Название: Die Bestie im Menschen
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754184264
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Sie stand dicht vor ihm und lachte ihm ins Gesicht. Sie hatte ihre rechte Hand in die Tasche gesenkt und hielt in ihr einen Gegenstand, den sie aber nicht herauszog.
»Sage flink: mein schönes Geschenk.«
Er lachte ebenfalls und that ihr als gutmüthiger Kerl den Gefallen.
»Mein schönes Geschenk.«
Sie hatte als Ersatz für ein vor vierzehn Tagen verloren gegangenes und von ihm bejammertes Messer ihm ein neues gekauft. Er stieß einen Freudenschrei aus und erklärte dieses schöne neue Messer mit seinem Elfenbeinheft und der leuchtenden Klinge für vortrefflich. Er wollte es sofort in Gebrauch nehmen. Sie war entzückt von seiner Freude und bettelte ihm einen Sou ab, damit ihre Freundschaft nicht zerschnitten würde.
»Essen, essen,« rief sie. »Nein, nein, ich bitte Dich, schließe das Fenster noch nicht. Mir ist noch zu warm.«
Sie war zu ihm an das Fenster getreten und betrachtete dort, an seine Schulter gelehnt, während einiger Minuten den mächtigen Bahnkörper. Die Rauchwolken hatten sich jetzt verzogen, die wie Kupfer erglühende Sonnenscheibe versank drüben hinter den Häusern der Rue de Rome im Nebel. Unten führte eine Rangirmaschine den Zug nach Mantes, der um vier Uhr fünfundzwanzig Minuten abgehen sollte, schon fertig rangirt, herauf. Sie stieß ihn auf den Strang neben dem Abfahrtssteig der Halle und wurde dann losgekoppelt. Das Zusammenstoßen der Puffer, das aus dem Waggonschuppen der Ringeisenbahn heraufschallte, belehrte, daß man vorsorglich mit der Ankoppelung von Waggons beschäftigt war. Einsam inmitten der Schienenstränge aber stand mit ihrem vom Staub der Fahrt geschwärzten Führer und Heizer eine schwerfällige Bummelzuglokomotive unbeweglich, als wäre ihr Athem und Kraft entschwunden, nur ein dünnes Rauchfädchen entströmte einem ihrer Ventile. Sie wartete, daß man ihr die Stränge zur Rückkehr in das Depot von Les Batignolles frei mache. Jetzt klappte ein rothes Signal auf und verschwand wieder. Die Lokomotive fuhr davon.
»Sind diese kleinen Dauvergnes vergnügt!« fagte Roubaud beim Verlassen des Fensters. »Hörst Du, wie sie auf dem Piano herumpauken? ... Ich sah vorhin Henri, der mir seine Empfehlungen an Dich auftrug.«
»Zu Tisch, zu Tisch!« rief Séverine.
Sie machte sich sofort an die Sardinen, die sie fast herunterschlang. Schon lange her, seit man in Mantes gefrühstückt! Wenn sie nach Paris kam, war sie wie berauscht. Jede ihrer Fiebern zuckte aus dem Glücksgefühl heraus, wieder über das pariser Pflaster gelaufen zu sein und von ihren Einkaufen im »Bon marché« fieberte sie noch. Alles, was sie im Winter erübrigt hatte, gab sie dort im Frühjahr auf einmal wieder aus. Sie liebte es, alles dort zu kaufen, denn sie behauptete, dadurch schlüge sie die Reisekosten vollständig wieder heraus. Den Mund stets voll, konnte sie nicht genug davon schwatzen. Ein wenig verwirrt und rot geworden, gestand sie endlich die Totalziffer ihrer Einkäufe ein, über Dreihundert Franken.
»Teufel!« sagte Roubaud bestürzt, »Du führst Dich ja als Frau eines Unterinspectors recht gut auf ... Ich dachte, Du hättest nur ein Paar Stiefel und sechs Hemden zu kaufen?«
»Aber diese nicht wiederkehrenden Gelegenheiten, mein Freund! ... Entzückender, gestreifter Seidenstoff, ein geschmackvoller Hut, der reine Traum! Fertige Unterröcke mit gestickten Volants! In Havre hätte ich das Doppelte bezahlen müssen ... Man war gerade dabei, es für mich zu expediren. Du wirst ja sehen.«
Er zog es vor zu lachen; in ihrer Freude und ihrer Miene einer verwirrt nach Vergebung Haschenden sah sie zu niedlich aus. Und dann war auch dieses improvisirte kleine Diner in diesem Zimmer, in dem sie sich allein befanden und besser als im Restaurant aufgehoben waren, zu reizend. Sie trank gewöhnlich nur Wasser, heute aber ließ sie sich gehen und schlürfte, ohne es zu wissen, ihr Glas Weißwein. Die Sardinenbüchse war geleert und sie zerlegten nun die Fleischspeise mit dem schönen neuen Messer. Ein Triumph für Séverine, daß es so gut schnitt.
»Und Du, wie steht es mit Deiner Angelegenheit?« fragte sie. »Du läßt mich schwatzen und erzählst mir garnicht, wie Deine Sache wegen des Unterpräfecten geendet hat?«
Er erzählte ihr nun die Einzelheiten seines Besuches beim Betriebsdirector. O, man hätte ihm nach allen Regeln den Kopf gewaschen. Er hätte ihm die reine Wahrheit erzählt, wie diese Krabbe von Unterpräfecten mit seinem Hunde durchaus in ein Koupé erster Klasse gewollt habe, trotzdem ein Waggon zweiter Klasse, der nur für die Jäger und ihre Köter reservirt gewesen, im Zuge war, von dem entstandenen Streite und welche Worte gefallen wären. Der Chef gäbe ihm im Grunde genommen Recht, denn auch ihm sei daran gelegen, daß der Beamte respectirt würde. Aber das Schreckliche an der Sache sei, daß der Director zu ihm gesagt habe: »Ihr werdet nicht immer die Herren bleiben!« Er stehe im Verdachte eines Republikaners. Die bemerkenswerthen Reden bei Beginn der Session des Jahres 1869 und die dumpfe Furcht vor den nächsten allgemeinen Wahlen hätten die Regierung mißtrauisch gemacht. Ohne die ausgezeichnete Empfehlung des Präsidenten Grandmorin würde man ihn zweifellos schon seines Amtes enthoben haben. Schließlich hätte er doch den von dem Letzteren gerathenen und aufgesetzten Entschuldigungsbrief unterschreiben müssen.
»Also? Hatte ich nicht Recht, ihm zu schreiben und ihm heute früh mit Dir einen gemeinsamen Besuch zu machen, ehe Du Deine Wäsche erhieltest?« unterbrach ihn lebhaft Séverine. »Ich wußte ganz genau, daß er uns aus der Klemme ziehen würde.«
»Ja, er liebt Dich sehr,« antwortete Roubaud, »und sein Arm reicht weit in unserer Gesellschaft ... Was hat das nun für einen Nutzen, ein tüchtiger Beamter zu sein? Natürlich hat man mir auch Schmeicheleien gesagt: ich hätte zwar nicht genug Initiative, aber ich führte mich gut, sei gehorsam und entschlossen. Und trotzdem sage ich Dir, meine Theure, wärest Du nicht meine Frau und Grandmorin nicht aus Freundschaft für Dich für mich eingetreten, so hätte ich meine Strafversetzung nach einer kleinen Station in der Tasche gehabt.«
»Zweifellos, sein Arm reicht weit,« wiederholte Séverine, als spräche sie zu sich selbst, während ihre Augen die Leere suchten.
Es herrschte Schweigen, Séverine verharrte mit ihren sich vergrößernden und wie abwesend starrenden Augen in derselben Stellung und hörte mit dem Essen auf. Sie rief sich jedenfalls die Tage ihrer Kindheit in die Erinnerung, die sie dort unten in Schloß Doinville, vier Meilen von Rouen entfernt, zugebracht hatte. Sie hatte nie ihre Mutter gekannt. Ihr Vater, der Gärtner Aubry, starb gerade, als sie ihr dreizehntes Lebensjahr begann. Schon damals hatte der Präsident, der Wittwer war, sie seiner Tochter Berthe beigesellt und unter die Obhut seiner Schwester, Madame Bonnehon, der Gattin eines Kaufmannes und ebenfalls Wittwe, heute Besitzerin des Schlosses, gestellt. Berthe, die zwei Jahre älter war als sie, hatte sechs Monate nach ihr einen Herrn von Lachesnaye, Rath beim Gerichtshof in Rouen, ein dürres, gelbes Männchen, geheirathet. Im vergangenen Jahre stand der Präsident noch diesem Gerichte vor. Dann hatte er sich nach einer brillanten Carrière in den Ruhestand zurückgezogen. Im Jahre 1804 geboren, Substitut in Digne zu Beginn des Jahres 1830, dann in Fontainebleau und Paris, später Procurator in Troyes, Generaladvocat in Rennes, wurde er schließlich erster Präsident in Rouen. Mehrfacher Millionär, gehörte er dem Generalrath seit 1855 an und war am Tage seines Abschieds zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt worden. Soweit sie zurückdenken konnte, sah sie ihn noch als untersetzten, kräftig gebauten Mann, dessen bürstenförmig stehende Haare schon frühzeitig eine weiße Färbung zeigten und zwar dieses goldne Weiß, wie es aus dem einstigen Blond hervorgeht, den Backenbart glatt abrasirt bis auf die Fraise, ohne Schnurrbart, mit einem eckigen Gesicht, welches die ein hartes Blau weisenden Augen und die stark entwickelte Nase streng erscheinen ließen. Er machte alles um sich herum erzittern.
»He! An was denkst Du?« mußte Roubaud zweimal laut fragen.
Sie fuhr zusammen und ein leiser Schauder überlief sie, als schüttele СКАЧАТЬ