Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel
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Название: Der unheimliche "Erste Diener des Staates"

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783754935156

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СКАЧАТЬ König erklärte in Gegenwart aller: „Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopfe vorgeht. Ich weiß, dass er nicht so denkt wie ich; es gibt Leute, die ihm andere Gesinnungen beibringen und ihn veranlassen, alles zu tadeln." Bei diesen Worten schlug er seinen Sohn. Er tat das in der Folgezeit noch öfter und traf damit das empfindliche Ehrgefühl des Heranwachsenden.

      Die Gegensätze zwischen Vater und Sohn waren nicht politischer Natur. Friedrich Wilhelm I, der seine absolutistische Herrschaft im Lande mit despotischen Mitteln durchsetzte, war auch im Familienkreise ein Despot. Vom Sohn und Nachfolger erwartete er unbedingte Unterwerfung. Friedrich sollte sein Werk fortsetzen, mit den Augen des Vaters sehen, seine Neigungen teilen. Vor allem fürchtete er - völlig grundlos, wie sich später erwies - für die militärischen Grundlagen des Staates. „Halte immer auf eine gute Armee und auf Geld", hatte er dem Sohn während der oben beschriebenen Feier mit Backpfeifen eingehämmert. Für die Armee und ein geordnetes Finanzwesen - die Schöpfungen Friedrich Wilhelms I. - sah er Gefahr; denn der Sohn war dem höfischen Leben nicht so abhold wie der Vater. Früh begann er Schulden zu machen; er liebte Bücher, die sein Vater verpönte. Dafür ritt und schoss er schlecht. Die Gegensätze spitzten sich zu, je älter der Kronprinz wurde.

      Friedrich litt unter seinem gewalttätigen Vater. Jahrzehnte später, schon König und in seinem Verhältnis zu anderen Staaten nicht minder gewalttätig, verfolgte ihn der prügelnde und gebietende Vater bis in seine Träume. Seinem Vorleser Heinrich Alexander de Catt erzählte er noch während des Siebenjährigen Krieges voller Unverständnis die bitteren Erlebnisse seiner Kindheit. „Ich war ein Kind", so berichtete er, „und lernte ein wenig Latein; ich deklinierte mit meinem Lehrer ... als plötzlich mein Vater ins Zimmer trat. ,Was machst Du da?' ,Papa, ich dekliniere . . .', sagte ich in kindlichem Tone, der ihn hätte rühren müssen. ,0 du Schurke, Latein für meinen Sohn! Geh mir aus den Augen!' und er verabreichte meinem Lehrer eine Tracht Prügel und Fußtritte und beförderte ihn auf diese grausame Weise ins Nebenzimmer. Erschreckt durch diese Schläge und durch das wütende Aussehen meines Vaters verbarg ich mich, starr vor Furcht, unter dem Tische, wo ich in Sicherheit zu sein glaubte. Ich sehe meinen Vater nach vollbrachter Hinausbeförderung auf mich zukommen - ich zittere noch mehr; er packt mich bei den Haaren, zieht mich unter dem Tische hervor, schleppt mich so bis in die Mitte des Zimmers und versetzt mir endlich einige Ohrfeigen." Der Kronprinz antwortete auf die Grausamkeit seines Vaters mit Widersetzlichkeit, Spott und Ironie. Zuweilen brachte er ihn zusammen mit seiner Schwester Wilhelmine bewusst in einen Zustand blinder Wut, um sich dann im Zimmer der Mutter vor dem Tobenden in Sicherheit zu bringen. Zur Unverträglichkeit der Charaktere kamen allmählich geistige Gegensätze.

      Friedrich Wilhelm war trotz aller Unbeherrschtheit und Brutalität ein religiöser Mensch. Aufgewachsen im Glauben seiner Väter, dem Kalvinismus, bot ihm die Religion das Gefühl eigener „Sendung", die Begründung seiner Macht; sie war Grundlage seiner Herrschaftsauffassung. Der Kalvinismus, die religiöse Ideologie der frühen Bourgeoisie in einigen ökonomisch fortgeschrittenen Ländern Europas, hatte sich in verschiedenen deutschen Territorialstaaten als sogenanntes reformiertes Bekenntnis durchgesetzt. Eingeführt durch die Fürsten und seiner antifeudalen Spitze weitgehend beraubt, diente er der Behauptung territorialer Interessen gegen die universalstaatlichen Tendenzen der katholischen und mit der Gegenreformation verbundenen Habsburger. Die ursprünglich lutherischen brandenburgischen Kurfürsten hatten mit Johann Sigismunds Übertritt im Jahre 1613 die reformierte Lehre angenommen. In ihrem Geiste war auch Friedrich Wilhelm I. erzogen worden. Sein Erzieher Rebeur hatte den damals schon ungebärdigen, wilden und ihn peinigenden Kronprinzen mit dem strafenden Kalvinistengott geschreckt. Vor allem die Lehre von der Prädestination, der Auserwähltheit durch Gott, in der sich das bürgerliche Sendungsbewusstsein der Kalvinisten ausdrückte, diente ihm als Mittel der Abschreckung. Das Erlebnis seiner Jugend, die tiefe Angst, nicht zu den Auserwählten zu gehören, veranlasste Friedrich Wilhelm, diese Lehre abzulehnen, die im deutschen Kalvinismus ohnehin weitgehend preisgegeben worden war. Im Staate Friedrich Wilhelms I. wurde die Idee von der Prädestination bekämpft. Aus dem Erziehungsplan seines Sohnes war sie gestrichen.

      Für diesen aber wurde gerade sie ein Mittel, sich gegen die Anforderungen des Vaters zur Wehr zu setzen. Friedrich bezog sie ganz auf sich und dokumentierte so eine Eigenschaft, die er später noch deutlicher ausprägen sollte; denn bei der Lektüre seiner späteren Jahre spielte die Möglichkeit der Identifikation immer eine große Rolle. Wenn Gott den Weg eines Menschen vorherbestimmt hat, so schloss er aus der Prädestination, wenn er ihn auch in seinem Wesen festgelegt hat, wie soll ihn dann eines anderen Menschen Wille umformen? Um die Behauptung seiner Individualität ging es ihm bei der Übernahme dieser Lehre. Ihre Ablehnung durch den König und ihre Anerkennung durch den Kronprinzen deuten nicht auf eine grundsätzlich andere Herrschaftsauffassung hin. Sie bezeugen nur die geistige Regsamkeit Friedrichs, der ganz im Gegensatz zu seinem Vater das Wissen seiner Zeit in sich aufzunehmen begann. Heimlich kaufte sein Erzieher Duhan eine große Bibliothek für ihn auf, wodurch der Kronprinz seine Schulden vermehrte. Die Philosophen zogen ihn an. Als Sechzehnjähriger unterschrieb er einen Brief an seine Schwester Wilhelmine, eine für ihre Zeit belesene und geistig interessierte junge Dame, erstmals mit „Federic le philosophe". Doch war das mehr die Anmaßung eines jungen Mannes, über dessen tatsächliche Lektüre aus dieser Zeit wir wenig wissen. Sie muss spärlich genug gewesen sein; denn aus seinen damaligen Meinungsäußerungen lässt sich kaum auf spezielle philosophische Interessen schließen.

      Ihre äußerste Zuspitzung erfuhren die Gegensätze zwischen Vater und Sohn durch den Plan der englischen Doppelheirat. Die Mutter Friedrichs stammte wie eine ihrer Vorgängerinnen auf dem preußischen Königsthron aus dem Hause Hannover. Ihr Vater war seit dem Jahre 1714 gleichzeitig englischer König. 1727 folgte ihm ihr Bruder, Georg II. Unzufrieden mit dem Leben in Berlin und ihrer wenig glanzvollen Rolle, ohne große geistige Interessen und Fähigkeiten, begann sie am Hofe eine eigene „Partei" zu schaffen und ihre beiden älteren Kinder, Friedrich und Wilhelmine, in sie einzubeziehen. Streitpunkt wurde die außenpolitische Orientierung der preußischen Monarchie. Nach den Wirren und Leiden der beiden großen europäischen Kriege war eine Zeit relativer Ruhe eingetreten, während der die Großmächte eifersüchtig über das entstandene Kräfteverhältnis wachten. Keiner wollte den anderen zu stark werden lassen. Aus diesem Grunde war es auch zu einer gewissen, gegen die Habsburger gerichteten Annäherung der einstigen Gegner Frankreich und England gekommen.

      Friedrich Wilhelm I. hatte im Herbst 1726 einen Vertrag mit dem Kaiser abgeschlossen, der - ohne männliche Erben - damals um die Anerkennung der weiblichen Erbfolge durch die deutschen und europäischen Mächte rang. Der preußische König wollte mit Hilfe dieses Vertrages seine Erbansprüche auf Jülich und Berg bekräftigen. Wie seine Vorgänger verfolgte er eine auf „Abrundung" und territoriale Expansion gerichtete Außenpolitik. Seine Orientierung auf Österreich wurde von Grumbkow, seit 1728 sein Minister, unterstützt. Die Annäherung an Österreich war nicht nach dem Sinne Frankreichs und Englands. Ihr widersetzte sich auch die Königin, die gegen den König und Grumbkow mit fremden Gesandten am preußischen Hofe intrigierte. Fürstenheiraten waren damals ein Politikum ersten Ranges. Sie wurden unter dem Gesichtspunkt einer eventuellen Erbfolge bzw. politischer Bündnisse vollzogen. Deshalb entsprach es dem Zeitcharakter, wenn die Auseinandersetzung um die außenpolitische Orientierung Preußens zum Streit um die Heirat der beiden ältesten Kinder ausartete. Die preußische Königin wollte Wilhelmine mit dem englischen Thronfolger, dem Prinzen von Wales, und Friedrich mit der englischen Prinzessin Amalie verheiraten. Beide waren Feuer und Flamme, versprachen sie sich von der Heirat doch Reichtum und .Macht sowie die Befreiung vom autoritären Vater. Der englische König Georg II. zeigte sich diesen Plänen nicht abgeneigt, wollte als Vorbedingung jedoch einen englisch-preußischen Pakt abschließen, während Friedrich Wilhelm I. nichts gegen die Heirat hatte, sofern -was ganz unmöglich war - daran keine politischen Bedingungen geknüpft wurden. Intrigen vergifteten das ohnehin eintönige Leben am preußischen Hofe. Liest man die Briefe der Beteiligten aus dieser und späterer Zeit, so fühlten sich vor allem die Heranwachsenden zeitweilig in der Hölle. Die Mutter teilte ihre Gunst je nach Willfährigkeit der Kinder, hetzte gegen den König und lieferte Sohn und Tochter dem Unwillen des Vaters aus. Friedrich Wilhelm selbst erlag den Einflüsterungen seines Ministers, СКАЧАТЬ