Название: Die Leute von Seldwyla
Автор: Gottfried Keller
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754179000
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Schande genug," sagte sie, daß die Frauen euch vermahnen sollen zu tun, was sich gebührt und was eine verschworene Pflicht und Schuldigkeit ist!"
Ei so tue doch nicht so," erwiderte Fritz, seit wann wird denn der Staat stille stehn, wenn einer mehr oder weniger mitgeht, und seit wann ist es denn nötig, daß ich gerade überall dabei bin?"
Dies ist keine Bescheidenheit, die dies sagt," antwortete die Mutter, dies ist vielmehr verborgener Hochmut! Denn ihr glaubt wohl, daß ihr müßt dabei sein, wenn es irgend darauf ankäme, und nur weil ihr den gewohnten stillen Gang der Dinge verachtet, so haltet ihr euch für zu gut, dabei zu sein!"
Es ist aber in der Tat lächerlich, allein dahin zu gehen," sagte
Fritz, jedermann sieht einen hingehen, wo dann niemand als die
Kirchenmaus zu sehen ist."
Frau Amrain ließ aber nicht nach und erwiderte: Es genügt nicht, daß du unterlassest, was du an den Seldwylern lächerlich findest! Du mußt außerdem noch tun grade, was sie für lächerlich halten; denn was diesen Eseln so vorkommt, ist gewiß etwas Gutes und Vernünftiges! Man kennt die Vögel an den Federn, so die Seldwyler an dem, was sie für lächerlich halten. Bei allen kleinen Angelegenheiten, bei allen schlechten Geschichten, eitlen Vergnügungen und Dummheiten, bei allem Gevatter- und Geschnatterwesen befleißigt man sich der größten Pünktlichkeit; aber alle vier Jahre einmal sich pünktlich und vollzählig zu einer Wahlhandlung einzufinden, welche die Grundlage unsers ganzen öffentlichen Wesens und Regimentes ist, das soll langweilig, unausstehlich und lächerlich sein! Das soll in dem Belieben und in der Bequemlichkeit jedes einzelnen stehen, der immer nach seinem Rechte schreit, aber sobald dies Recht nur ein bißchen auch nach Pflicht riecht, sein Recht darin sucht, keines zu üben! Wie, ihr wollt einen freien Staat vorstellen und seid zu faul, alle vier Jahre einen halben Tag zu opfern, einige Aufmerksamkeit zu bezeigen und eure Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem Regiment, das ihr vertragsmäßig eingesetzt, zu offenbaren? Sagt nicht, daß ihr immer da wäret, wenn es sein müßte! Wer nur da ist, wenn es ihn belustigt und seine Leidenschaft kitzelt, der wird einmal ausbleiben und sich eine Nase drehen lassen, grade wenn er am wenigsten daran denkt.
Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, und so auch der, welcher für das Wohl des Landes arbeitet und dessen öffentliche Dinge besorgt, die in jedem Hause in Einrichtungen und Gesetzen auf das tiefste eingreifen. Schon die alleräußerlichste Artigkeit und Höflichkeit gegen die betrauten Männer erforderte es, wenigstens an diesem Tage sich vollzählig einzufinden, damit sie sehen, daß sie nicht in der Luft stehen. Der Anstand vor den Nachbarn und das Beispiel für die Kinder verlangen es ebenfalls, daß diese Handlung mit Kraft und Würde begangen wird, und da finden es diese Helden unbequem und lächerlich, die gleichen, welche täglich die größte Pünktlichkeit innehalten, um einer Kegelpartie oder einer nichtssagenden aberwitzigen Geschichte beizuwohnen.
Wie, wenn nun die sämtlichen Behörden, über solche Unhöflichkeit erbittert, euch den Sack vor die Tür würfen und auf einmal abtreten würden? Sag' nicht, daß dies nie geschehen werde! Es wäre doch immer möglich, und alsdann würde eure Selbstherrlichkeit dastehen, wie die Butter an der Sonne; denn nur durch gute Gewöhnung, Ordnung und regelrechte Ablösung oder kräftige Bestätigung ist in Friedenszeiten diese Selbstherrlichkeit zu brauchen und bemerklich zu machen. Wenigstens ist es die allerverkehrteste Anwendung oder Offenbarung derselben, sich gar nicht zu zeigen, warum? weil es ihr so beliebt!
Nimm mir nicht übel, das sind Kindesgedanken und Weibernücken; wenn ihr glaubt, daß solche Aufführung euch wohl anstehe, so seid ihr im Irrtum. Aber ihr beneidet euch selbst um die Ruhe und um den Frieden, und damit die Dinge, obgleich ihr nichts dagegen einzuwenden wißt, und nur auf alle Fälle hin so ins Blaue hinein schlecht begründet erscheinen, so wählt ihr nicht oder überlaßt die Handlung den Nachtwächtern, damit, wie gesagt; vorkommendenfalls von eurem Neste Seldwyla ausgeschrien werden könne, die öffentliche Gewalt habe keinen festen Fuß im Volke. Bübisch ist aber dieses und es ist gut, daß eure Macht nicht weiter reicht, als eure lotterige Stadtmauer!"
Ihr und immer ihr!" sagte Fritz ungehalten, was hab' ich denn mit diesen Leuten zu schaffen? Wenn dieselben solche elende Launen und Beweggründe haben, was geht das mich an?"
Gut denn," rief Frau Regel, so benimm dich auch anders als sie in dieser Sache und geh' zu den Wahlen!"
Damit", wandte ihr Sohn lächelnd ein, man außerhalb sage, der einzige Seldwyler, welcher denselben beigewohnt, sei noch von den Weibern hingeschickt worden?"
Frau Amrain legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: Wenn es heißt, daß deine Mutter dich hingeschickt habe, so bringt dir dies keine Schande und mir bringt es Ehre, wenn ein solcher tüchtiger Gesell sich von seiner Mutter schicken läßt! Ich würde wahrhaftig stolz darauf sein und du kannst mir am Ende den kleinen Gefallen zu meinem Vergnügen erweisen, nicht so?"
Fritz wußte hiergegen nichts mehr vorzubringen und zog den Rock an und setzte den Bürgerhut auf. Als er mit der trefflichen Frau den Berg hinunterging, sagte er: Ich habe dich in meinem Leben nie so viel politisieren hören, wie soeben, Mutter! Ich habe dir so lange Reden gar nicht zugetraut!"
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