Название: Die Leute von Seldwyla
Автор: Gottfried Keller
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754179000
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Sobald Frau Regula diese Übertreibungen und dies unmäßige Mißtrauen vernahm, verlor sie die Hälfte des Schreckens, welchen sie zuerst empfunden, da die Torheit der Leute ihren Einfluß auf die Wohlbestellten immer selbst reguliert und unschädlich macht. Denn hätten die Seldwyler nur etwa die Befürchtung ausgesprochen, die Gefangenen könnten vielleicht wohl erschossen werden nach dem Standrecht, so wäre sie in tödlicher Besorgnis geblieben; als man aber sagte, sie seien entzweigesägt und gekreuzigt, glaubte sie auch jenes nicht mehr. Dagegen erhielt sie bald einen kurzen Brief von ihrem Sohne, laut welchem er wirklich eingetürmt war und sie um die sofortige Erlegung einer Geldbürgschaft bat, gegen welche er entlassen würde. Mehrere Kameraden seien schon auf diese Weise freigegeben worden. Denn die sieghafte Regierung war in großen Geldnöten und verschaffte sich auf diese Weise einige willkommene außerordentliche Einkünfte, da sie nachher nur die hinterlegten Summen in ebenso viele Geldbußen zu verwandeln brauchte. Frau Amrain steckte den Brief ganz vergnügt in ihren Busen und begann gemächlich und ohne sich zu übereilen, die erforderlichen Geldmittel beizubringen und zurechtzulegen, so daß wohl acht Tage vergingen, ehe sie Anstalt machte, damit abzureisen. Da kam ein zweiter Brief, welchen der Sohn Gelegenheit gefunden, heimlich abzuschicken und worin er sie beschwor, sich ja zu eilen, da es ganz unerträglich sei, seinen Leib dergestalt in der Gewalt verhaßter Menschen zu sehen. Sie wären eingesperrt wie wilde Tiere, ohne frische Luft und Bewegung, und müßten Habermus und Erbsenkost aus einer hölzernen Bütte gemeinschaftlich essen mit hölzernen Löffeln. Da schob sie lächelnd ihre Abreise noch um einige Tage auf, und erst als der eingepferchte Tatkräftige volle vierzehn Tage gesessen, nahm sie ein Gefährt, packte die Erlösungsgelder nebst frischer Wäsche und guten Kleidern ein und begab sich auf den Weg. Als sie aber ankam, vernahm sie, daß ehestens eine Amnestie ausgesprochen würde über alle, die nicht ausgezeichnete Rädelsführer seien, und besonders über die Fremden, da man diese nicht unnütz zu füttern gedachte und jetzt keine eingehenden Gelder mehr erwartete. Da blieb sie noch zwei oder drei Tage in einem Gasthofe, bereit, ihren Sohn jeden Augenblick zu erlösen, der übrigens seiner Jugend wegen nicht sehr beachtet wurde. Die Amnestie würde auch wirklich verkündet, da diesmal die siegende Partei aus Sparsamkeit die wahre Weise befolgte: im Siege selbst, und nicht in der Rache oder Strafe, ihr Bewußtsein und ihre Genugtuung zu finden. So fand denn der verzweifelte Fritz seine Mutter an der Pforte des Gefängnisses seiner harrend. Sie speiste und tränkte ihn, gab ihm neue Kleider und fuhr mit ihm nebst der geretteten Bürgschaft von dannen. Als er sich nun wohlgeborgen und gestärkt neben seiner Mutter sah, fragte er sie, warum sie ihn denn so lange habe sitzen lassen? Sie erwiderte kurz und ziemlich vergnügt, wie ihm schien, daß das Geld eben nicht früher wäre aufzutreiben gewesen. Er kannte aber den Stand ihrer Angelegenheiten nur zu wohl und wußte genau, wo die Mittel zu suchen und zu beziehen waren. Er ließ also diese Ausflucht nicht gelten und fragte abermals. Sie meinte, er möchte sich nur zufrieden geben, da er durch sein Sitzen in dem Turme ein gutes Stück Geld verdient und überdies Gelegenheit erhalten, eine schöne Erfahrung zu machen. Gewiß habe er diesen oder jenen vernünftigen Gedanken zu fassen die Muße gehabt. Du hast mich am Ende absichtlich stecken lassen," erwiderte er und sah sie groß an, und hast mir in deinem mütterlichen Sinne das Gefängnis förmlich zuerkannt?" Hierauf antwortete sie nichts, sondern lachte laut und lustig in dem rollenden Wagen, wie er sie noch nie lachen gesehen. Als er hierauf nicht wußte, welches Gesicht er machen sollte, und seltsam die Nase rümpfte, umhalste sie ihn noch lauter lachend und gab ihm einen Kuß. Er sagte aber kein Wort mehr, und es zeigte sich von nun an, daß er in dem Gefängnis in der Tat etwas gelernt habe.
Denn er hielt sich in seinem Wesen jetzt viel ernster und geschlossener zusammen und geriet nie wieder in Versuchung, durch eine unrechtmäßige oder leichtsinnige Tatlust eine Gewalt herauszufordern und seine Person in ihre Hand zu geben zu seiner Schmach und niemand zu Nutzen. Er nahm sich nicht gerade vor, nie mehr auszuziehen, da die Ereignisse nicht zum voraus gezählt werden können und niemand seinem Blut gebieten kann, stille zu stehn, wenn es rascher fließt; aber er war nun sicher vor jeder nur äußerlichen und unbedachten Kampflust. Diese Erfahrung wirkte überhaupt dermaßen auf den jungen Mann, daß er mit verdoppeltem Fortschritt an Tüchtigkeit in allen Dingen zuzunehmen schien und den Sachen schon mit voller Männlichkeit vorstand, als er kaum zwanzig Jahre alt war. Frau Amrain gab ihm deswegen nun die junge Frau, welche er wünschte, und nach Verlauf eines Jahres, als er bereits ein kleines hübsches Söhnchen besaß, war er zwar immer wohlgemut, aber um so ernsthafter und gemessener in seinen fleißigen Geschäften, als seine Frau lustig, voll Gelächter und guter Dinge war; denn es gefiel ihr über die Maßen in diesem Hause und sie kam vortrefflich mit ihrer Schwiegermutter aus, obgleich sie von dieser verschieden und wieder eine andere Art von gutem Charakter war.
So schien nun das Erziehungswerk der Frau Regula auf das beste gekrönt, um der Zukunft mit Ruhe entgegenzusehen; denn auch die beiden älteren Söhne, welche zwar trägen Wesens, aber sonst gutartig waren, hatte sie hinter dem wackeren Fritz her leidlich durchgeschleppt, und als dieselben herangewachsen, die Vorsicht gebraucht, sie in anderen Städten in die Lehre zu geben, wo sie denn auch blieben und ihr ferneres Leben begründeten als ziemlich bequemliche, aber sonst ordentliche Menschen, von denen nachher so wenig zu sagen war, wie vorher.
Fritz aber, da er bereits ein würdiger Familienvater war, mußte doch noch einmal in die Schule genommen werden von der Mutter, und zwar in einer Sache, um die sich manche Mutter vom gemeinen Schlage wenig bekümmert hätte. Der Sohn war ungefähr zwei Jahre schon verheiratet, als das Ländchen, welchem Seldwyla angehörte, seinen obersten maßgebenden Rat neu zu bestellen und deshalben die vierjährigen Wahlen vorzunehmen hatte, infolge deren denn auch die verwaltenden und richterlichen Behörden bestellt wurden. Bei den letzten Hauptwahlen war Fritz noch nicht stimmfähig gewesen und es war jetzt das erstemal, wo er dergleichen beiwohnen sollte. Es war aber eine große Stille im Lande. Die Gegensätze hatten sich einigermaßen ausgeglichen und die Parteien einander abgeschliffen; es wurde in allen Ecken fleißig gearbeitet, man lichtete die alten Winkeleien in der Gesetzsammlung und machte fleißig neue, gute und schlechte, bauete öffentliche Werke, übte sich in einer geschickten Verwaltung ohne Unbesonnenheit, doch auch ohne Zopf, und ging darauf aus, jeden an seiner Stelle zu verwenden, die er verstand und treulich versah, und endlich gegen jedermann artig und gerecht zu sein, der es in seiner Weise gut meinte und selbst kein Zwinger und Hasser war. Dies alles war nun den Seldwylern höchst langweilig, da bei solcher stillgewordenen Entwicklung keine Aufregung stattfand. Denn Wahlen ohne Aufregung, ohne Vorversammlungen, Zechgelage, Reden, Aufrufe, ohne Umtriebe und heftige schwankende Krisen, waren ihnen so gut wie gar keine Wahlen, und so war es diesmal entschieden schlechter Ton zu Seldwyla, von den Wahlen nur zu sprechen, wogegen sie sehr beschäftigt taten mit Errichtung einer großen Aktienbierbrauerei und Anlegung einer Aktienhopfenpflanzung, da sie plötzlich auf den Gedanken gekommen waren, eine solche stattliche Bieranstalt mit weitläufigen guten Kellereien, Trinkhallen und Terrassen werde der Stadt einen neuen Aufschwung geben und dieselbe berühmt und vielbesucht machen. Fritz Amrain nahm an diesen Bestrebungen eben keinen Anteil, allein er kümmerte sich auch wenig um die Wahlen, so sehr er sich vor vier Jahren gesehnt hatte, daran teilzunehmen. Er dachte sich, da alles gut ginge im Lande, so sei kein Grund, den öffentlichen Dingen nachzugehen, und die Maschine würde deswegen nicht stille stehen, wenn er schon nicht wähle. Es war ihm unbequem, an dem schönen Tage in der Kirche zu sitzen mit einigen alten Leuten; und, wenn man es recht betrachtete, schien sogar ein Anflug von philisterhafter Lächerlichkeit zu kleben an den diesjährigen Wahlen, da sie eine gar so stille und regelmäßige Pflichterfüllung waren. Fritz scheuete die Pflicht nicht; wohl aber haßte er nach Art aller jungen Leute kleinere Pflichten, welche uns zwingen, zu ungelegener Stunde den guten Rock anzuziehen, den besseren Hut zu nehmen und uns an einen höchst langweiligen oder trübseligen Ort hinzubegeben, als wie ein Taufstein, ein Kirchhof oder ein Gerichtszimmer. Frau Amrain jedoch hielt gerade diese Weise der Seldwyler, die sie nun angenommen, СКАЧАТЬ