Herzkalt. Joachim Kath
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Название: Herzkalt

Автор: Joachim Kath

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847659020

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СКАЧАТЬ Lot of thunderstorms in der Karibik, so viel war mal sicher. Judith beharrte, es wäre Dorothy gewesen und ich müsste unbedingt Dr. Snyder anrufen, den Vater des Mädchens, der ein paar Blocks weiter eine Zahnarztpraxis betrieb.

      "Warum die Welt mit einer Vermutung verrückt machen?" war mein Standpunkt. Aber Judith blieb hartnäckig. Sie griff selbst zum Telefon und weil sich bei den Snyders niemand meldete, rief sie schließlich die Polizei an.

      Die Tote könne im zentralen Leichenschauhaus von Manhattan identifiziert werden. Einen Ausweis habe sie nicht dabei gehabt, erfuhr man.

      "Es war Dorothy!" sagte Judith, so als wenn sie sich in ihrer Meinung bestätigen wollte. "Es ist unsere Pflicht, hinzufahren! Wie du so ruhig im Sessel sitzen kannst, verstehe ich nicht. Wir müssen der Sache auf den Grund gehen!"

      "Das können wir immernoch! Morgen ist Zeit dafür! Tote laufen einem nicht weg! Aus der Hölle von Manhattan komme ich gerade! Ich argumentierte, doch sie blieb stur.

      "Wenn du nicht mitkommst, fahre ich allein", sagte sie, wohlwissend, dass ich das niemals zulassen würde. Zu dieser Stunde konnte keine Frau alleine auf die Straße. Nach einigem hin und her begleitete ich sie schließlich mit mürrischem Gesicht.

      In der Subway saß ein junger, schwarzer Polizist, über dessen lange Beine jeder Passagier, der in den hinteren Teil des Wagens gelangen wollte, steigen musste. Am liebsten hätte ich eine Bemerkung gemacht. Aber er hatte einen großen, polierten Massivholzknüppel über seine Knie gelegt, den er liebevoll streichelte. Dr Retter im Falle eines Überfalls gab sich drohend, auch gegenüber den möglichen Opfern.

      Der Museumsbau des Leichenschauhauses wirkte gespenstisch. Die Wände des Raumes, in den sie uns führten, zierten statt Gemälde blanke Metallplatten mit Griffen dran. Es brannte kaltes, fahles Licht. Die Platten waren die Stirnseiten von mannsgroßen Schubladen, in denen die Toten der letzten 24 Stunden lagen.

      "Junge Frauen haben wir sechs!" sagte der Mann im grünen Kittel, "die normale Tagesquote! Im Jahresdurchschnitt!"

      "Sie ist erst heute Abend im TV gezeigt worden!" sagte Judith.

      "Die neu Eingelieferten sind auf der anderen Seite", sagte der Mann, als wenn er von War sprach. Mit einiger Anstrengung zog er einen der schweren Metallbehälter auf Schienen halb heraus.

      "Sind Sie die Eltern?" fragte er und deckte vorsichtig, ohne die Antwort abzuwarten, das Kopfende auf. Wir waren auf den Anblick vorbereitet, aber wir brachten einfach einige Sekunden, eher wir etwas erkannten. Es war Dorothy. Auf dem vom Pathologen ausgefüllten Formular stand als Todesursache: Überdosis Heroin. Judith schluchzte.

      "Nein, wir sind nicht die Eltern", sagte ich, "aber wir kennen ihren Namen. Sie heißt Dorothy Snyder.

      "Die Tote muss von ihren nächsten Angehörigen identifiziert werden, wenn sie in der Stadt sind, das ist Vorschrift. Und zwar innerhalb eines Tages!"

      "Was ist, wenn nicht?" fragte ich automatisch.

      "Dann wird sie auf Hard Island von Sträflingen in einem Massengrab verscharrt. Die Stadt New York muss sparen. Einäschern käme teurer!"

      Wir gaben ihm die Adresse.

      Dann sahen wir uns noch die Gsichter der anderen fünf weiblichen Leichen an, aber unsere Tochter Jane war nicht darunter. Es war keine vollkommene Beruhigung. Wo war Jane? War sie noch in Europa? Waren die beiden Mädchen, gerade achtzehn Jahre alt, überhaupt in Europa gewesen? Judith bestürmte mich mit Fragen.

      Wir geingen noch in der selben Nacht zum Polizeirevier und gaben eine Suchmeldung auf. Der Wachhabende versuchte uns zu trösten: "In New York gehen jede Nacht mehr Frauen als Autos verloren und tauchen am nächsten Morgen wieder auf. Die allermeisten unbeschädigt, was man von den Autos nicht behaupten kann!" Er grinste dabei zynisch und hielt auch nicht inne, als ich ihn strafend ansah. Unsensibel wie er war, kam für ihn nur Sex in Frage, wenn Frauen verschwanden. Er hatte es nicht ausgesprochen, aber sein Grinsen war deutlich genug gewesen.

      "Schon mal was von Rauschgift gehört?" fragte ich den Rothaarigen verbittert.

      "Nein, Sir! Nur der ganze Asservatenschrank ist voll von dem Zeug", erwiderte er mit rauher Stimme und deutete mit dem Daumen hinter sich. "Die Kids pumpen sich den Stoff rein und kippen um, wenn sie zuviel erwischen. Die Dealer strecken die Ware normalerweise mit Strychnin oder Traubenzucker. Abr wenn sie nur den leisesten Verdacht haben, jemand würde sie verpfeifen, liefern sie auch schon mal was Pures. Und dann steht im Protokoll des Doktors Überdosis. Das ist der berühnte goldene Schuß, der vermutlich mehr unfreiwillig als bewusst gesetzt wird."

      "KennenSie die?" fragte ich und zeigte ihm ein Passbild von Jane, das ich in meiner Brieftasche hatte. Es war nicht mehr ganz neu und die Wahrscheinlichkeit war ohnehin gering, dass er sie zufällig gesehen hatte. Trotzdem enttäuschte mich seine Antwort. "In New York City", meinte er treuherzig, "kann auch die Polizei niemanden finden, der nicht gefunden werden will oder soll! Es hängen rund 200.000 Menschen an der Nadel. Und dann die vielen Alkoholiker und Medikamentensüchtigen und jetzt auch noch die Crackies. Wer soll sich da noch zurecht finden?"

      In dieser Nacht beschloss ich, Jane selbst zu suchen. Noch wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte. Es war zweifelsfrei ihre Schrift auf der Karte aus Salzburg und die Karte trug auch einen österreichischen Poststempel. Echt oder falsch? Keine Ahnung! Und Europa war weit!

      2. Kapitel

      „Ich habe nie etwas an Jane bemerkt“, sagte Judith, „keine engen oder weiten Pupillen, kein geklautes Geld, keine Vernachlässigung“.

      Ich antwortete nicht. War es nicht immer so, dass Eltern oder Freunde zuletzt bemerkten, wenn sich irgendetwas veränderte? Raubt die fehlende Distanz nicht den Durchblick? Wie war das mit den Bäumen und dem Wald? Nein, Sprichwörter und Redensarten stimmten fast nie. Vielleicht hat Jane mit der ganzen Katastrophe überhaupt nichts zu tun, versuchte ich mich zu beruhigen und Ordnung in meine Gedanken zu bekommen. Aber ich konnte nicht verhindern, dass ihr Leben wie ein Film vor meinen Augen ablief – das einzige Leben, meines eingeschlossen, dass ich buchstäblich von Anfang an kannte und hautnah erlebt hatte.

      Ich sah Jane vor mir, als die Säuglingsschwester sie zum ersten Mal hinter einer Glasscheibe hochhielt. Ein rotes, verschrumpeltes Etwas mit Resten von Käseschmiere in den spärlichen Härchen auf dem vom engen Geburtskanal länglich verformten Kopf. Ich sah sie vor mir, als sie zum ersten Mal mit zahnlosem Mund lächelte und ihr rosa Gaumen wie zwei Schienen sichtbar wurde. Sah sie auch vor mir, als sie zum ersten Mal in Bauchlage den Kopf hob, zum ersten Mal saß, stand und lief.

      Diese Ersterlebnisse sind es, die man nicht vergisst. Die sich einem tief eingraben in ein sonst noch so löchriges Gedächtnis. Wenn sie krank war – und sie war nie ernstlich krank – hatte ich auch tagsüber an meinem Schreibtisch an sie gedacht. Ich hatte jahrelang auf ihre tausend Fragen geantwortet, so gut es ging und mir dabei bewusst werdend, wie wenig wir Erwachsenen eigentlich wissen. Ich hatte ihr das Radfahren beigebracht und das Schwimmen, das Rollschuhlaufen und Schlagballwerfen. War mit ihr in Walt Disneys bunten Filmen gewesen und hatte sie laut mitlachen hören und auch schluchzen, wenn Bambi seine Mutter suchte. Wie Millionen Väter auf der Welt.

      In den letzten Jahren waren wir nicht immer einer Meinung gewesen. Wie unwichtig das jetzt war! Sie wollte nicht studieren, sondern etwas Praktisches lernen. Goldschmiedin oder Grafikerin. „Es ist mein Leben!“ war ihr häufigster Spruch. Wie recht sie hatte. Es war ihr Leben. Aber irgendwie war es auch meins. Und ob sie aus ihrem Leben jetzt noch machen konnte, was sie wollte? Genau das war die Frage, die СКАЧАТЬ