Der große Reformbetrug. Udo Schenck
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der große Reformbetrug - Udo Schenck страница 23

Название: Der große Reformbetrug

Автор: Udo Schenck

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783738045604

isbn:

СКАЧАТЬ es nur Probleme und man könne dann auch nichts unternehmen, sich nichts leisten und nicht in den Urlaub fahren, einmal von der allgemeinen Ächtung Arbeitsloser abgesehen, die sie bald in den Rang von Aussätzigen überführt. Hat man als Erwerbslose/r in seinem sozialen Umfeld doch eine/n Partner/in gefunden, kann es zu einer Zerreisprobe werden, muss man doch der Forderung folgen, sich Deutschlandweit zu bewerben und ggf. woanders hinzuziehen. Auch darauf sind unzählige Trennungen zurückzuführen.

      Ein zentrales Problem, das bewältigt werden will ist, feststellen bzw. akzeptieren zu müssen, dass einem u. a. infolge zu geringer Berufserfahrung oder/und weil man zu lange aus dem Erwerbsleben raus ist und man bereits als zu alt für den Arbeitsmarkt gehalten wird, die Felle davon schwimmen, dass beim besten Willen nichts mehr geht, dass es unter den gegebenen Umständen eigentlich nur noch abwärts geht bzw. gehen kann. Gerade schwer vermittelbaren älteren Erwerbslosen werden dann zumeist prekäre Arbeitsverhältnisse inklusive sog. Arbeitsgelegenheiten des zweiten Arbeitsmarktes (vgl. Kap. 5.2.1) aufgezwungen, die zudem nicht die Lebenssituation Älterer berücksichtigen und mit denen es erst recht nicht mehr möglich ist für eine auskömmliche Altersvorsorge aufzukommen, weder über die staatliche Rentenversicherung noch privat (vgl. Kap. 5.4ff). Ferner nagt der Eindruck, scheinbar nicht mehr gebraucht zu werden, bei sehr vielen Erwerbslosen nachhaltig an ihrem Selbstbewusstsein. Und so kommt eins zum anderen, womit die Stimmung der Betroffenen nicht gerade gehoben wird, was ebenso von der Umwelt wahrgenommen wird, die sich nicht so gern mit schlecht gelaunten, frustrierten oder gar depressiven Menschen abgeben möchte – ein Teufelskreis. Es gehört sicher nicht viel Phantasie dazu, sich vorstellen zu können, dass in solch einem Schattendasein das lichthungrige Wesen der Kreativität Gefahr läuft zu verkümmern, ebenso wie alle anderen Lebenskräfte. Und ist man dann endgültig auf den Hund gekommen, so kann man sich noch nicht einmal mehr den halten, womit dann nur noch in die „Röhre zu gucken“ übrig bleibt. Denn wenn ein Hund oder eine Katze zum Arzt müssen kann es richtig teuer werden.

      Ein süßes Schmarotzerleben, wie es propagandistisch und scheinheilig viele Politiker bzw. gewissenlose Brandstifter Erwerblosen unterstellen, sieht dann wohl doch „etwas“ anders aus. So mancher provokant angeblich so glückliche Arbeitslose, der da so gern von bestimmten, nicht nur privaten TV-Sendern und Boulevardblättern präsentiert bzw. kolportiert wird, erweist sich dann bei genauerem Hinschauen doch nur als ein Fake, eine fingierte Phantasiefigur, mit der man die Menschen aufzuwiegeln versucht.

      Die Wissenschaftler Daniel Oesch und Oliver Lipps, von der Universität Lausanne, sind mit einer Untersuchung der Befindlichkeit von Arbeitslosen auf den Grund gegangen (vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftswissenschaften DIW Berlin (2011): „Does unemployment hurt more if there is less of it around?“). Die Ergebnisse dieser Untersuchung beruhen auf der Auswertung des deutschen Sozio-ökonomischen-Panels (SOEP) aus den Jahren 1984 bis 2009 und dem schweizer Haushalts-Panel (SHP) der Jahre 2000 bis 2009. Die Wissenschaftler konnten die häufig vertretene, wie ideologisch verbrämte These widerlegen, nach der bei Arbeitslosen ein Gewöhnungseffekt (sog. Hysterese-Effekt) an ihre Arbeitslosigkeit eintreten würde. Nach dieser These wird behauptet, dass der Leidensdruck durch die Arbeitslosigkeit mit zunehmender Dauer oder bei häufigen Verlusten der Arbeitsstelle abnehmen würde. Demnach würden sich Arbeitslose an ihre Situation gewöhnen, sich scheinbar bequem im Sozialleistungsbezug einrichten und nicht mehr nach Arbeit suchen.

      Nach der o. g. Untersuchung von Oesch und Lipps mindern jedoch weder Dauer noch Häufigkeit der Arbeitslosigkeit den Leidensdruck der Arbeitslosen. Vielmehr verschlechtere sich das Wohlbefinden, je länger die Arbeitslosigkeit andauere. Langzeitarbeitslose hätten danach eine deutlich geringere Lebenszufriedenheit als Kurzzeitarbeitslose und Personen mit einer länger als ein Jahr andauernden Arbeitslosigkeit wiesen die geringste Lebenszufriedenheit auf. Darüber hinaus mache es keinen Unterschied, ob die Arbeitslosen in einer Region mit hoher oder niedriger Arbeitslosigkeit leben würden oder ob sie in einer wirtschaftlichen Rezessions- oder Aufschwungphase arbeitslos wären. Arbeitslosigkeit belaste also nicht weniger, wenn viele Menschen davon betroffen sind. Von einem komfortablen Einrichten oder einer gewollten Arbeitslosigkeit könne also nicht gesprochen werden, so die Wissenschaftler. So gelangen die Forscher aus Lausanne zu dem Schluss, dass Kürzungen von Arbeitslosengeld und Hartz IV-Leistungen kaum in Arbeit bringen würden, sie würden „ein schwieriges Leben nur elender“ machen. Den sog. Hysterese-Effekt erklären die Forscher daher nicht mit einer sinkenden Arbeitsbereitschaft der (Langzeit-)Arbeitslosen. An Stelle dessen seien ein verringertes Selbstbewusstsein und die länger zurück liegende Erfahrung mit Arbeit in Verbindung mit Vorbehalten von Arbeitgebern Hintergrund für Probleme bei der Suche nach einer Stelle. Daher solle sich eine sinnvolle Arbeitsmarktpolitik weniger auf Sanktionen und mehr auf eine Erhöhung der Arbeitskräftenachfrage und effektive Qualifizierung und Unterstützung von (Langzeit-)Arbeitslosen bei der Arbeitssuche konzentrieren.

      2 Warum diese Reformen

      Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst

      Immanuel Kant (kategorischer Imperativ)

      Die jüngsten, Arbeitsmarktreformen oder sog. Hartz-Reformen, die gemeinhin unter der Bezeichnung „Hartz-IV“ – „Viertes Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ – einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden, sind nur einige neben anderen, wie z. B. den sog. Gesundheits- oder Rentenreformen, welche im Rahmen der sog. Agenda 2010 in den letzten Jahren auf den Weg gebracht wurden. Die Regelungen dieser Arbeitsmarktreform gliedern sich indessen in die Gesetze Hartz-I bis Hartz-IV, welche zwischen 2003 und 2005 in Kraft traten. Die Hartz-Reformen bzw. ihre entsprechenden Gesetze wurden nach dem Namen des damaligen VW-Personalvorstandsmitglieds Dr. Peter Hartz benannt, der federführend in der Kommission – auch Hartz-Kommission – zur Erarbeitung dieser Gesetze tätig war und mittlerweile wegen Korruption rechtskräftig verurteilt wurde.

      Nach ihrem Begriff und eigentlichem Sinn sollen Reformen die bestehenden Verhältnisse verbessern. Es ist hierbei nur die Frage ob und für wen sie etwas Positives bzw. Vorteile bewirken oder die Situation gar verschlimmern, ob sie in den gesamtgesellschaftlichen Kontext eingebettet sind, d. h. ob alle Betroffenen – und das ist bei einer Arbeitsmarktreform letztendlich die gesamte Gesellschaft – von ihnen profitieren.

      Mit der Umsetzung der Reformen der Agenda 2010 erfolgte ein weiterer, wesentlicher Schritt zur Demontage des modernen Wohlfahrtsstaates, so wie er einst mit der bismarckschen Sozialgesetzgebung im Deutschland des 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm. So kommt auch in den Hartz-Reformen eine deutliche Abkehr von der bisherigen Arbeits- und Sozialpolitik zum Ausdruck. Die einst starke Stellung der Sozialversicherungen und der Lohnbezogenen Leistungen wurde durch diese Reformen stark abgeschwächt. Die meisten Erwerbslosen beziehen heute nur noch eine pauschale Grundsicherung, deren Höhe sich an einem willkürlich festgelegten, sog. Existenzminimum orientiert. Weiterhin hat sich u. a. bei der Arbeitslosenversicherung der Anteil der Steuerfinanzierung gegenüber dem der Beitragsfinanzierung deutlich erhöht, was wiederum ein Kennzeichen einer anderen Politik ist, welche Gewinne zunehmend der Privatisierung zuführt und Verluste vornehmlich sozialisiert, d. h. überwiegend dem „kleinen“ Steuerzahler aufbürdet. Infolge dessen verringerten sich z. B. die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 Prozent auf 2,8 Prozent (2009), (vgl. Steffen 2011: 34). Ferner wurde der Einfluss der Sozialpartner in der Selbstverwaltung, der Gremien der Arbeitsverwaltung, stark eingeschränkt. Die Zugehörigkeit der Sozialpartner zum Vorstand wurde durch die Einrichtung eines hauptamtlichen Vorstandes abgeschafft. Des Weiteren musste sich die Selbstverwaltung aus dem operativen Geschäft zurückziehen, womit ihr Einfluss auf den Vorstand erheblich geschmälert wurde.

      Am 16.08.2002 verkündete Peter Hartz anlässlich einer Feierstunde zur Übergabe seiner Reformvorschläge an die rot-grüne Bundesregierung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder: „Ziel ist es, die Zahl der Arbeitslosen in drei Jahren um zwei Millionen zu reduzieren.“ СКАЧАТЬ