Название: Die Kreutzersonate
Автор: Лев Толстой
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752993479
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»Nein, ein solches Gefühl gibt es nicht. Angenommen, selbst, ein Mann würde eine bestimmte Frau allen andern Frauen für das ganze Leben vorziehen, so würde doch die Frau aller Wahrscheinlichkeit nach einen andern vorziehen. So war es und so ist es immer in der Welt«, sagte er, zog eine Zigarette aus seinem Etui und zündete sie an.
»Aber das Gefühl kann doch auch gegenseitig sein«, sagte der Advokat.
»Nein, das ist unmöglich«, versetzte der Grauhaarige, »wie es unmöglich ist, daß auf einer Fuhre voll Erbsen zwei vorher markierte Erbsen nebeneinander zu liegen kommen. Es handelt sich übrigens hier nicht bloß um eine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern es tritt eben Übersättigung ein. Sein Leben lang einen einzigen Mann oder eine einzige Frau lieben – das wäre etwa dasselbe, wie behaupten wollen, daß eine Kerze das ganze Leben lang brennen werde«, sagte er und zog gierig an seiner Zigarette.
»Aber Sie sprechen immer nur von der sinnlichen Liebe. Geben Sie nicht zu, daß es daneben eine Liebe gibt, die auf der Übereinstimmung der Ideale, auf geistiger Verwandtschaft beruht?« sagte die Dame.
»Geistige Verwandtschaft! Übereinstimmung der Ideale!« wiederholte er und ließ seinen Laut hören. »Aber dann brauchen sie doch nicht miteinander zu schlafen – verzeihen Sie, daß ich so geradezu rede! Um der Übereinstimmung der Ideale willen legen sich also die Menschen zusammen schlafen!« sagte er und lachte nervös auf.
»Aber gestatten Sie«, sagte der Advokat, »die Tatsachen widersprechen dem, was Sie sagen. Wir sehen, daß Ehen existieren, daß die Menschheit oder doch ihre Mehrheit im Ehestande lebt, und daß viele Paare ein langjähriges, ehrbares Eheleben führen.«
Der grauhaarige Herr lachte wieder auf.
»Sie sagen, die Ehen seien auf Liebe begründet; wenn ich aber bezweifle, daß es neben der sinnlichen Liebe eine andere gibt, dann wollen Sie mir die Existenz dieser andern Liebe damit beweisen, daß Ehen existieren. Die Ehen aber sind doch in unserer Zeit geradezu ein Betrug!«
»Durchaus nicht – erlauben Sie, bitte!« sagte der Advokat, »ich sage nur, daß Ehen existiert haben und noch existieren.«
»Gewiß existieren sie! Aber wo und wie existieren sie? Sie existierten und existieren bei den Leuten, die in der Ehe etwas Geheimnisvolles sehen, ein Sakrament, das vor Gott verpflichtet. Bei diesen Leuten existiert eine Ehe, bei uns jedoch nicht. Bei uns heiraten die Leute, ohne in der Ehe etwas anderes zu sehen als eine Paarung, und das Ende vom Liede ist Betrug oder Gewalttat. Der Betrug wird noch einigermaßen leicht ertragen. Mann und Frau lügen den Leuten vor, daß sie in der Einehe leben, in Wirklichkeit jedoch leben sie in Vielweiberei und Vielmännerei; das ist widerwärtig, aber es geht noch an; doch wenn, wie es zumeist der Fall ist, Mann und Frau die äußerliche Verpflichtung übernommen haben, ihr ganzes Leben lang gemeinsam zu leben und schon vom zweiten Monat an einander hassen und den Wunsch hegen, sich zu trennen, und dennoch zusammen weiterleben, dann entsteht jene fürchterliche Hölle, in welcher Trunksucht, Revolver und Gift, Mord und Selbstmord ihre verhängnisvolle Rolle spielen.« Er hatte das alles ganz rasch gesagt, ließ niemanden zu Worte kommen und war mehr und mehr in Hitze geraten.
Eine peinliche Stimmung herrschte unter uns.
»Gewiß, ohne Zweifel gibt es kritische Episoden im Eheleben«, sagte der Advokat, der dem anstößigen, hitzigen Tone des Gespräches ein Ende machen wollte.
»Sie haben mich erkannt, wie ich sehe?« sagte der grauhaarige Herr leise und scheinbar ruhig.
»Nein, ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen.«
»Das Vergnügen wäre nicht allzu groß. Ich bin Posdnyschew, der Mann, dem jene kritische Episode passiert ist, auf die Sie angespielt haben – der Mann, der seine Frau getötet hat«, sagte er und ließ seinen Blick rasch über uns alle hingleiten.
Niemand faßte sich schnell genug, um ihm etwas zu erwidern, und alles schwieg.
»Nun, gleichviel«, sagte er und stieß wieder seinen Laut aus. »Verzeihen Sie übrigens … äh! Ich will nicht weiter stören.«
»Oh, nicht doch, bitte recht sehr«, sagte der Advokat, ohne selbst zu wissen, um was er eigentlich »bitten« sollte. Posdnyschew hörte jedoch nicht auf ihn, wandte sich rasch um und ging auf seinen Platz. Der Advokat flüsterte mit der Dame. Ich saß jetzt neben Posdnyschew und wußte nicht, was ich sagen sollte. Zum Lesen war es zu dunkel, so schloss ich die Augen und stellte mich, als wollte ich einschlafen. Schweigend fuhren wir bis zur nächsten Station.
Auf dieser Station stiegen der Advokat und die Dame in einen andern Wagen, sie hatten das schon vorher mit dem Schaffner verabredet. Der Handlungsgehilfe hatte sich auf der Sitzbank ausgestreckt und war eingeschlafen, Posdnyschew rauchte und trank seinen Tee, den er sich schon auf der vorhergehenden Station bereitet hatte.
Als ich die Augen öffnete und ihn ansah, wandte er sich plötzlich in erregtem, heftigem Tone an mich:
»Es ist Ihnen vielleicht unangenehm, neben mir zu sitzen, nachdem Sie wissen, wer ich bin? Dann will ich hinausgehen.«
»O nein, ich bitte Sie!«
»Nun, dann erlaube ich mir, Ihnen ein Glas Tee anzubieten. Er ist aber sehr stark.«
Er schenkte mir ein Glas Tee ein.
»Da machen sie nun schöne Worte… . Und alles ist Lüge… .« sagte er.
»Wovon reden Sie?« fragte ich.
»Immer noch von derselben Sache: von der sogenannten Liebe und was so drum und dran ist. Sie wollen vielleicht schlafen?«
»Nein, ich bin nicht müde.«
»Dann will ich Ihnen, wenn Sie gestatten, erzählen, wie ich durch eben diese Liebe zu alledem gekommen bin, was ich erlebt habe.«
»Ja, wenn es Ihnen nicht schwer fällt.«
»Nein, eher fällt mir das Schweigen schwer. Trinken Sie, bitte – oder ist Ihnen der Tee zu stark?«
Der Tee war in der Tat so dunkel wie Bier, doch ich trank mein Glas aus. In diesem Augenblick ging der Schaffner durch das Coupé. Posdnyschew folgte ihm mit finsterem Blick und begann erst, als er fort war.
3
Nun, so will ich Ihnen also erzählen … Es ist Ihnen doch recht?«
Ich versicherte nochmals, daß es mir sehr recht sei. Er schwieg eine Weile, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und begann:
»Wenn ich schon davon erzähle, so muß ich alles von Anfang an erzählen: ich muß erzählen, wie und weshalb ich heiratete und wes Geistes Kind ich vor meiner Heirat gewesen bin.
»Ich lebte vor meiner Heirat so, wie alle – das heißt alle, die zu unserem Gesellschaftskreise gehören – zu leben pflegen. Ich bin Gutsbesitzer, Kandidat der Universität und war Adelsmarschall. Ich lebte bis zu meiner Heirat wie alle leben, das heißt ich gab mich Ausschweifungen hin und war überzeugt, daß ich ein ganz normales Leben führe. Ich hielt mich für einen lieben Jungen und einen durchaus moralischen Menschen. Ich war kein Verführer, hatte keine unnatürlichen Neigungen und machte den Sinnengenuss nicht zum Hauptziel meines Lebens, wie das so viele meiner Altersgenossen taten, sondern gab mich der СКАЧАТЬ