Die Kapuzinergruft. Йозеф Рот
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Название: Die Kapuzinergruft

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754185780

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СКАЧАТЬ fremd und fremder werden zu sehen; mit Schmerz zuerst, mit Bitterkeit sodann und schließlich mit Entsagung. Ich fühlte, daß meine Mutter mit mir deshalb so wenig sprach, weil sie mich nicht Dinge sagen lassen wollte, wegen deren sie mir hätte grollen müssen. Aber hätte ich die Freiheit besessen, mit ihr über Elisabeth zu sprechen und von meiner Liebe zu diesem Mädchen, so hätte ich wahrscheinlich sie, meine Mutter, und mich selbst sozusagen entehrt. Manchmal wollte ich in der Tat von meiner Liebe zu sprechen anfangen. Aber ich dachte an meine Freunde. Auch an ihre Beziehungen zu ihren Müttern. Ich hatte das kindische Gefühl, ich könnte mich durch ein Geständnis verraten. Als wäre es überhaupt ein Verrat an sich selbst, vor seiner Mutter etwas zu verschweigen, und überdies ein Verrat an dieser Mutter. Wenn meine Freunde von ihren Müttern sprachen, schämte ich mich dreifach: nämlich meiner Freunde, meiner Mutter und meiner selbst wegen. Sie sprachen von ihren Müttern beinahe wie von jenen »Liaisons«, die sie sitzen- oder liegengelassen hatten, als wären es allzu früh gealterte Mätressen, und noch schlimmer, als wären die Mütter wenig würdig ihrer Söhne.

      Meine Freunde also waren es, die mich hinderten, der Stimme der Natur und der Vernunft zu gehorchen und meinem Gefühl für die geliebte Elisabeth ebenso freien Ausdruck zu verleihen wie meiner kindlichen Liebe zu meiner Mutter.

      Aber es sollte sich ja auch darauf zeigen, daß diese Sünden, die meine Freunde und ich auf unsere Häupter luden, gar nicht unsere persönlichen waren, sondern nur die schwachen Vorzeichen der kommenden Vernichtung, von der ich bald erzählen werde.

       Kapitel 6

      Vor dieser großen Vernichtung war mir noch die Begegnung mit dem Juden Manes Reisiger beschieden, von dem noch später die Rede sein wird.

      Er stammte aus Zlotogrod in Galizien. Eine kurze Zeit später lernte ich dieses Zlotogrod kennen, und ich kann es also hier beschreiben. Es erscheint mir deshalb wichtig, weil es nicht mehr existiert, ebensowenig wie Sipolje. Es wurde nämlich im Kriege vernichtet. Es war einst ein Städtchen, ein kleines Städtchen, aber immerhin ein Städtchen. Heute ist es eine weite, große Wiese. Klee wächst im Sommer dort, die Grillen zirpen im hohen Gras, die Regenwürmer gedeihen dort fett geringelt und groß, und die Lerchen stoßen jäh herunter, um sie zu fressen.

      Der Jude Manes Reisiger kam eines Tages im Oktober zu einer ebenso frühen Morgenstunde zu mir, wie ein paar Monate vorher sein Freund, mein Vetter Branco, zu mir gekommen war. Und er kam auf die Empfehlung meines Vetters Joseph Branco. »Junger Herr«, sagte Jacques, »ein Jude möchte den jungen Herrn sprechen.« Ich kannte damals ein paar Juden, freilich Wiener Juden. Ich haßte sie keineswegs, und zwar gerade deshalb, weil um jene Zeit der positive Antisemitismus der Noblesse und der Kreise, in denen ich verkehrte, eine Mode der Hausmeister geworden war, der Kleinbürger, der Schornsteinfeger, der Tapezierer. Dieser Wandel war durchaus jenem der Mode analog, der da bewirkte, daß die Tochter eines Rathausdieners genau die gleiche Pleureuse auf den Sonntagshut steckte, die eine Trautmannsdorff oder eine Szechenyi drei Jahre vorher am Mittwoch getragen hatte. Und ebensowenig wie heute eine Szechenyi die Pleureuse anstecken konnte, die den Hut der Magistratsdienertochter zierte, ebensowenig konnte die gute Gesellschaft, zu der ich mich zählte, einen Juden geringschätzen – einfach deshalb, weil es bereits mein Hausmeister tat.

      Ich ging ins Vorzimmer, und ich war darauf vorbereitet, einen jener Juden zu sehen, die ich kannte und deren Beruf ihren körperlichen Aspekt imprägniert, ja sogar gebildet zu haben schien. Ich kannte Geldwechsler, Hausierer, Kleiderhändler und Klavierspieler in Bordellen. Als ich nun ins Vorzimmer trat, erblickte ich einen Mann, der nicht nur keineswegs meinen gewohnten Vorstellungen von einem Juden entsprach, sondern sie sogar vollkommen zu zerstören hätte imstande sein können. Er war etwas unheimlich Schwarzes und unheimlich Kolossales. Man hätte nicht sagen können, daß sein Vollbart, sein glatter blauschwarzer Vollbart, das braune, harte, knochige Angesicht umrahmte. Nein, das Angesicht wuchs geradezu aus dem Bart hervor, als wäre der Bart gleichsam früher dagewesen, vor dem Antlitz noch, und als hätte er jahrelang darauf gewartet, es zu umrahmen und es zu umwuchern. Der Mann war stark und groß. In der Hand hielt er eine schwarze Ripsmütze mit Schirmrand, und auf dem Kopf trug er ein rundes, samtenes Käppchen, nach der Art, wie es manchmal geistliche Herren tragen. Er stand so, hart an der Tür, gewaltig, finster, wie eine gewichtige Macht, die roten Hände zu Fäusten geballt, sie hingen wie zwei Hämmer aus den schwarzen Ärmeln seines Kaftans. Er zog aus dem inneren Lederrand seiner Ripsmütze den schmal gefalteten slowenischen Brief meines Vetters Joseph Branco hervor. Ich bat ihn sich zu setzen, aber er lehnte schüchtern ab, mit den Händen, und diese Ablehnung erschien mir um so schüchterner, als sie mit diesen Händen vorgebracht worden war, von denen jede imstande gewesen wäre, mich, das Fenster, den kleinen Marmortisch, den Kleiderständer und überhaupt alles, was im Vorzimmer vorhanden war, zu zertrümmern. Ich las den Brief. Aus dem erfuhr ich, daß der Mann, der da vor mir stand, Manes Reisiger aus Zlotogrod war, ein Kutscher seines Zeichens, Freund meines Vetters Joseph Branco, der auf seiner alljährlichen Rundreise durch die Kronländer der Monarchie, in denen er die Maroni verkaufte, bei ihm, dem Überbringer des Briefes, Kost und freien Aufenthalt genoß, und daß ich verpflichtet sei, im Namen unserer Verwandtschaft und unserer Freundschaft, dem Manes Reisiger behilflich zu sein – in allem, was er von mir wünschte.

      Und was wünschte er, der Manes Reisiger aus Zlotogrod?

      Nichts anderes als einen Freiplatz im Konservatorium für seinen hochbegabten Sohn Ephraim. Der sollte kein Kutscher werden und auch nicht im fernen Osten der Monarchie verkommen. Der Ansicht des Vaters nach war Ephraim ein genialer Musiker.

      Ich versprach alles. Ich machte mich auf den Weg zu meinem Freund, dem Grafen Chojnicki, der unter all meinen Freunden erstens der einzige Galizianer war und zweitens allein imstande, die uralte, die traditionelle, die wirksame Widerstandskraft der alten österreichischen Beamten zu brechen: durch Drohung, Gewaltanwendung, Tücke und Hinterlist, die Waffen einer alten, längst versunkenen Kulturwelt: eben unserer Welt.

      Am Abend traf ich den Grafen Chojnicki in unserem Café Wimmerl. Ich wußte wohl, daß man ihm kaum einen größeren Gefallen bereiten konnte, als wenn man ihn bat, für einen seiner Landsleute Vergünstigungen zu verschaffen. Er hatte nicht nur keinen Beruf, er hatte auch keine Beschäftigung. Er, der in der Armee, in der Verwaltung, in der Diplomatie eine sogenannte »brillante Karriere« hätte einschlagen können und der sie geradezu ausgeschlagen hatte, aus Verachtung gegen die Trottel, die Tölpel, die Pallawatsche, alle jene, die den Staat verwalteten und die er »Knödelhirne« zu nennen liebte, machte sich ein delikates Vergnügen daraus, Hofräte seine Macht fühlen zu lassen, die wirkliche Macht eben, die gerade eine nicht-offizielle Würde verlieh. Und er, der so freundlich, so nachsichtig, ja entgegenkommend Kellnern, Kutschern, Dienstmännern und Briefträgern gegenüber war, der niemals versäumte, den Hut abzunehmen, wenn er einen Wachmann oder einen Portier um irgendeine gleichgültige Auskunft bat, bekam ein kaum wiedererkennbares Gesicht, wenn er eine seiner Protektionsdemarchen am Ballhausplatz, in der Statthalterei, im Kultus- und Unterrichtsministerium unternahm: Ein eisiger Hochmut lag, ein durchsichtiges Visier, über seinen Zügen. War er noch unten vor dem livrierten Portier am Portal einigermaßen herablassend, manchmal sogar gütig, so steigerte sich sein Widerstand gegen die Beamten sichtbarlich bei jeder Stufe, die er emporstieg, und war er einmal im letzten Stock angekommen, machte er den Eindruck eines Mannes, der hierhergekommen war, um ein fürchterliches Strafgericht zu halten. Man kannte ihn schon in einigen Ämtern. Und wenn er im Korridor dem Amtsdiener mit einer gefährlich leisen Stimme sagte: »Melden Sie mich beim Hofrat!«, so fragte man nur selten nach seinem Namen, und geschah es dennoch, wiederholte er, womöglich noch leiser: »Melden Sie mich sofort bitte!« Das Wort »bitte!« klang allerdings schon lauter.

      Er liebte überdies die Musik, und auch deswegen erschien es mir angebracht, seine Unterstützung für den jungen Reisiger in Anspruch zu nehmen. Er versprach sofort, am nächsten Tag schon alles zu versuchen. So prompt war seine Hilfsbereitschaft, daß ich bereits anfing, mein Gewissen belastet zu fühlen, und ihn also СКАЧАТЬ