltplane von mir herunter. Das leuchtende Weiß des Raumes stach mir in die Augen. Ich hielt mir beide Hände vors Gesicht.

      Nur langsam gewöhnte ich mich wieder an die gleißende Helligkeit. Nachdem ich mich aufgerichtet hatte, wandte ich mich erneut der kleinen Kommode zu. Mein Magen machte sich bemerkbar. Ich musste endlich etwas zu mir nehmen. Dabei dachte ich an die Pralinen, die ich in der mittleren Schublade entdeckt hatte. Die Packung wurde durch einen dünnen Plastikeinband geschützt. Ich riss ihn weg. Eigentlich war mir nicht nach Schokolade zumute. Doch was hätte ich sonst essen sollen? Etwa die Purpur-Blätter unten auf dem Tisch? Ich wusste ja nicht einmal, ob sie genießbar waren. Vielleicht täuschte ich mich und sie dienten den Außerirdischen gar nicht als Nahrung.

      Die Pralinen schmeckten sehr süß. Nachdem ich zwei Stück hastig zerkaut hatte, ließ ich eine dritte zögernd im Mund zergehen. Dann zog ich mir das Heft aus der Hose und las meine erste Eintragung durch.

      War das alles, was ich zu sagen hatte? Ich musste mehr, viel mehr aufschreiben. Den Kugelschreiber zwischen meinen aufgeregten Fingern, füllte ich mehrere Seiten. Zwischendurch verlor sich der Text in einem Chaos. Die Ohnmacht über das Unfassbare meiner Situation führte dann das Diktat. Zwei Seiten riss ich aus dem Heft, knüllte sie zusammen, warf sie in die unterste Schublade zu der Strumpfkugel. Ich stopfte mich mit Pralinen voll, sie nun wieder schnell zerkauend, bis mir übel wurde.

      »Was für eine Chance habe ich?« Mit diesem Satz überschrieb ich eine Seite und unterstrich ihn fett. Nichts fiel mir dazu ein. Also schrieb ich darunter: »Werde ich überleben?« Auch diese Frage unterstrich ich fett. Die Antwort blieb aus. »Was ist mit Martina geschehen?« Zwanzigmal schrieb ich diese Frage, teilweise zu einem Gekritzel verstümmelt. »Welchen Sinn hat meine Entführung?« – »Ist sie zufällig?« – »Warum?« Meine Hand krallte sich ins Papier, zerfetzte es. Den Kugelschreiber schleuderte ich gegen die Wand. Der weiße Stein schluckte СКАЧАТЬ