Alptraum Wissenschaft. Anne-Christine Schmidt
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alptraum Wissenschaft - Anne-Christine Schmidt страница 12

Название: Alptraum Wissenschaft

Автор: Anne-Christine Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783738072457

isbn:

СКАЧАТЬ aber schmunzellosem Mienenspiel, dass hier alle Mitarbeiter „Fighters“ (zu deutsch Kämpfer) seien, weil sie unablässig um ihre Messergebnisse kämpfen und sie dann vor jedem verteidigen. Zum Schluss sah sie mich mitleidig an, wohl ahnend, dass ich kein Kämpfertyp bin. Mit einem der zur Arbeitsgruppe gehörenden Doktoranden begab ich mich zum Mittagessen in die ebenso laute, unruhige Kantine. Dabei äußerte sich der junge Mann nicht gerade wohlwollend über die anderen Doktoranden der Arbeitsgruppe, die seiner Ansicht nach keine Ahnung hätten, aber trotzdem auch mal gern etwas sagen würden. Um mich von der eigenartigen Atmosphäre in diesem Institut zu erholen, brauchte ich im Anschluss einen zweistündigen Spaziergang durch einen nahe gelegenen Schlosspark. Einen ganz ähnlichen Eindruck von einer Forschungsgruppe und besonders von ihrem Leiter gewann ich in einer anderen Forschungseinrichtung, wo ich ebenfalls zu einem Bewerbungsgespräch erscheinen durfte. In diesem Fall handelte es sich um eine auf zwei Jahre befristete postdoktorale Anstellung. Dem ebenfalls relativ jungen Arbeitsgruppenleiter mangelte es an jeglichem Humor. Dafür hob er umso mehr seine Bedeutsamkeit und seine Verdienste bezüglich des Einwerbens von Finanzmitteln hervor. Als Mitarbeiter einstellen wollte mich keiner der beiden wichtigen Wissenschaftsleuchttürme. Schließlich nahm ich Kontakt zu einem jungen Professor auf, welcher kürzlich an meine Herkunftsuniversität, wo ich studiert hatte, neu berufen worden war. Gegen Ende meiner Promotionszeit hatte ich ihn schon einmal besucht, weil mich seine fachliche Ausrichtung interessierte. Zwar war mir dieser aus westlicher Himmelsrichtung einmarschierte Professor von der ersten Minute an unsympathisch gewesen, aber für einen Wissenschaftler wie mich zählte nur das objektive Lehr- und Forschungsgebiet, was er vertrat. Gefühle und subjektive Empfindungen hatten in der Arbeitswelt nichts zu suchen; so meinte ich damals angesichts des allgegenwärtigen Druckes, bloß nicht in die Arbeitslosigkeit zu schlittern. In innerbetrieblichen Organisationsstrukturen gelten Gefühle als wichtigster Störfaktor und sind zu beseitigen [1].

      Der neu berufene Professor befasste sich mit einem Fachgebiet, das geradezu ideal auf meine Ausbildung und Berufserfahrung passte. Kenntnisse aus dem Biologiestudium, dem Analytikaufbaustudium und meine angehäuften praktischen Erfahrungen als Doktorand und abgehackter Nachdoktorand in verschiedenen Zweigen der Chemie könnte ich bei ihm in Zukunft vereinen! Welch hoffnungsvolle Aussichten! Der junge Professor hatte auch gerade die Anstellung eines anderen Postdocs nicht verlängert, dessen Nachfolge ich wie in einer Ironie des Schicksals bereits im ungrünen Pflanzeninstitut angetreten hatte. An beiden Orten wurde munter über diesen verflossenen Postdoc gelästert und geschimpft. Darum drängte sich mir zunächst der Eindruck auf, dass dieser junge Mann ein ziemlicher Trottel gewesen sein muss. Erst später, als ich ihn persönlich kennen lernte, erkannte ich die Boshaftigkeit und Gemeinheit der über ihn her ziehenden Kollegen. Welch unmenschlicher, unkollegialer Umgang doch unter „gebildeten“ Wissenschaftlern herrschte! Doch das war erst der Anfang! Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz ordnete seinerzeit das „Mobbing“ den inhumansten Verhaltensweisen zu, zu denen normale Menschen gebracht werden können. Es liegt vielen der Sozialpsychologie bekannten Projektionsphänomenen zu Grunde, zum Beispiel der typischen Suche nach einem „Sündenbock“ für eigenes Versagen [10]. Und hochgebildete, hochbezahlte Universitätsprofessoren fördern und unterstützen Mobbing gegen Minderheiten oder ihnen unpässliche Mitarbeiter, betreiben es gar selbst, wie ich im Folgenden noch berichten werde.

      Ein zwei Jahre nach dem Drogenvorfall erschienener Spiegel-Online-Artikel [21] verriet dann, dass der Projektleiter aus dem ungrünen Institut seine zu Hause hergestellten Drogen an Freunden und Bekannten testete und dabei deren Puls und Blutdruck kontrollierte. Das absonderliche Vorgehen wird in besagtem Zeitungsartikel als Forscherdrang bezeichnet. Vor Gericht behauptete der Verteidiger, „sein Mandant habe nur seine wissenschaftlichen Ambitionen verfolgt“ und mein einstmaliger Projektleiter fügte hinzu, dass er probierte, wie die Substanzen der Designerdroge Ecstasy für psychotherapeutische Zwecke nutzbar wären. Letztendlich wurde er lediglich zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt, obwohl in älteren Zeitungsartikeln, die unmittelbar nach seiner Verhaftung erschienen waren, mit einer Haftstrafe von bis zu 15 Jahren gerechnet worden war. Immerhin hatte er die Drogen wenigstens zum Teil über Zwischenhändler an Drogenabhängige verkauft, so hieß es damals [22].

      I.V Das Institut des Monsterprofessors

      Nach nur einem Monat Arbeitslosigkeit verfügte ich über einen neuen Arbeitsvertrag, auch wenn dieser erst einmal nur für eine Dauer eines Jahres galt. Die Freude und der Stolz ließen mich meinen Schock von der ersten postdoktoralen Anstellung vergessen, denn eine neue winkte mir verheißungsvoll zu. Sehr verlockend wirkte auch die wieder geschrumpfte Entfernung von unserer Wohnung zum Arbeitsort, welche ich in einer halbstündigen Radfahrroute statt der bisherigen einstündigen Autofahrt zurücklegen konnte. Wegen der zunächst nur einjährigen Vertragslaufzeit bastelte ich noch während meiner Arbeitslosigkeit als fleißiger, pflichtbewusster Wissenschaftler einen zwanzigseitigen Projektantrag zusammen, der mir eine Habilitationsfinanzierung über mehrere Jahre einbringen sollte. Zu diesem Zweck musste ich mich erneut in ein mir noch unbekanntes Thema zur Funktion spezifischer Proteinstrukturen einlesen und fachrelevante Literatur zusammentragen. Es gab gerade ein frisch ausgeschriebenes Programm der Universität für einige wenige Habilitationsstellen, um welche große Konkurrenz herrschte. Entschließt man sich, eine Habilitation in Angriff zu nehmen, tritt man in den nächsten Qualifikationsschritt über die Promotion hinaus. Während dieser fünf bis sechs Jahre währenden Zeitspanne etabliert man ein eigenes Forschungsgebiet und führt Lehrveranstaltungen für Studenten durch. Damit dient sie dazu, zu einer Hochschullehrerlaufbahn, also zu einer Professur, zu befähigen. Beginnt man mit einer Habilitation, garantiert dies keine Arbeitsplatzsicherheit, ganz im Gegenteil. Doch die nächste befristete Wissenschaftleranstellung winkt. Hoffnungsvoll wartet man darauf. Mein Antrag wurde von der Auswahlkommission abgelehnt; zum Glück, denn bald entpuppte sich meine neue Arbeitsstelle als Horrorkabinett. Im Januar startete ich mit voller Motivation am neuen Arbeitsplatz. Meine Hauptaufgabe bestand wiederum in der Betreuung und Bedienung eines brummenden Großgerätes. Die zahlreichen Diplomanden und Doktoranden der Arbeitsgruppe brachten mir ihre präparierten Proben, welche ich am Gerät vermessen sollte. Hier bestand von vornherein eine ungünstige Konstellation, denn die Doktoranden verfügten bezüglich ihrer Thematiken über längere Erfahrung als ich in meiner Rolle als Neueinsteiger in die mir wiederum noch weitgehend unbekannten Fachdetails. Obwohl ich dieselbe Messgerätekombination während meiner vorangegangenen Postdocphase am Institut des Drogenherstellers betrieben hatte, waren die Aufgabenstellung und die Beschaffenheit der Proben und der zu analysierenden Substanzen derartig anders, dass ich nur vereinzelt auf meine Errungenschaften zurückgreifen konnte. Ein hochkomplexes Gerätesystem bietet so viele Einstellungs- und Anwendungsmöglichkeiten, dass man in einem knappen halben Jahr bei weitem nicht alles beherrschen kann, zumal dann, wenn man in Eigenregie am Gerät bastelte. Mein neuer Vorgesetzter erwartete jedoch von mir, sofort mit erfolgreichen Messungen zu starten. Seine Arbeitsgruppe suchte seit längerem spezielle Bindungsstellen an Biomolekülen, und ich gewann den Eindruck, als hätten sie noch keine gefunden. Oftmals detektierte ich in den mir übergebenen Proben kaum verwertbare Signale, was das Auffinden etwaiger Bindungsstellen mit Hilfe eines vielfältig anklickbaren, das heißt, eine schier unendliche Auswahl an Einstellungen bietenden Auswerteprogrammes enorm erschwerte. Die winzigen Volumina der in die Messtabletts pipettierten Probelösungen trockneten oft schon während der Messreihen ein, weshalb nicht genügend Probevolumen in das Gerät gelangte. Die Problematik war schwierig und für mich als nun schon mehrere Jahre tätige Wissenschaftlerin teilweise undurchschaubar. Die Ursprungsproben, aus denen die Diplomanden und Doktoranden die Biomoleküle präparierten, stammten aus dem Schlachthof. Es waren Kalbshirne. Sie brachten keine gute Energie ins Haus, an der es so stark mangelte in allen Ecken der komplett verkunststofften und vermetallten Büros und Laborräume des vielgepriesenen, teuren Neubaus. Von Natur auch hier wieder keine Spur. Nicht mal vorm Fenster. Das Computerbüro, in dem sich die Schreibtische der Diplomanden und Doktoranden sowie der meinige befanden, besaß nur Fenster zum verglasten Innenhof des Gebäudes, weshalb Tageslicht fast gar nicht herein schien. Konnten in einem menschlichen Wesen, das sich Tag für Tag darinnen aufhielt, gute Gedanken gedeihen? Auch der Pausenraum war fensterlos. In einer Mikrowelle erwärmten die СКАЧАТЬ