Название: Gösta Berling
Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754179963
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Im übrigen aber soll niemand glauben, daß ich jetzt von etwas Unheimlichem und Schrecklichem erzählen will.
Es ist nur eine alte Geschichte von dem großen Bären auf dem Gurlita-Berge, die ich jetzt erzählen will, und es soll einem jeden freistehen, sie zu glauben oder sie nicht zu glauben, so wie es bei allen richtigen Jagdgeschichten sein soll.
Der große Bär haust auf dem prächtigen Berggipfel, den man den Gurlita-Felsen nennt und der sich steil und unzugänglich am Ufer des oberen Löfsees erhebt. Die Wurzel einer umgewehten Tanne, an der noch die Grassoden hängen, bildet die Wand und das Dach seiner Behausung; die Zweige und das Gestrüpp beschützen sie, der Schnee macht sie dicht. Er kann dadrinnen liegen und einen guten, ruhigen Schlaf von einem Sommer zum andern halten.
Ist er denn ein Poet, ein krankhafter Träumer, dieser zottige König des Waldes, dieser schiefäugige Räuber? Will er die kalten Nächte und die farblosen Tage des Winters verschlafen, um von brausenden Bächen und Vogelgesang geweckt zu werden? Will er daliegen und von wartenden Erdbeerhügeln träumen und von Ameisenhaufen, voll von leckern braunen kleinen Wesen, und von den weißen Lämmern, die an den Abhängen grasen? Will er dem Winter des Lebens aus dem Wege gehen, der Glückliche?
Der Wind weht und stiebt hinein zwischen die Föhren da draußen; da draußen streifen Wolf und Fuchs umher, wahnsinnig vor Hunger. Warum soll der Bär allein Erlaubnis haben zu schlafen? Mag er aufstehen und fühlen, wie die Kälte beißt, wie schwer es ist, in dem tiefen Schnee zu waten. Er soll herauskommen!
Er hat sich gut gebettet, er gleicht der schlafenden Prinzessin im Märchen: so wie sie von dem Prinzen geweckt wurde, so will er von dem Frühling geweckt werden. Von einem Sonnenstrahl, der sich durch das Gestrüpp stiehlt und ihm die Schnauze wärmt, von einigen Tropfen des schmelzenden Schnees, die durch seinen Pelz dringen, will er geweckt werden. Wehe dem, der ihn zur Unzeit weckt!
Aber den Fall gesetzt, daß niemand fragt, was der König des Waldes wünscht! Den Fall gesetzt, daß jetzt plötzlich ein ganzer Schwarm von Hagelkörnern hereingesaust kommt und ihn sticht wie boshafte Mücken!
Er hört plötzlich Rufe, Lärm und Schüsse. Er schüttelt den Schlaf aus seinen Gliedern und schiebt das Gestrüpp zur Seite, um zu sehen, was es ist. Hier gibt es Arbeit für den alten Raufbold. Es ist nicht der Frühling, der da draußen vor seiner Höhle lärmt und poltert, es ist nicht der Wind, der die Tannen umwirft und den Schnee aufwirbelt, es sind die Kavaliere – die Kavaliere aus Ekeby.
Sie sind alte Bekannte von dem König des Waldes. Er entsinnt sich gar wohl der Nacht, als Beerencreutz und Fuchs in der Scheune eines Bauern, wo man seinen Besuch erwartete, auf der Lauer lagen. Sie waren gerade über dem Schnapsglas eingeschlafen, als er sich durch das Grassodendach hereinschwang; aber sie erwachten, als er die getötete Kuh aus dem Stand herausheben wollte, und fielen mit Büchse und Messer über ihn her. Die Kuh nahmen sie ihm weg und das eine Auge auch, aber das Leben rettete er doch.
Ja – er und die Kavaliere sind alte Bekannte. Der König des Waldes entsinnt sich gar wohl eines andern Males, als sie über ihn herfielen, gerade als er und seine hohe Gemahlin sich hier in der alten Königsburg auf dem Gurlita-Felsen mit ihren Jungen zur Winterruhe niedergelassen hatten. Er entsinnt sich noch, wie unerwartet sie über ihn herfielen. Wohl entwischte er ihnen, er fegte alles zur Seite, was ihn hinderte, und sauste dahin, ohne auf die Kugeln zu achten; aber lahm ward er fürs Leben durch einen Schuß, den er in den Schenkel bekam. Und als er des Nachts in seine Königsburg zurückkehrte, war der Schnee rot gefärbt von dem Blut seiner hohen Gemahlin, und die königlichen Kinder waren weggeführt nach der Wohnung der Menschen, um dort aufzuwachsen und Diener und Freunde der Menschen zu werden.
Ja, jetzt erbebt die Erde, jetzt wird die Schneewehe zerteilt, die die Höhle verdeckt, jetzt bricht er heraus, der große Bär, der alte Feind der Kavaliere. Gib jetzt acht, Fuchs, alter Bärenjäger, gib jetzt acht, Beerencreutz, Oberst und Rabougespieler, gib jetzt acht, Gösta Berling, du Held von hundert Abenteuern!
Wehe über alle Poeten, alle Träumer, alle Liebeshelden! Da steht jetzt Gösta Berling, den Finger am Hahn der Büchse, und der Bär kommt ihm gerade entgegen. Warum schießt er nicht? Woran denkt er? Warum schickt er ihm nicht gleich eine Kugel in die breite Brust? Er steht gerade auf dem rechten Fleck, um das zu tun. Die andern können nicht im rechten Augenblick zum Schuß kommen. Glaubt er vielleicht, daß er vor der Majestät des Waldes Parade stehen soll?
Gösta hat natürlich dagestanden und von der schönen Marianne geträumt, die in diesen Tagen ernstlich krank auf Ekeby liegt, krank von der Nacht, in der sie im Schnee geschlafen hat. Er denkt an sie, die nun auch ein Opfer von dem Fluch des Hasses geworden ist, der auf der Erde ruht, und er schaudert vor sich selbst, daß er ausgegangen ist, um zu verfolgen und zu töten.
Und da kommt der große Bär gerade auf ihn zu. Blind auf dem einen Auge infolge eines Stiches von dem Messer eines der Kavaliere, lahm auf dem einen Bein infolge einer Kugel aus der Büchse eines der Kavaliere. Grausig und struppig, einsam seit der Zeit, als sie seine Gattin töteten und seine Kinder entführten. Und Gösta sieht ihn so, wie er ist: ein armes, verhetztes Tier, das er nicht des Lebens berauben will, des letzten, was ihm noch geblieben, nachdem ihm die Menschen alles andere genommen haben.
»Mag er mich töten,« denkt Gösta, »aber ich schieße ihn nicht tot.«
Und während der Bär auf ihn losstürzt, steht er still wie zur Parade, und als der König des Waldes ihm gerade gegenübersteht, tut er einen Schritt zur Seite und schultert das Gewehr.
Da setzt der Bär seinen Weg fort, wohl wissend, daß er keine Zeit zu verlieren hat, bricht in den Wald ein, bahnt sich einen Weg durch mannshohe Schneeschanzen, rollt an jähen Abhängen herab und ist dann hoffnungslos verschwunden, während alle die, die mit gespannten Hähnen dagestanden und auf Göstas Schuß gewartet haben, ihre Büchsen hinter ihm drein abschießen.
Aber es ist vergebens, der Ring ist gebrochen, und der Bär ist weg. Fuchs schimpft, und Beerencreutz flucht; aber Gösta lacht nur. Wie können sie doch nur verlangen, daß ein Mensch, der so unglücklich ist wie er, einem Geschöpf Gottes ein Leid antun soll?
Der große Bär auf dem Gurlita-Berge entkam also mit dem Leben, und aus dem Winterschlaf aufgeweckt ist er, das sollen die Bauern fühlen. Kein Bär hat eine größere Geschicklichkeit, das Dach auf ihren niedrigen, kellerartigen Viehhäusern zu zerreißen, keiner versteht es besser, aus einem Hinterhalt herauszuschleichen.
Die Leute da oben am oberen Löfsee wußten sich bald nicht vor ihm zu bergen. Einmal über das andere wurde nach den Kavalieren geschickt, sie möchten doch herauskommen und den Bären töten.
Tag für Tag, Nacht für Nacht, den ganzen Februar hindurch ziehen jetzt die Kavaliere nach dem oberen Löfsee hinauf, um den Bären zu finden; aber er entweicht ihnen. Hat er Schlauheit vom Fuchs und Geschwindigkeit von dem Wolf gelernt? Liegen sie auf der Lauer in dem einen Gehöft, so verheert er das andere. Suchen sie ihn im Walde, dann verfolgt er den Bauern, der über das Eis gefahren kommt. Er ist der frechste Räuber geworden: er kriecht auf den Boden hinauf und leert Mutters Honigkruke. Er schlägt das Pferd vor Vaters Schlitten tot.
Aber dann, nach und nach fängt man an zu verstehen, was für ein Bär es ist und warum Gösta nicht auf ihn schießen konnte. Es ist unheimlich, davon zu sprechen, schrecklich, es zu glauben; aber es ist kein gewöhnlicher Bär. Niemand kann daran denken, ihn zu erlegen, falls er nicht eine silberne Kugel in der Büchse hat. Eine Kugel aus Silber und Glockenerz, СКАЧАТЬ