Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
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СКАЧАТЬ fände, könne man sie vernichten und die Juden bestrafen, aber nur nach ordentlichem Verhör und Urteil. Er beschloss das Gutachten mit dem Rat, die Bücher nicht zu verbrennen, sondern die Juden durch vernünftige Disputationen sanftmütig und gütlich zum christlichen Glauben zu bekehren.

       Auf den Kaiser, den Freund der Humanisten, machte Reuchlins Gutachten offenbar Eindruck, denn obwohl alle anderen, ausgenommen das der Universität Heidelberg, sofortige Einziehung und Unterdrückung aller jüdischen Bücher rieten, verschob er die Angelegenheit auf eine Beratung der Reichsstände. Wütend, dass ihm seine Opfer entgangen waren, und vermutlich angetrieben von den Kölner Dominikanern, schrieb Pfefferkorn den Handspiegel, eine Schmähschrift, in der er sich erdreistete, Reuchlin zu verdächtigen, als sei er von den Juden bestochen worden. Reuchlin wies im Augenspiegel die 34 Lügen des Pfefferkorn, so viele nämlich enthalte der Handspiegel, zurück, vor allem, wie sich von selbst versteht, den Vorwurf der Bestechlichkeit. Weit entfernt, dadurch zum Schweigen gebracht zu sein, wurde der penetrante Pfefferkorn nur umso hitziger. Er bewirkte, dass der Augenspiegel der theologischen Fakultät der Universität Köln eingereicht wurde, die ihrerseits das Buch dem Professor Arnold von Tungern überwies, damit er es auf die Rechtgläubigkeit des Verfassers hin untersuche. Reuchlin war ein großgewachsener, stattlicher Mann, damals 56 Jahre alt, seines Wertes bewusst, durch das allgemeine Ansehen, das er genoss, gehoben. Trotzdem überlief ihn ein Grauen; es war, wie wenn vom Rhein her ein brenzliger Geruch zu ihm gedrungen wäre. War Unschuld ein Schutz gegen die Inquisition? Nicht nur, dass das nicht der Fall war, schon der Prozess, die Untersuchung, die Quälerei des Ausfragens schreckten ihn. Er lebte mit seiner kränklichen Frau auf einem kleinen Landgut in der Nähe von Stuttgart, in seine Studien vertieft und beglückt durch den Anblick seiner weißen Pfauen. Dies geliebte Asyl wollte er sich nicht entreißen lassen. So schrieb er denn einen höflichen, allzu höflichen, ja unterwürfigen Brief an Arnold von Tungern, in dem er seine Übereinstimmung mit dem Kirchenglauben beteuerte und sich bereit erklärte zurückzunehmen, was etwa in seinen Schriften gegen denselben verstoße. Nach mehrmaligem Briefwechsel trat die Kölner Fakultät unverhohlen mit der Forderung hervor, Reuchlin sollte den Augenspiegel nicht mehr verkaufen, öffentlich erklären, dass er in allem mit der Kirche übereinstimme und die Juden mit ihren gottlosen Büchern, insbesondere den Talmud, verwerfe. Diese hochfahrend und überheblich vorgetragene Zumutung brachte Reuchlin wieder zu sich selbst; er richtete sich zu seiner alten Mannhaftigkeit auf, lehnte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als erlogen ab und nannte die Gegner mit den damals üblichen Schimpfwörtern Füchse, Schweine, Maulesel, Furien.

       Wie würde sich Kaiser Maximilian verhalten? Er war ein Freund der Humanisten, die wiederum ihm begeistert anhingen; es war kaum einer unter ihnen, der ihn nicht durch ein Gedicht oder eine Ansprache verherrlicht hätte. Er liebte es, sich mit ihnen in Gespräche einzulassen, und verkehrte mit ihnen, als wären sie seinesgleichen, wie er denn gelegentlich die Ansicht aussprach, dass eigentlich die Gebildetsten und Gelehrtesten herrschen müssten. Einmal, es war in Boppard im Jahr 1508, richtete er acht Fragen an den berühmten Abt Trithemius, darunter die folgenden: Warum Gott von den Menschen lieber geglaubt als gewusst und erkannt werden wolle? Ob, da nur ein kleiner Teil der Welt den christlichen Gesetzen unterworfen sei, die Meinung derer zugelassen werden könne, welche annähmen, jeder könne in einer Religion, die er für wahr halte, als Verehrer Eines Gottes außerhalb des Christentums und der Taufe selig werden? Ob aus der natürlichen Vernunft so gut wie aus der Schrift bewiesen werden könne, dass Gott für alle Wesen Sorge trage?

       Trithemius geriet einigermaßen in Verlegenheit und erbat sich drei Monate Zeit zur Beantwortung, denn er wollte sich nicht auf einer mit den kirchlichen Dogmen in Widerspruch stehenden Äußerung ertappen lassen. Sie waren in der Tat etwas schlüpfrig, die Fragen des Kaisers, und man glaubt das leise skeptische und schelmische Blinzeln seiner Augen zu sehen, wie er den gelehrten Abt aufs Eis führt. Konnte einer, der so fragte, auf der Seite der Kölner Ketzerrichter stehen? Sicherlich nicht; aber wenn er als Kaiser auftrat, konnte er auch nicht ohne weiteres seinem persönlichen Geschmack und Urteil folgen. Er war durch Eid verpflichtet, den Papst und die Kirche zu schützen und die Ketzer zu bestrafen, außerdem stand er in vielfacher politischer Beziehung zum Papst; war sie feindlich, suchte er ihm zu schaden, zuweilen aber, wenn der Papst grade eine Schwenkung zu seinen Gunsten gemacht hatte, tat er ihm zu Gefallen, was er konnte. Schließlich, es konnte nicht alles, was in der kaiserlichen Kanzlei einlief, dem Kaiser mitgeteilt werden, manches fertigten seine Räte aus, ohne dass er davon wusste, und taten es oft im Sinne der Meistbietenden. Der Kaiser selbst war beweglichen Geistes, folgte augenblicklichen Eindrücken und erlag leicht den Gründen, die der letzte Bittsteller vortrug. So kam es, dass Reuchlin von ihm ein Mandat erlangte, welches beiden streitenden Teilen Schweigen auferlegte, und seine Gegner bald darauf ein anderes vorweisen konnten, das den rheinischen Erzbischöfen und dem Ketzermeister befahl, den Augenspiegel zu unterdrücken. Die Pariser Universität, die an Stelle der nicht gefügigen Heidelberger um ein Gutachten angegangen wurde, sprach sich einstimmig dahin aus, dass der Augenspiegel zu verbrennen sei und Reuchlin widerrufen müsse. Hocherfreut lud Hochstraten, der Ketzermeister, Reuchlin vor sein Tribunal in Mainz, wo der Beklagte im Herbst 1513 erschien. Da das Ergebnis zunächst kein anderes war, als dass Reuchlin an den Papst appellierte und der Erzbischof von Mainz Aufschub verlangte, ordnete Hochstraten, um sich doch irgendeines Scheiterhaufens zu erfreuen, die Verbrennung des Augenspiegels an, und schon strömten schaulustige Scharen herbei, als im letzten Augenblick ein Verbot des Erzbischofs eintraf, dazu Aufhebung des Inquisitionsgerichts und Genehmigung der Appellation. Der enttäuschte Hochstraten verschaffte sich in Köln Genugtuung, wo der Augenspiegel als ein nach Ketzerei schmeckendes, judenfreundliches, gegen heilige Kirchenlehren unehrerbietiges, ärgerliches Buch verbrannt wurde.

Grafik 23

      Leo X. (geboren als Giovanni de’ Medici; * 11. Dezember 1475 in Florenz; † 1. Dezember 1521 in Rom) war vom 11. März 1513 bis zu seinem Tod römisch-katholischer Papst.

       In der wechselvollen Geschichte dieses Streites folgte dem Hochstratenschen Triumph bald ein Reuchlinscher: der Bischof von Speyer, dem der Papst die Behandlung der Appellation übertragen hatte, erklärte den Augenspiegel für nicht allzu judenfreundlich, nicht unehrerbietig, nicht ärgerlich, verurteilte Hochstraten zum Stillschweigen und Tragen der Kosten und gebot ihm noch dazu, sich in kürzester Frist mit Reuchlin zu vergleichen. Einer solchen Demütigung sich zu unterziehen kam dem Ketzermeister nicht in den Sinn, der gewohnt war, wie der Vorsitzende des Jüngsten Gerichts Seelen und Leiber nach Belieben in die Hölle zu stoßen. Er appellierte seinerseits an den Papst, worauf Reuchlin dasselbe zum zweiten Mal tat. Da kurz vorher Leo X., der Medizäer, auf den päpstlichen Thron erhoben war, bekannt als Humanist, aufgeklärter Mann und Mäzen, konnte man darauf rechnen, dass er nichts gegen Reuchlin unternehmen werde. Reuchlins Gesuch, die Sache endlich zu seinen Gunsten zu entscheiden, war vom Kaiser, von mehreren Kurfürsten, Fürsten, Bischöfen und Äbten und 53 schwäbischen Städten unterzeichnet; in Pforzheim geboren, gehörte Reuchlin zu Schwaben. Aber nicht nur in Deutschland, auch in dem anspruchsvollen Italien wurde Reuchlin verehrt. Die Gelehrten des Abendlandes bildeten eine erlauchte Republik, deren Lob und Tadel nicht wenig galt.

      Der einzigen Waffe, die ihm zu Gebote stand, bediente sich Reuchlin.

      Unter dem Titel Epistolae clarorum virorum, Briefe berühmter Männer, veröffentlichte er die Briefe, die bekannte Humanisten zustimmend, rühmend an ihn gerichtet hatten. In einer späteren Auflage wurden die Namen aller Reuchlinisten angeführt, im ganzen 43, darunter Erasmus, Pirckheimer und Peutinger, Patrizier von Nürnberg und Augsburg, der Graf von Neuenaar, Hutten, Crotus Rubeanus, Eoban Hesse, Oekolampad, Vadian, Glarean, Melanchthon, Hermann von Busche, lauter edle Namen, die dem damaligen Deutschland Glanz und Klang gaben. Dagegen hatte Hochstraten etwas aufzuweisen, was vielleicht noch mehr glänzte und klang. In ansehnlichem Aufzug begab er sich nach Rom, die Taschen voll Gold und begleitet von den Segenswünschen der Dominikaner. Nach Art aller die Throne stützenden Schichten fingen sie an, heimlich die Faust gegen ihr Idol zu ballen, falls gegen sie entschieden würde. Geld hatte Reuchlin nicht, im Gegenteil, der Prozess hatte ihn bereits über Vermögen angegriffen, und man wusste, was für ein Heißhunger СКАЧАТЬ