Название: Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: gelbe Buchreihe
isbn: 9783754180402
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Es war ein Einfall, so einfach, so naheliegend, wie es das Geniale zu sein pflegt, den Briefen der Reuchlinisten solche der Arnoldisten an die Seite zu stellen, wie sie die große Angelegenheit von ihrem Standpunkt, der sumpfigen Niederung aus, betrachteten. Wie dort die Humanisten Reuchlin ihre Anhänglichkeit bezeugten, so hier die Mönche dem Magister Ortuin Gratias von Deventer, Professor der scholastischen Philosophie in Köln, den Humanisten besonders verhasst, weil er, der selbst Humanist und Dichter sein wollte, von ihnen als Abtrünniger betrachtet wurde. Im ersten Brief unterbreitet Thomas Langschneider, Bakkalaureus der Theologie, dem Magister Ortuin eine wichtige Streitfrage, ob man nämlich magister nostrandus oder noster magistrandus zu sagen habe. Bei Gelegenheit eines Magisterschmauses, wo es bei Malvasier, Rheinwein, Einbecker und Torgauer Bier, Kapaunen und Fischen lustig zugegangen war, hatte man auch über ernste Fragen, darunter diese, gesprochen. Magister Warmsemmel, ein gar scharfsinniger Scholast, sprach sich für noster magistrandus aus, weil magistrare so viel heiße wie einen zum Magister machen, dagegen nostrare nicht gebräuchlich sei und weder im Wörterbuch „Ex quo“ noch im Catholicon, noch im Breviloquium, noch in der Gemma Gemmarum stehe. Ein gleichfalls höchst scharfsinniger Magister habe dem Warmsemmel Widerpart gehalten, indem er gesagt habe, man könne ja neue Wörter bilden, und das aus dem Horaz bewiesen habe. Eine noch heiklere Frage bringt das zweite Schreiben vor. Dem Magister Pelzer und einem Bakkalaureus, die auf der Frankfurter Messe waren, begegneten zwei anständig aussehende Männer, die schwarze Talare und große Kapuzen mit Zipfeln trugen. Pelzer hielt sie für Magister und grüßte sie ehrerbietig, worauf der Bakkalaureus ihn darauf aufmerksam machte, dass es Juden waren, vor denen er das Barett abgezogen hatte. „Gott sei mir gnädig, was hab ich aus Unwissenheit getan“, ruft der erschreckte Magister, unsicher, ob er nicht eine Todsünde begangen habe, weil man sein Vergehen unter den Begriff der Götzendienerei bringen könne, und weil der Bakkalaureus meint, so krasse Unwissenheit könne keine Sündenvergebung bewirken. Er bittet Ortuin zu entscheiden, ob eine Todsünde oder eine lässliche Sünde, ob ein einfacher oder bischöflicher oder päpstlicher Fall vorliege.
Mit so bescheidenem Spott beginnen die Briefe, dass es Dominikaner gab, die sie für echt hielten und mit Vergnügen lasen. Freilich konnte diese Gutgläubigkeit vor der rasch zunehmenden Dreistigkeit des Hohnes nicht bestehen; die verliebten Abenteuer besonders waren mit allzu triefendem Pinsel ausgemalt, die erfundenen Verirrungen der Gelehrsamkeit allzu närrisch. Köstlich ist der Brief des Bruders Dollenkopf, der an der Heidelberger Universität Poesie studiert und an Hand der Schriften des Magister Angelicus Stellen aus Ovids Metamorphosen auf viererlei Weise erklären gelernt hat, nämlich natürlich, wörtlich, geschichtlich und nach dem Geist, und als Beispiel verschiedene Stellen daraus mit Stellen aus der Heiligen Schrift vergleicht: Diana bezeichnet die Jungfrau Maria, die mit vielen Jungfrauen hierhin und dorthin wandelt, worauf der Psalm sich bezieht „Die Jungfrauen, die dir nachgehen, führt man zu dir“. Auf Jupiters Beziehungen zu Europa geht die Stelle „Höre, Tochter, schaue darauf und neige das Ohr, denn dein König hat Lust an deiner Schöne gehabt“; Semele, die den Bacchus säugt, bezeichnet wieder die allerseligste Jungfrau, von der geschrieben steht „Nimm hin das Kindlein und säuge mir's“; der seine Schwester suchende Cadmus stellt Christus vor, der die menschliche Seele sucht.
Mit welcher Kunst der einmal angenommene Grad von Albernheit durchgeführt ist, kann nur der Leser des ganzen Werkes einschätzen. Die aufgeblasene Einfalt spricht aus jeder Wendung und Mitteilung, auch aus ganz bedeutungslosen Sätzen. Wie gute Schauspieler sich in eine Rolle versetzen und nun der Dargestellte sind vom Scheitel bis zur Sohle, in jeder Miene und Bewegung, so spielen die geistvollen Verfasser höchst geistlose, im Schlamm sinnlichen Behagens plätschernde Dickbäuche, unschuldige Heuchler insofern, als Heuchelei durch Gewöhnung Natur geworden ist. Man sagt sich wohl, so dumm, so unwissend, so ausschweifend können Ordensleute, die an Universitäten lernen und lehren, nicht gewesen sein, aber man begreift, dass übertrieben werden muss, weil wenige an Stelle von vielen stehen, und weil Torheit und Schlechtigkeit sonst nicht deutlich werden. Mit sehr feiner Kunst ist auch die plumpe Behandlung der lateinischen Sprache durchgeführt, sowohl die üblichen Entgleisungen in der Umgangssprache wie der als Merkmal des Poetischen geltende Schwulst. Denn die Mönche treten durchaus nicht etwa als Gegner der Poesie auf, im Gegenteil, sie sind stolz darauf, Gedichte machen zu können, und führen zum Beweis ihrer nach scholastischen Lehrbüchern erlernten Meisterschaft gern Proben an, die den gelungensten Schmuck des Buches bilden. Es perlt durch die Briefe ein kristallhelles und wohllautendes Gelächter, kindlich harmlos, Überschwang einer fröhlichen Stunde. Liest man die Namen der Briefsteller: Gänseprediger, Ziegenmelker, Hafenmus, Schlauch, Unkepunke, so glaubt man sich unter ausgelassenen Gassenbuben zu befinden, die einen Schabernack vorhaben. Aber mitten im Spiel blitzt es wie Schwerter, verrät sich ein ernster Wille, der den kecken Streich zur ritterlichen Tat macht. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die angegriffenen Dominikaner eine festbegründete, eine sehr gefährliche Macht waren. In ihren Händen lag die Inquisition, sie waren ein Teil der legitimen Gewalt, die seit Jahrhunderten das Abendland beherrschte, die den Gegner mit Feuer vernichtete. Angriffen war diese Macht zuweilen durch mutige oder verzweifelte Menschen; hier war sie durch den Zauber des Geistes aufgehoben, ausgelöscht durch Witz und Spott, ihr Ende war vorweggenommen. In diesem Buch hatte die Freiheit gesiegt. Das ängstliche Sichducken vor starren, den Geist einschnürenden Gesetzen, die heuchlerische Demut vor verachtetem Popanz, die Allgewalt eines einzigen über Millionen von Geknechteten, das alles hatten Sturmvögel weggeweht. Mit den Fetzen der entlarvten Götzen spielte die von ihrem Schwung bewegte Luft.
Verbindend und gestaltend geht durch alle Briefe, schon im ersten beginnend, Reuchlins Prozess, dessen Entscheidung bei der Kommission in Rom lag. Die Spannung zu steigern, wurden einige Briefsteller dorthin versetzt und berichten über den Gang der Verhandlungen aus eigener Anschauung, so dass sich Furcht und Hoffnung, von Anhängern und Gegner wechselnd empfunden, im Werk spiegeln. Einen beiläufigen Spaß machten sich die Verfasser daraus, dass sie in der zweiten Brieffolge, die 1517 erschien, ihre Mönche zuweilen die Dunkelmännerbriefe anführen ließen, so als wären sie stolz auf die vielen gelehrten Freunde, die ihr verehrter Magister Ortuin habe.
Die Epistolae obscurorum virorum sind das einzige von Humanisten verfasste schriftstellerische Kunstwerk, das die Zeit überdauert hat und dauern wird, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat. Nur hier wird die Vergangenheit, die so oft durch die lateinische Sprache und fremdartige Gedankengänge ein mühseliges und unfruchtbares Studium bedeutet, zur blühenden Gegenwart. Wir verstehen, dass es hier nicht um ciceronianische Rhetorik oder um verstaubte, schwer zu ergrübelnde Thesen geht, sondern um etwas Unvergängliches, Unersetzliches, etwas allen Menschen zu jeder Zeit Notwendiges, die Luft, in der der Geist atmet: um Freiheit.
Verfasser der ersten Briefe war, wie man mit ziemlicher Sicherheit annimmt, der junge Humanist Crotus Rubeanus. Er besaß den Humor, der neben den hassens- oder verachtenswürdigen Seiten des Gegners zugleich die komischen sieht und an diesen solches Vergnügen hat, dass er ihn beinah liebgewinnt. Je länger er mit diesen Ketzerrichtern im Geiste umgeht, die so wundervoll albern, selbstgefällig wie der Hahn auf dem Mist paradieren, desto mehr überkommt ihn eine Art von Zärtlichkeit für diese kostbaren Modelle; er möchte sie lieber streicheln als vernichten.
Ulrich von Hutten, * 21. April 1488, † 20. August 1523
Ganz anders Hutten, der am zweiten Teil der Briefe beteiligt war. Ihm führen Zorn und Entrüstung die Feder, sein Witz ist scharf, er СКАЧАТЬ