Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel
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Название: Der unheimliche "Erste Diener des Staates"

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783754935156

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СКАЧАТЬ Zeit von ihrem Leibarzt trennen wäll, wenn damit dem großen Friedrich ein Gefalle geschieht ...

      Am nächsten Vormittag lässt sich der König im Lehnstuhl auf die Terrasse hinaustragen. Er ist von der Anstrengung des Vortages noch ermattet, fühlt sich aber doch erleichtert und schmerzfreier. Eine Stunde bleibt ihm noch bis zur Mittagsmahlzeit, die auf die Minute genau eingenommen wird und ihm heute besonders gut schmecken dürfte.

      Wohlig lässt er sich von der Sonne wärmen. Nach einer Weile wirft er sogar die Pelzdecke von seinen Knien auf die Erde. Abgenutzt und schäbig, wie das meiste, was dem König an Gegenständen dient, ist dieser einst kostbare Zobelpelz, ein Geschenk der Zarin Elisabeth. Ein behagliches Überlegenheitsgefühl weckt der alte Pelz in Friedrich, und er sinniert vor sich hin: Ja, ja, deine alte Feindin Elisabeth! Zwei gute Taten hat das liederliche und saufige Weibsstück immerhin vollbracht, den wohltuenden Zobel hat sie Mir, um Mich zu bestechen, geschenkt, und später, anno 1762, im Siebenjährigen Krieg, ist sie genau zur richtigen Zeit gestorben: mon Dieu, das Wasser stand Mir schon bis zum Halse! Wäre damals nicht der Blödian Peter Zar geworden - ob Ich dann heute so schön in der Sonne auf Meiner Terrasse säße? So ein Simpel! Hat, obwohl Russe, Mich glühend bewundert! Na ja, von seinem Großvater Peter dem Großen hatte er verzweifelt wenig an sich!' Während dieser Überlegungen hat ein mokanter Zug um den schmallippigen Mund des alten Mannes gespielt, aber nach einer kleinen Weile wird sein Gesichtsausdruck wieder sanft und melancholisch, während er seine lässigen Gedanken weiter spinnt.

      In solches Sinnen verstrickt, das ihm ein spöttisches Vergnügen zu bereiten scheint, verliert sich der alte Mann immer mehr ins Träumen mit offenen Augen und ist nahe daran, einzunicken.

      Aber dann: „Ah! Die Mittagsmahlzeit! Pas mal!" Und so unternehmungslustig ist der König auf einmal gestimmt, dass er sich partout zu Fuß ins Zimmer begeben will und begibt. Schöning, der Nacht- und Morgendienst gehabt hat, ist dienstfrei. Er richtet es übrigens gern so ein, dass er bei der umfänglichen Mittagsmahlzeit des Königs nicht zugegen ist. Natürlich verbirgt er ganz einwandfrei seinen Kummer, wenn er sehen muss, wie der König falsch und viel zu viel isst, aber er leidet innerlich schwer darunter, was alles an Nahrung in dem kleinen, kranken Körper des Königs Platz findet. Der König gießt siedend heiße Bouillon in sich hinein und hinterher einen großen Esslöffel voll gestoßener Muskatblüten. Der übermäßig scharfe Würzgeruch der Speisen steigt würdig in die Nase und der russische Kaviar, von denen der König eine gehörige Portion vertilgt, schmeckt vorzüglich. Nun, es liegt zwar auf der Hand, dass Könige sich nicht von Schwarzbrot, Gemüse und dicker Milch ernähren können, aber jetzt schiebt den königlichen Esser große Mengen ganz ordinärer dicker, harter Erbsen in sich hinein. Danach eine fetttriefende Aalpastete, die der König mit besonderer Gier zu sich nimmt. Sicherlich die geeignetste Speise, um den geschrumpften Kriegshelden wieder zu der früheren mächtigen Größe anschwellen zu lassen! Doch plötzlich: Der König hört auf zu essen, sitzt eine Weile schwer atmend da und fängt dann an, unter Aufbäumen seines kleinen Körpers heftige Stöhnlaute auszustoßen. Der Kammerhusar ist kaltblütig mit einer Porzellanschale zur Stelle.

      Langwierig und mit Pausen geht das Erbrechen vor sich, schließlich steigert es sich zu großer Heftigkeit und, was herauskommt, ist mit Blut und Eiter untermischt.

      Diesmal ist der König, der das Erbrechen sonst nicht sehr wichtig nimmt, stark angegriffen. Matt, mit geschlossenen Augen hockt er wie halbtot im Lehnstuhl. Der Kammerhusar stellt ganz sachlich bei sich fest: Das muss man Ihm lassen - so eine Kotzstrapaze bei dem kleinen schwachen Körper, das wird Ihm so leicht niemand nachmachen!

      Am Nachmittag nimmt Schöning seinen Dienst wieder auf Eine Minute, bevor die Kaminuhr fünf silberne Schläge gibt tritt er lautlos vor den Lehnstuhl des Königs. Es ist die Stunde in welcher der König seine Kabinettssekretäre empfängt, um die von ihnen im Laufe des Tages ausgefertigten Briefe zu unterzeichnen. Tages- und Arbeitsablauf ist dem König in Fleisch und Blut übergegangen. Beim ersten der fünf Schläge der Kaminuhr hebt er den ganz auf die schmächtige Schulter gesunkenen Kopf erkennt Schöning und erteilt ihm mit der gewohnten kleinen Handbewegung die Erlaubnis, einen Kabinettssekretär vorzulassen. Die wenigen Augenblicke, die vergehen, bis dieser vor dem König steht, hat Seine Majestät benutzt, den alten Filzhut zurechtzurücken und eine einigermaßen herrscherliche Haltung einzunehmen.

      Begrüßung und Arbeit gehen stumm vor sich. Schöning hat den Tisch mit dem Schreibgerät an die Seite des Lehnstuhls gerückt, sodass der König mit der rechten Hand leidlich bequem unterschreiben kann. Der Sekretär nennt nur die Person oder die Amtsstelle, an die das Schreiben gerichtet ist, und reicht es dann dem König hin. Der wirft einen flüchtigen Blick darauf, verzichtet auf Prüfung des Inhalts und greift zur Gänsefeder. Der Sekretär ist geschickt im Festhalten des Briefbogens, so dass der König nicht die gichtige Linke zu Hilfe zu nehmen braucht. Mit jeder Unterschrift, die der König zu leisten hat, wird seine Laune schlechter. Es ärgert ihn, dass er das bisschen „Friedrich" nur immer zittriger aufs Papier bringt.

      Mit einer kleinen Handbewegung wird der Sekretär jetzt vom König verabschiedet. Der König nimmt nun die Hilfe Schönings in Anspruch und lässt sein rechtes Bein von der Umhüllung befreien. Da zeigt es sich, dass die Anschwellung zurückgegangen und eine starke Flüssigkeitsabsonderung eingetreten ist.

      Gar nicht befriedigt ist Schöning. Er hat sich von Doktor Selle belehren lassen, dass der Abgang von Blutwasser zwar zeitweilig eine Linderung der Schmerzen mit sich bringe, aber keineswegs die gefährlichste Verschlimmerung ausschließe. Doch der König ist gutgelaunt und äußert plötzlich Appetit auf Melonen. Damit ist Schöning durchaus einverstanden. Das königliche Gewächshaus liefert Südfrüchte verschiedenster Art. Bald ist Schöning mit zwei ziemlich großen Melonen zur Stelle. Er kennt seinen Herrn, und wirklich verspeist der König die ihm dargereichten Melonenscheiben sämtlich bis auf den Schalenrand mit sichtlichem Genuss.

      Obwohl die siebente Nachmittagsstunde kaum erst angebrochen ist, deutet sodann der König seinen Wunsch an, zur Nacht gebettet zu werden. Er wird vom Lehnstuhl auf das hochlehnige Kanapee nebenan gehoben. Die Nachttoilette besteht eigentlich nur darin, dass ihm der große schwere Reiterstiefel vom gesunden linken Bein mühsam abgezogen wird. Den schäbigen blauen Uniformrock und die schmutzige gelbe Weste behält er an. Mit dem Oberkörper aufrecht, nur die Beine ausgestreckt, sitzt der König mehr, als dass er liegt. Die alte Zobeldecke der Zarin Elisabeth wird über die Füße gebreitet, und das Kanapee-Nachtlager ist fertig. Die hohen Fenstertüren und die Vorhänge werden geschlossen. Wegen der Klarheit des Maiabends herrscht aber noch eine zarte Dämmerung im Zimmer.

      Dann verlangt der König noch einen Opiumtrank, rückt den alten schwarzen Filz tief in die Stirn und winkt seine beiden Kammerhusaren hinaus ...

      Zehn Stunden, bis zum nächsten Morgen fünf Uhr, will der König allein sein. Und er bleibt es auch fast immer. Ein leises Klingeln mit dem silbernen Glöckchen, und ein Kammerhusar wäre zur Stelle. In letzter Zeit sitzt nicht mehr bloß ein gewöhnlicher Lakai, von denen es zwölf in Sans Souci gibt, sondern ein Kammerhusar vor der bloß eingeklinkten Tür und lauscht auf jenes Zeichen. Aber der eine Kammerhusar wie der andere, der ihn nach drei Stunden ablöst, wartet für gewöhnlich vergebens. Nicht, dass der König einen festen, gesunden Schlaf hätte auf Grund des Opiumtrankes! Nur stundenweise schläft er vor Mattigkeit. Aber er muss im Dunkel ruhen, um wieder gesund zu werden. Auf etwas mehr oder weniger Qual kommt es ihm dabei nicht an. Man muss doch demnächst imstande sein, eine Viertelstunde lang mit den Reiterstiefeln an den Beinen - in Denkmalshaltung - aufrecht am Schreibtisch zu stehen! Der neue französische Gesandte muss zu einem Antrittsbesuch empfangen werden! Danach werden es dann alle europäischen Höfe wissen, dass der böse, alte Kerl in Sans Souci noch immer nicht daran denkt, durch seinen Tod Europa von Furcht und Unruhe zu befreien...

      ***

      Schöning hält es nach dem blutuntermischten Erbrechen für geraten, einen Lakaien nach Berlin zum Doktor Selle zu schicken. Der СКАЧАТЬ