Название: Alptraum Wissenschaft
Автор: Anne-Christine Schmidt
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783738072457
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Auf einer Tagung, die in einer anderen Forschungseinrichtung stattfand, ließ mich mein vorgesetzter Professor von einem extra dazu geschickten Kollegen aus einer Diskussion mit anderen Tagungsteilnehmern herausholen. Sein unwirsches Vorgehen begründete er damit, dringend einen Beisitzer für einige studentische Diplomprüfungen zu benötigen. Diese Aufgabe hätte zwar ebenso mein unfreundlicher Abholer übernehmen können, wobei er gleichzeitig noch das Benzin für die halbstündige Fahrt zum Tagungsort und zurück hätte sparen können. Aber er duldete keine Diskussion und raunzte mich an: „Komm jetzt!“ Der Anweisung meines Vorgesetzten folgend verließ ich die Tagung, für die ich immerhin meinen Tagungsbeitrag bezahlt hatte. Kaum im MoP-Institut angekommen, eilte ich zum Prüfungszimmer. Doch es kam nicht so weit, dass ich es betreten konnte. Die Sekretärin eilte mir entgegen, um zu verkünden, dass ein Professor aus einem Nachbarinstitut den Prüfungsbeisitz übernimmt. Das ganze eilige Theater, mich von der Tagung wegzuholen, schien umsonst zu sein; oder doch nicht, sondern um mich wieder einmal zu degradieren und zu schikanieren. Proben eines externen Kooperationspartners, die seit etwa einem Jahr in der Tiefkühltruhe lagerten, und an denen sich schon ein Doktorand die Zähne ausgebissen hatte, sollte ich augenblicklich und erfolgreich vermessen. Bis heute, das heißt neun Jahre nach meiner Flucht aus der Arbeitsgruppe des MoP, taucht keine einzige Veröffentlichung über die damals mir übergebene Thematik in der Publikationsliste des MoP auf. Dies bedeutet, dass auch nach mir niemand Erfolg damit hatte, was ich aufgrund der meinem Eindruck nach zum Scheitern verurteilten Herangehensweise auch erwartete. Aber bis zum Anschlag drangsalierte er mich deswegen, und dies angesichts meines einjährig befristeten Arbeitsvertrages. In einer unserer Diskussionen herrschte er mich an: „Merken Sie sich eines: was der Chef sagt, ist Gesetz.“ Eine wissenschaftliche Herangehensweise fehlte.
Übrigens hatte er zweieinhalb Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika verbracht, was, wie bereits erwähnt, für einen in die Führungspositionen des heutigen Wissenschaftssystems strebenden Wissenschaftler von großem Ansehen ist. Über Sinn und Zweck von Auslandsaufenthalten habe ich bereits an anderer Stelle ein paar Worte verloren. Obwohl der Professor in der Bildungshierarchie viel weiter aufgestiegen war als ich, lehrte und erklärte er mir nichts, sondern erwartete von mir, dass ich alles schon wusste über das für mich ganz neue Forschungsthema, welches er schon Jahre vor mir bearbeitete. Wenn ich eigene Vorschläge bezüglich der experimentellen Vorgehensweise unterbreitete, weigerte er sich, diese anzunehmen und negierte sie meist völlig kommentarlos. Im wöchentlich stattfindenden Literaturseminar, worin alle Arbeitsgruppenmitglieder abwechselnd zu ihren Forschungsthemen passende Fachartikel vorstellten, verließ er den Raum, als ich an der Reihe war. Dazu behauptete er noch, ich hätte in zwei aufeinander folgenden Seminaren zweimal Dasselbe erzählt. Tatsächlich aber hatte ich zwei verschiedene Literaturartikel mit wechselndem Inhalt vorgestellt. Man ersieht daraus, welch konstruktive wissenschaftliche Diskussionen man mit MoP führen konnte.
Irgendwann landete die Geschichte beim Personaldezernat, denn MoP beabsichtigte, mich schnellstmöglich zu entsorgen. Er behauptete sogar, dass er das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligte Projekt, auf welchem ich für ein Jahr eingestellt worden war, zurückgeben wird, wenn ich aufhöre. Kein Wissenschaftler, geschweige denn einer aus dem Professorenstand, gibt jemals ein schwer erkämpftes DFG-Projekt zurück, das ihm Finanzmittel schenkt. Nach meiner Entlassung hätte er jederzeit einen neuen, auf Projekten herumirrenden Wissenschaftler einstellen können, denn das Projekt war nicht personengebunden. In meinem Arbeitsvertrag war dieses Mal aufgrund der kurzen Gesamtdauer keine Probezeit eingetragen worden, weshalb mich der MoP nicht so leicht eliminieren konnte. Also fuhr er schwere Geschütze auf. Beim Personalchef der Universität beschwerte er sich, ich würde seine professorale Autorität in der Arbeitsgruppe untergraben. Mein ehemaliger Arbeitsgruppenleiter aus meiner Promotionszeit, dem ich mein Leid klagte, verfasste ein Schreiben an den Personaldezernenten, in dem er seine Überzeugung ausdrückte, dass ich vollkommen unschuldig war an der unangenehmen Situation. Er schilderte, dass ich während meiner Tätigkeit in seinem Arbeitskreis „eine außerordentlich engagierte, fleißige und überlegte Arbeit geleistet hatte, die zu Recht in einer sehr guten Promotion mündete“. Weiterhin bat er die Personalstelle, die Umstände aufzuklären, die seiner Meinung nach zu meiner vollständigen Entlastung führen würden. Der Personalchef antwortete ihm nie. Allerdings ordneten die Personaldezernenten die Angelegenheit letztendlich einer persönlichen Unverträglichkeit zwischen mir und MoP zu, was mich wenigstens teilweise entlastete. Schließlich hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Ohne Hinweise und Hilfestellungen des Professors, der schon jahrelang auf der für mich völlig neuen Thematik arbeitete, versuchte ich, mich in das Messen seiner eigentlich in dieser Weise unmessbaren Proben einzuarbeiten. Jeden Tag telefonierte ich mit Firmen, Servicetechnikern und Fachkollegen, um irgendwie voranzukommen. Wenn MoP mir wieder etwas vorwarf, wehrte ich mich. Mehr nicht. Die Krönung seiner Schikanen gipfelte darin, dass ich mir als promovierte Mitarbeiterin meinen kleinen Schreibtisch einschließlich des darauf stehenden Computers mit einer Studentin teilen sollte, die neu ans Institut kam; und dies im selben Büroraum, wo alle geringer qualifizierten Diplomanden und Doktoranden einen eigenen Schreibtisch besaßen. Zu MoP`s Strategie gehörte eben auch Degradierung. Im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, wie ich all diese schrecklichen Tage, die vor Psychoterror nur so strotzten, überhaupt aushielt. Oft schleppte ich mich vom Mittagessen in der Mensa durch den wunderschönen, alten Park zurück und wollte eigentlich nicht mehr in das Horrorlabor zurückkehren. Munter pickende Stare mit perlenbesetztem schwarzem Kleid spazierten auf den Parkwiesen umher und verbreiteten einen Hauch einer natürlichen Welt. Aber ich hörte nicht auf meine Seele. Ein Naturwissenschaftler darf keine Seele haben. Er muss funktionieren wie seine Geräte, und wehe, wenn nicht. Dann hilft auch kein Servicetechniker mehr. Leg ab deine Sehnsucht nach Wiesen und Wald. Geh hinein in das große Haus aus Glas, Beton und Stahl. Schalte das künstliche, blendende Röhrenlicht an. Lass die Jalousien herunter, damit kein Sonnenstrahl das Computerlicht stört. Setz dich nieder und klicke. Klicke bis zum Abend, wenn du die Jalousien hoch lassen kannst, weil die Sonne flacher steht oder untergegangen ist. Die Computerabhängigkeit des Berufsalltags in der Naturwissenschaft trägt nicht nur zur vollendeten Naturentfremdung der Naturwissenschaftler bei, sondern begünstigt das Entstehen einer speziellen Form der Demenz, vor welcher Mediziner warnen [24]. Manfred Spitzer nennt sie „digitale Demenz“.
An meinem letzten Arbeitstag in den Räumen des MoP packte ich meine Sachen im Büro zusammen und löschte meine Dateien vom Computer. Dabei wurde ich von einer Laborantin beobachtet, die sich unmittelbar hinter meinem Rücken aufstellte. Als sie nicht entwich und mir unablässig zuschaute, fragte ich sie, was dies zu bedeuten hätte. „Der Professor hat mich beauftragt“, lautete ihre knappe Antwort. Fürchtete er, dass ich ihm seine missglückten Messdaten zu entführen beabsichtigte? Wo ich doch heilfroh war, mich damit nicht mehr quälen zu müssen!
Im Arbeitszeugnis übernahm er exakte Formulierungen aus der verschlüsselten, aber allgemein bekannten Zeugnissprache. Da er die Sätze nicht einmal ansatzweise phantasievoll abwandelte, konnte man in entsprechenden Broschüren direkt die Bedeutungen ablesen. In allen Punkten mit Ausnahme der Fachkenntnis erteilte er mir die schlechtesten Prädikate. Wohl merkte er, dass er aufgrund meiner vorangegangenen erfolgreichen Promotion und meiner bisherigen Fachveröffentlichungen unglaubwürdig erscheinen könnte, wenn er meine fachliche Qualifikation zu sehr herabwürdigte. Ebenso wie zum abrupten, von mir unverschuldeten Ende meiner Postdoktorandenanstellung am ungrünen Pflanzeninstitut quälten mich auch jetzt wieder anhaltende Magenschmerzen.
Die Personalleitung strebte eine Umsetzung für mich an, innerhalb der Universität, jedoch zu einem anderen Professor. Für diese Aktion mussten zur Gewährung der Restlaufzeit meines einjährigen Arbeitsvertrages Finanzen zur Verfügung gestellt СКАЧАТЬ