Die Kapuzinergruft. Йозеф Рот
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Название: Die Kapuzinergruft

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754185780

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СКАЧАТЬ ging niemals zur Messe. Wohl aber pflegte ich meine Mutter bis vor den Eingang zur Kirche zu begleiten, meine Mutter, die zwar vielleicht nicht gläubig war, wohl aber »praktizierend«, wie man sagt. Damals haßte ich die Kirche geradezu. Ich weiß heute, da ich gläubig bin, zwar nicht mehr, warum ich sie haßte. Es war »Mode« sozusagen.

      Ich hätte mich geschämt, wenn ich meinen Freunden hätte sagen müssen, daß ich zur Kirche gegangen sei. Es war keine wirkliche Feindseligkeit gegen die Religion in ihnen, sondern eine Art Hochmut, die Tradition anzuerkennen, in der sie aufgewachsen waren. Zwar wollten sie das Wesentliche ihrer Tradition nicht aufgeben; aber sie – und ich gehörte zu ihnen –, wir rebellierten gegen die Formen der Tradition, denn wir wußten nicht, daß wahre Form mit dem Wesen identisch sei und daß es kindisch war, eines von dem andern zu trennen. Es war kindisch, wie gesagt: aber wir waren damals eben kindisch. Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken, fröhlich und kindisch. Wir fühlten ihn nicht, den Tod. Wir fühlten ihn nicht, weil wir Gott nicht fühlten. Unter uns war Graf Chojnicki der einzige, der noch an den religiösen Formen festhielt, aber auch nicht etwa aus Gläubigkeit, sondern dank dem Gefühl, daß die Noblesse ihn dazu verpflichtete, die Vorschriften der Religion zu befolgen. Er hielt uns andere, die wir sie vernachlässigten, für halbe Anarchisten. »Die römische Kirche«, so pflegte er zu sagen, »ist in dieser morschen Welt noch die einzige Formgeberin, Formerhalterin. Ja, man kann sagen, Formspenderin. Indem sie das Traditionelle des sogenannten ›Althergebrachten› in der Dogmatik einsperrt wie in einem eisigen Palast, gewinnt und verleiht sie ihren Kindern die Freiheit, ringsum, außerhalb dieses Eispalastes, der einen weiten, geräumigen Vorhof hat, das Lässige zu treiben, noch das Verbotene zu verzeihen beziehungsweise zu führen. Indem sie Sünden statuiert, vergibt sie bereits diese Sünden. Sie gestattet geradezu keine fehlerlosen Menschen: Dies ist das eminent Menschliche an ihr. Ihre tadellosen Kinder erhebt sie zu Heiligen. Dadurch allein gestattet sie implicite die Fehlerhaftigkeit der Menschen. Ja, sie gestattet die Sündhaftigkeit in dem Maße, daß sie jene Wesen nicht mehr für menschlich hält, die nicht sündhaft sind: Die werden selig oder heilig. Dadurch bezeugt die römische Kirche ihre vornehmste Tendenz, zu verzeihen, zu vergeben. Es gibt keine noblere Tendenz als die Verzeihung. Bedenken Sie, daß es keine vulgärere gibt als die der Rache. Es gibt keine Noblesse ohne Großzügigkeit, wie es keine Rachsucht gibt ohne Vulgarität.«

      Er war der Älteste und Klügste unter uns, der Graf Chojnicki; aber wir waren zu jung und zu töricht, um seiner Überlegenheit jene Verehrung zu zollen, die sie gewiß verdiente. Wir hörten ihm eher gefällig zu, und obendrein bildeten wir uns noch ein, daß wir ihm eine Liebenswürdigkeit erwiesen, indem wir ihm zuhörten. Er war für uns sogenannte Junge ein älterer Herr. Später erst, im Kriege, war es uns beschieden zu sehen, um wieviel jünger er in Wahrheit war als wir.

      Aber spät erst, viel zu spät, sahen wir ein, daß wir zwar nicht jünger waren als er, sondern einfach ohne Alter, sozusagen unnatürlich ohne Alter. Dieweil er natürlich war, würdig seiner Jahre, echt und gottgesegnet.

       Kapitel 8

      Ein paar Monate später erhielt ich den folgenden Brief von dem Fiaker Manes Reisiger:

      »Sehr verehrter Herr!

      Nach der großen Ehre und der großen Dienstleistung, die Sie mir erwiesen haben, erlaube ich mir ergebenst, Ihnen mitzuteilen, daß ich Ihnen sehr, sehr dankbar bin. Mein Sohn schreibt mir, daß er Fortschritte im Konservatorium macht, und sein ganzes Genie habe ich Ihnen zu verdanken. Ich danke Ihnen auch von Herzen. Gleichzeitig erlaube ich mir ergebenst, Sie zu bitten, ob Sie nicht die große Güte hätten, hierher, zu uns, zu kommen. Ihr Cousin, der Maronibrater Trotta, wohnt immer, das heißt: seit zehn Jahren, bei mir, jeden Herbst. Ich habe mir vorgestellt, daß es auch Ihnen angenehm wäre, bei mir zu wohnen. Mein Häuschen ist arm, aber geräumig.

      Sehr verehrter Herr! Nehmen Sie mir gefälligst diese Einladung nicht übel. Ich bin so klein, und Sie sind so groß! Verehrter Herr! Ich bitte auch um Entschuldigung, daß ich diesen Brief schreiben lasse. Ich kann nämlich selbst nicht schreiben, außer meinem Namen. Diesen Brief schreibt, auf meinen Willen, der öffentlich konzessionierte Schreiber unseres Ortes, Hirsch Kiniower, also ein zuverlässiger, ordentlicher und amtlicher Mensch. Des sehr verehrten Herrn ergebener:

      Manes Reisiger, Fiaker in Zlotogrod«

      Der ganze Brief war in sorgfältiger, kalligraphischer Schrift geschrieben: »Wie gedruckt« sagte man damals von dieser Art Schrift. Nur die Unterschrift, der Name eben, verriet die rührende Ungelenkigkeit der Fiakerhand. Dieser Anblick der Unterschrift allein hätte mir genügt, meinen Entschluß zu fassen und meine Reise nach Zlotogrod für den nächsten Frühherbst festzusetzen. Sorglos waren wir damals alle, und ich war sorglos wie alle die anderen. Unser Leben war vor dem großen Krieg idyllisch, und schon eine Reise nach dem fernen Zlotogrod schien uns allen ein Abenteuer. Und daß ich der Held dieses Abenteuers sein sollte, war mir selbst eine großartige Gelegenheit, großartig vor meinen Freunden dazustehen. Und obwohl diese abenteuerliche Reise noch so weit vor uns lag und obwohl ich allein sie zu machen hatte, sprachen wir doch jeden Abend von ihr, als trennte mich lediglich eine Woche von Zlotogrod und als hätte ich sie nicht allein, sondern wir alle gemeinsam zu unternehmen. Allmählich wurde diese Reise für uns alle eine Leidenschaft, sogar eine Besessenheit. Und wir begannen, uns das ferne, kleine Zlotogrod sehr willkürlich auszumalen, dermaßen, daß wir selbst schon, während wir noch Zlotogrod schilderten, überzeugt waren, wir entwürfen davon ein ganz falsches Bild; und daß wir dennoch nicht aufhören konnten, diesen Ort, den keiner von uns kannte, zu entstellen. Das heißt: mit allerhand Eigenschaften auszustatten, von denen wir von vornherein wußten, sie seien die willkürlichen Ergebnisse unserer Phantasie und keineswegs die realen Qualitäten dieses Städtchens.

      So heiter war damals die Zeit! Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken. Wir sahen ihn nicht, wir sahen nicht seine Hände. Wir sprachen von Zlotogrod dringlich so lange und so intensiv, daß ich von der Furcht erfaßt wurde, es könnte eines Tages plötzlich verschwinden oder meine Freunde könnten zu glauben anfangen, jenes Zlotogrod sei unwirklich geworden und es existierte gar nicht und ich hätte ihnen nur davon erzählt. Plötzlich erfaßten mich die Ungeduld und sogar die Sehnsucht nach diesem Zlotogrod und nach dem Fiaker namens Reisiger.

      Mitten im Sommer des Jahres 1914 fuhr ich hin, nachdem ich Vetter Trotta nach Sipolje geschrieben hatte, daß ich ihn dort erwarte.

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