Название: Die Dämonen
Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754173145
isbn:
»Sagen Sie,« fragte er ihn, »wie konnten Sie das, was ich über Ihren Verstand sagen würde, im voraus erraten und Ihrer Agafja eine Antwort darauf mitgeben?«
»Nun, ganz einfach,« erwiderte Liputin lachend: »auch ich halte Sie für einen klugen Menschen; daher konnte ich Ihre Antwort vorhersehen.«
»Immerhin ist es ein merkwürdiges Zusammentreffen. Aber erlauben Sie noch eine Frage: Sie haben mich also für einen vernünftigen Menschen gehalten, als Sie Agafja zu mir schickten, und nicht für einen Verrückten?«
»Für einen sehr klugen und vernünftigen; ich stellte mich nur, als hielte ich Sie für gestört ... Und Sie selbst haben ja auch meine Gedanken damals sofort erraten und mir durch Agafja ein Zeugnis über meine Klugheit zugeschickt.«
»Nun, in diesem Punkte irren Sie sich ein bißchen; ich war wirklich nicht wohl ...« murmelte Nikolai Wsewolodowitsch mit finsterer Miene. »Bah!« rief er, »glauben Sie denn wirklich, daß ich bei vollem Verstande fähig wäre, über Menschen herzufallen? Was sollte ich denn dabei für einen Zweck haben?«
Liputin krümmte sich zusammen und wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Nikolai wurde etwas blaß; wenigstens schien es Liputin so.
»Jedenfalls haben Sie eine sehr amüsante Art der Gedankenbildung,« fuhr Nikolai fort. »Und was Agafja anlangt, so begreife ich natürlich, daß Sie sie zu mir geschickt haben, um mich auszuschimpfen.«
»Ich konnte Sie doch nicht zum Duell fordern?«
»Ach ja, sehen Sie mal! Ich habe ja so etwas gehört, daß Sie ein Gegner des Duells sind ...«
»Warum soll man das von den Franzosen herübernehmen?« erwiderte Liputin, sich wieder zusammenkrümmend.
»Sie sind ein Anhänger der Nationalitätsidee?«
Liputin krümmte sich noch mehr zusammen.
»Ah, ah! Was sehe ich!« rief Nikolai auf einmal, als er auf dem Tische an der sichtbarsten Stelle einen Band von Considérant[10] bemerkte. »Sie sind doch nicht etwa Fourierist? Na so etwas! Ist denn das etwa nicht eine Übersetzung aus dem Französischen?« sagte er lachend und klopfte mit den Fingern auf das Buch.
»Nein, das ist keine Übersetzung aus dem Französischen!« versetzte Liputin und sprang mit einem gewissen Ingrimm auf. »Das ist eine Übersetzung aus der universellen Sprache der Menschheit und nicht nur aus dem Französischen! Aus der Sprache der universellen sozialen Republik und Harmonie; so ist es! Und nicht nur aus dem Französischen! ...«
»Donnerwetter! So eine Sprache gibt es ja gar nicht!« erwiderte Nikolai weiter lachend.
Manchmal nimmt sogar eine Kleinigkeit unsere Aufmerksamkeit ausschließlich und lange in Anspruch. Über Herrn Stawrogin werde ich noch recht viel zu sagen haben; aber jetzt bemerke ich der Kuriosität halber, daß von allen Eindrücken während der ganzen Zeit, die er in unserer Stadt verlebte, sich seinem Gedächtnisse am schärfsten die unscheinbare und beinah gemeine Gestalt Liputins einprägte, dieses geringen Gouvernementsbeamten, eifersüchtigen Ehemannes und groben Familiendespoten, argen Geizhalses und Wucherers, der die Überreste vom Mittagessen und die Lichtstümpfchen wegschloß und gleichzeitig ein fanatischer Anhänger Gott weiß welcher künftigen »sozialen Harmonie« war, sich nachts bis zur Berauschtheit bei den phantastischen Vorstellungen von einem künftigen phalanstère [11] entzückte und an dessen nahe Verwirklichung in Rußland und in unserm Gouvernement so fest wie an seine eigene Existenz glaubte. Und das an einem Orte, wo er selbst sich von seinem zusammengescharrten Gelde ein Häuschen gekauft, wo er sich zum zweitenmal verheiratet und mit seiner Frau ein Sümmchen Geld bekommen hatte, und wo es vielleicht auf hundert Werst im Umkreise keinen Menschen gab (mit ihm selbst angefangen), der auch nur äußerlich einem zukünftigen Mitgliede der »universellen, die ganze Menschheit umfassenden sozialen Republik und Harmonie« ähnlich gewesen wäre.
»Weiß Gott, wie sich eine solche Sorte von Menschen herausbilden kann!« dachte Nikolai erstaunt, wenn er sich manchmal an diesen überraschenden Fourieristen erinnerte.
IV.
Unser Prinz reiste mehr als drei Jahre lang, so daß man ihn in unserer Stadt beinahe ganz vergaß. Uns Näherstehenden war durch Stepan Trofimowitsch bekannt, daß er ganz Europa bereist hatte, sogar in Ägypten gewesen war und Jerusalem besucht hatte; dann hatte er sich irgendwo einer wissenschaftlichen Expedition nach Island angeschlossen und war wirklich in Island gewesen. Es hieß auch, er habe einen Winter über an einer deutschen Universität Vorlesungen gehört. An seine Mutter schrieb er nur wenig, einmal im Halbjahr und sogar noch seltener; aber Warwara Petrowna nahm es ihm nicht übel und fühlte sich dadurch nicht gekränkt. Die Beziehungen zu ihrem Sohne nahm sie so, wie sie sich nun einmal herausgebildet hatten, ohne zu murren ergebungsvoll hin, sehnte sich unaufhörlich nach ihrem Nikolai und überließ sich in betreff seiner allerlei phantastischen Zukunftsträumereien. Weder von diesen Träumereien noch von ihren Klagen machte sie irgend jemandem Mitteilung. Sogar von Stepan Trofimowitsch zog sie sich anscheinend etwas zurück. Sie machte im stillen gewisse Pläne und wurde, wie es schien, noch geiziger als vorher, begann noch eifriger Geld zusammenzuscharren und über Stepan Trofimowitschs Verluste im Kartenspiel böse zu werden.
Endlich, im April des laufenden Jahres, empfing sie einen Brief aus Paris von der Generalin Praskowja Iwanowna Drosdowa, einer Jugendfreundin von ihr. Praskowja Iwanowna, mit der Warwara Petrowna während eines Zeitraumes von acht Jahren weder zusammengekommen war noch korrespondiert hatte, teilte ihr in diesem Briefe mit, daß Nikolai Wsewolodowitsch bei ihnen viel im Hause verkehre, mit Lisa (ihrer einzigen Tochter) Freundschaft geschlossen habe und die Familie im Sommer nach der Schweiz, nach VernexMontreux, zu begleiten vorhabe, trotzdem er in der Familie des Grafen K*** (einer in Petersburg sehr einflußreichen Persönlichkeit), der sich jetzt in Paris aufhalte, wie ein leiblicher Sohn Aufnahme gefunden habe, so daß er beinahe ganz bei dem Grafen lebe. Der Brief war kurz und ließ seinen Zweck klar erkennen, obgleich er nur die oben angeführten Tatsachen, aber keine Schlußfolgerungen aus ihnen enthielt. Warwara Petrowna überlegte nicht lange; in einem Augenblick hatte sie ihren Entschluß gefaßt, machte sich fertig, nahm ihre Pflegetochter Dascha (Schatows Schwester) mit und fuhr Mitte April nach Paris und dann nach der Schweiz. Im Juli kehrte sie allein zurück, indem sie Dascha bei Drosdows gelassen hatte; Drosdows selbst hatten, nach einer Nachricht, die sie mitbrachte, versprochen, Ende August zu uns zu kommen.
Die Drosdows waren ebenfalls eine Gutsbesitzerfamilie in unserem Gouvernement; aber der Dienst des Generals Iwan Iwanowitsch (der mit Warwara Petrowna befreundet und ein Kamerad ihres Mannes gewesen war) hatte sie beständig gehindert, jemals ihr prächtiges Gut zu besuchen. Nach dem im vorigen Jahre erfolgten Tode des Generals hatte die untröstliche Praskowja Iwanowna sich mit ihrer Tochter ins Ausland begeben, unter anderm auch in der Absicht, eine Traubenkur zu gebrauchen, die sie in der zweiten Hälfte des Sommers in VernexMontreux vorzunehmen gedachte. Nach ihrer Rückkehr in das Vaterland hatte sie vor, sich in unserm Gouvernement dauernd niederzulassen. In der Stadt hatte sie ein großes Haus, das schon viele Jahre leer stand und dessen Fenster mit Brettern verschlagen СКАЧАТЬ