Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski
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Название: Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern

Автор: Jürgen Ruszkowski

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783847683131

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СКАЧАТЬ diese kleine SS-Einheit kam in der nächsten Nacht so plötzlich, dass sie ihr Vorhaben in keiner Weise ausführen konnten. Nun war unser Auto aber wieder defekt und musste abermals in die Werkstatt gezogen werden. Sicherheitshalber holte Capedeville es bei Nacht wieder ab.

      Die Flüchtlingswelle wurde immer stärker. In jeder Nacht nahmen wir eine Forstbeamtenfamilie auf. Diese Familien kamen in den meisten Fällen ohne Männer, die entweder Soldat waren oder auf der Flucht auseinandergerissen waren. Es sprach sich unter den Flüchtlingen herum, dass ein Zurückbleiben unter den Russen lebensgefährlich werden kann bei der Gefahr der Ermordung oder Verschleppung nach Sibirien. Auch Vater und Mutter bekamen jetzt Bedenken, die Kampfhandlungen und die Besetzung durch Russen in unserem fertiggestellten Bunker überdauern zu wollen. So etwa um den 20. Februar herum hörten wir das Herannahen des Geschützdonners der Front von Osten her zum ersten Mal. Es dröhnte von Tag zu Tag immer lauter. Tieffliegerangriffe der Russen, hauptsächlich auf die endlosen wehrlosen Flüchtlingstrecks auf unserer Straße gerichtet, wurden immer häufiger. Vater und Mutter sortierten jetzt schon allmählich das Wichtigste für die Flucht. Der Stellmacher Köpp, Harm und ich zimmerten zwei Holzkisten mit verschließbaren Deckeln zusammen. Jede Kiste versahen wir mit einer vollgummibereiften Achse unserer 4-rädrigen sog. "Holländer" und mit einer wie ein Sägebügel gespannten Deichsel aus Haselnussholz. So hatten wir dann zwei provisorische Fahrradanhänger.

      Am 23.2.1945 erhielt ich als 15 ¾ jähriger die Einberufung zur Wehrmacht. Ich sollte mich am 1.3. in der Kaserne in Wiek auf der Insel Rügen einfinden. Erkundigungen beim Bahnhofsvorsteher Frömming in Christinenberg ergaben aber, dass ein pünktliches Erscheinen dort wegen der durch Luftangriffe unterbrochenen Eisenbahnstrecken überhaupt nicht gewährleistet war. Ich behielt den Bescheid bis zum 1.3. zurück und schickte ihn dann per Post nach Naugard, unserer Kreisstadt, 36 km nördlich von Pütt, zurück mit dieser Begründung. Weil die Russen um diese Zeit durchschnittlich 12 km pro Tag weiter nach Westen voranrückten, erledigten sich Zwangsmaßnahmen gegen meine Nichtbefolgung des Stellungsbefehls von alleine.

      Harm und ich sahen unsere besten Fahrräder noch einmal durch und machten sie fahrtüchtig mit allerbesten Teilen auch von anderen Fahrrädern und stellten sie mit den Anhängern zu unserem Auto in die Garage. In der letzten Woche vor der Flucht hatte ich Nachtdienst an der Panzersperre, somit bei Tage auch Zeit, die Fahrradanhänger und das Auto zu beladen. Nachts schlief unser Chauffeur zur Bewachung auf einer Matratze neben unseren Fluchtfahrzeugen in der von innen verriegelten Garage, denn es musste stark mit Einbruch durch in Not geratene Flüchtlinge auf der Suche nach Lebensmitteln und Futter für Pferde gerechnet werden.

      Am Montag, dem 5. März 1945 mittags, hatten wir das Gefühl, dass die Russen höchstens 10 km entfernt von Pütt waren. Das Telefon ging schon nicht mehr. Der elektrische Strom war für uns schon unterbrochen. Wir wohnten ca. 1 km vom Dorfrand entfernt ganz allein im Walde. Die Eltern beauftragten mich, mit dem Fahrrad noch im Dorf auf Lebensmittelmarken soviel wie möglich einzukaufen, Geld von der Sparkasse abzuheben und beim Bürgermeister eine schriftliche Genehmigung zu holen, damit der französische Kriegsgefangene Capedeville als Chauffeur ohne Bewachung unser Auto auf der Flucht in Richtung Westen fahren darf. Ich erschreckte mich im Dorf sehr darüber, dass ich keinen Zivilisten mehr antraf, sondern nur deutsche Soldaten, die sich in den verlassenen Lebensmittelgeschäften mit Essbarem versahen. Dieses tat ich auch und stopfte beim Bäcker, Fleischer und Kaufmann alle meine Einkaufstaschen voll. Geld erhielt ich auch nicht mehr, desgleichen auch nicht die Bescheinigung. Die Dorfbewohner waren schon alle auf der Flucht und schon längst an Pütt vorbeigezogen, nachdem sie sich in die endlosen Flüchtlingstrecks einreihen mussten. Als ich in die Hauptstraße zu uns einbog, kamen gerade russische Tiefflieger über der Straße entlang, dabei immer in die Trecks hineinschießend. Zuerst schmiss ich mich samt Fahrrad in den Straßengraben, und dann benutzte ich einen Schleichpfad durch eine Schonung nach Pütt zurück.

      Vater traf sofort nach meinem Eintreffen mit der Nachricht, dass unser Dorf schon unterwegs sei, die letzten Vorbereitungen. Es war also seit mindestens 3 Wochen ausgehandelt, dass Vater, Harm und ich auf Fahrrädern und Mutter mit Jörg, Kuno und dem Chauffeur in unserem Auto auf die Flucht gehen werden, wenn auch getrennt voneinander. Unsere Devise war, soviel Gepäck wie möglich zu retten. Sieben Personen hätten ja auch ins Auto gepasst, aber die Mitnahme von Gepäck wäre fortgefallen. Vater hatte zwei Landkarten fertiggemacht, eine für uns, eine für Mutter, auf welchen er die für Übernachtungen in Frage kommenden Forsthäuser rot unterstrichen hatte, verteilt über Vorpommern, Mecklenburg und Schleswig-Hostein und Niedersachsen. Auch gab er den Auftrag, dass jeder sich selbst auf jedem zu passierendem Regierungsforstamt, z. B. in Schwerin, Schleswig, Lüneburg persönlich meldet und nach dem anderen dort nachfragt. Mit Verwandten in Oberelsungen bei Kassel, bei Frankfurt/M. und in Stuttgart wegen von dort heranrückender Westfront sobald wie möglich Kontakte aufzunehmen, lautete die Verabredung.

      Kurz bevor wir auf dem Pütter Hof startklar waren, erschien plötzlich der Revierförster Schröder von Unterkarlsbach, der auch im Walde wohnend, vergessen worden war, mit seinem vollbeladenen Pkw samt Ehefrau und Hund. Wir freuten uns sehr darüber, dass Mutter nun gute Gesellschaft hatte auf der Flucht, so wie er auch.

      Inzwischen war es 17 Uhr geworden. Es lag ca. 10 cm Schnee, und wir hatten ca. minus 10 Grad Frost. Mit erschütterten Blicken verabschiedeten wir uns voneinander an der Grundstücksausfahrt nochmals, es war Montag, der 5. März 1945, 17 Uhr. Dieses Datum vergesse ich nie.

      Auch ich ließ den Volkssturm sein wie er war. Es war mir alles egal. An der Panzersperre vor unserem Grundstück angekommen, war kein Bewacher mehr da. Vater, Harm und ich hielten noch mal eine kurze Gedenkpause darüber ab, ob wir noch etwas ganz Wichtiges nachholen müssten. Wir hatten also doch nichts vergessen, und wir reihten uns in den endlosen Flüchtlingstreck ein.

       Flucht auf Fahrrädern von Hinterpommern gen Westen

      Gerd Brehm (* 1929) berichtet:

      Zusammen mit meinem Vater und meinem 1931 geborenen Bruder Harm ging ich also in unserer Männergruppe per Fahrrad auf die Flucht. Unsere Räder mit Anhänger waren hochbeladen und schwergängig. Vater hatte keinen Anhänger, dafür transportierte er außer vielen Gepäckstücken noch zwei Jagdwaffen. Insgesamt transportierten wir pro Rad in Kisten, Koffern, großen Taschen und Rucksäcken mehr als zwei Zentner Gepäck, so dass wir die Räder oft schieben mussten.

      Unsere Mutter (*1907) und meine beiden jüngeren Brüder (* 1936, 1939) ging mit unserem kriegsgefangenen französischen Chauffeur in unserem während des Krieges dienstlich zugelassenen Personenkraftwagen in der zweiten Gruppe getrennt auf die Flucht. Das Auto war ebenfalls mit viel Gepäck beladen, zum Teil außen aufgebunden, und es war mit 80 Litern extra für die Flucht aufgesparten Benzins voll betankt und führte Reservekanister mit. Unterwegs, so war es abgesprochen, wollten sich beide Gruppen bei den Forstverwaltungen in Mecklenburg, Schleswig-Holstein, im Hannoverland oder in Hessen melden, um für die andere Gruppe Spuren über das Verbleiben zu hinterlassen. Wir sollten uns erst ein halbes Jahr später wiedersehen.

      Unterwegs hatten wir oft Tiefflieger- und Bombenangriffe durch russische, später durch englische oder amerikanische Flugzeuge. Fast jede Nacht mussten wir uns ein anderes Quartier besorgen. Massenquartiere, die oft verlaust waren, mieden wir möglichst. Unsere Verpflegung – alles war seit Kriegsbeginn äußerst knapp und rationiert – musste förmlich erbettelt werden. Das Radeln mit großem Gepäck und den schweren Anhängern verursachte großen Hunger. Ständig musste ich befürchten, unterwegs noch aus dem Treck herausgeholt und zum Wehrdienst verpflichtet zu werden, weil mein Jahrgang jetzt auch schon einberufen wurde. Vater war als Schwerkriegsbeschädigter einigermaßen sicher.

      Zur 52. Fluchtnacht bezogen wir am 25. April 1945 in Ahrensbök bei Lübeck zu dritt ein kleines Gaststättenzimmer, in dem wir bis zum 31. Juli 1945 “wohnen” durften, СКАЧАТЬ