Название: Rechtliche Impulse
Автор: Carl von Ossietzky
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783966512084
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Die Weltbühne, 29. November 1927
Der Femeprozess und so weiter
Mein Freund und Kollege Berthold Jacob und ich sind von dem Erweiterten Schöffengericht Charlottenburg zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten respektive einem Monat verurteilt worden. Das Delikt wird erblickt in einem Artikel Jacobs, »Plaidoyer für Schulz«, hier erschienen am 22. März dieses Jahres und von mir verantwortet. Strafantrag hatte gestellt der Herr Reichswehrminister für die Herren Oberst von Schleicher, Oberst von Bock und Hauptmann Keiner. Der Staatsanwalt, ein höflicher und zurückhaltender Herr, hatte nur die Verhängung finanzieller Sanktionen beantragt, jedoch die Charlottenburger Emminger-Kammer, aus einem Landgerichtsdirektor, einem gelehrten Richter und zwei ungelehrten Volksrichtern bestehend, entschied sich für Prison. Also Prison. Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlass zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. Dennoch mussten wir einen kleinen Ärger überwinden, als wir das Urteil vernahmen, das uns für ein paar Wochen aus dem geselligen Treiben der Reichshauptstadt verbannt, wenn die Berufungsinstanz es bestätigen sollte. In der Urteilsbegründung wird nämlich als straferschwerend betrachtet, dass wir beide erst in diesem Jahre wegen Beleidigung durch die Presse zu Geldstrafen verdonnert worden wären. Was Jacob ausgefressen hat, weiß ich nicht, aber mein eigner Fall steigt noch leuchtend in der Erinnerung auf. Von meiner früheren Tätigkeit her, als verantwortlicher Redakteur des »Montag Morgen«, schwebte gegen mich (und Erich Weinert) noch ein vom Reichsmarineamt beantragtes Verfahren; wir waren zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt worden, und vor der Berufungskammer kam es zu einem erregten Auftritt zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger. Daraufhin zog Paul Levi die Berufung demonstrativ zurück, und so bin ich vorbestraft. Man soll, wenn man mit der Justiz zu tun hat, ein für alle Mal großartige Gesten vermeiden.
Dennoch war auch dieser Gang nach Moabit lohnend, weil er uns die Bekanntschaft mit der Richterpersönlichkeit des Herrn Doktor Crohne vermittelte. Es ist hier und anderswo im Lauf der Jahre manches Bittere über die Richter geschrieben worden, manches, was von Galle durchtränkt war und bei einem spätem Nachlesen oft karikaturistisch verbogen schien. Es bleibt das Verdienst des Herrn Doktor Crohne, unsre gelegentlichen innern Zweifel an dem Richterbild der deutschen Linkspresse behoben zu haben. Sein Auftreten wirkt wie eine ungewollte und deshalb um so stichhaltigere Bestätigung für alles, was von Bewersdorff bis Niedner über die Richter geschrieben worden ist. Dieser Richter, dessen Tatendrang nicht Objektivität, geschweige denn Konzilianz hemmt, verfügt über eine unermüdliche Eloquenz; er redet, redet, redet. Bald autoritativ und herunterputzend, bald mit der Striemenden Ironie eines durch sein Amt vor ähnlichen Waffen Gesicherten; sofort nach Eröffnung pfeift er uns, die Angeklagten, an, wie es ein Richter von Herz und Takt nicht bei ein paar verstockt leugnenden Langfingern tun würde; er macht durch sein Dazwischenreden unsre Vernehmung unmöglich, er handhabt die richterliche Superiorität wie einen Gummiknüppel, der ständig dem, der außer ihm noch zu reden wagt, übern Mund fährt. Wir sind unsern Verteidigern Alfred Apfel und Georg Löwenthal, die eigentlich immer mit der Hand an der Mappe, zum Exodus bereit, dastehen, zu höchstem Dank verpflichtet, dass sie ungeachtet dieser hyperboreischen Verhandlungsformen bis zum überraschungslosen Ende ausharren. Dieser Vorsitzende herrscht den Zeugen Schulz an, der erregt am Zeugentisch steht und als zum Tode Verurteilter einiges Recht zur Erregung hat und einmal nervös mit zwei Fingern untern Cut fährt: »Nehmen Sie die Hand aus der Tasche!« Ein Mann auf der Zuhörerbank, ein Mann mit der gelben, schwarz punktierten Binde um den Arm, ein Kriegsblinder, der sich zu einem Zwischenruf bekennt, wird mit einem kurzen »Raus damit!« aus dem Saal verwiesen. Die Aphoristik dieser zwei abgehackten Worte aus einem sonst so zur Ausdrucksfülle neigenden Munde, der für die Herren vom RWM sogar die umständliche Anrede in der dritten Person findet, ist unüberbietbar.
Apotheose zweier langer Verhandlungstage bleibt die Begründung des Urteils. Sie soll hier nicht in ihren Einzelstücken gewogen werden. Denn sie ist improvisiert, auf Grund von Skizzen zum Teil frei vorgetragen, und es bleibt abzuwarten, ob die Schlussfassung gewisse Ausdrücke und Partien enthalten wird, die schon bei der Verlesung ungläubiges Staunen und nachher in der Presse scharfe kritische Glossierung gefunden haben. Es bleibt abzuwarten, ob die Schlussfassung für die Würdigung der wichtigsten Zeugenaussagen die legere Wendung »Olle Kamellen« beibehalten wird, ob die auffallenden persönlichen Ausfälle gegen die Verteidiger nicht doch noch umgemodelt werden. Aber außer Frage steht, dass ein paar Ungeheuerlichkeiten bleiben werden, die weder entfernt noch umgeformt werden können, weil sie die Tragbalken des ingeniösen Spruches darstellen. Sogar unsre Beweisanträge werden als straferschwerend angesehen; ein juristisches Novum. Ein politischer Epilog führt in die hohe Politik. Der Richter hat den politischen Charakter des Prozesses bestritten, doch er selbst breitet in seinem Schlusswort eine Übersichtskarte seiner politischen Meinungen aus. Da wird zur Rechtfertigung der Gründer schwarzer Kaders unter anderem gesagt, dass diese unsre Ostgrenze gegen einen polnischen Einfall zu schützen hatten, da es, wie Oberschlesien, Posen und Wilna gezeigt hätte, die polnische Methode sei, durch vorgeschickte Horden ein Fait accompli zu schaffen. Das mag als Meinung eines Politikers oder einer politischen Korporation gelten, aber es ist nicht Sache eines Gerichtes, einen Staat, mit dem grade wichtige Handelsvertragsverhandlungen gepflogen werden, also zu regalieren. Die Begründung wirft uns »gemeine Angriffe« gegen die drei Offiziere vor, sie hält eine Geldstrafe für ungenügend, da diese keine Gewähr biete, uns von weitern Angriffen auf die Ehre andrer abzuhalten. Hier hört das Humoristikum auf, und das Interesse der ganzen deutschen Pressegilde beginnt. Denn damit werden zwei Publizisten, die sich seit Jahren in einem politischen Kampf befinden, rund und nett als Ehrabschneider gebrandmarkt und gleich für die Zukunft verwarnt. Herr Crohne mag den inkriminierten Artikel beurteilen, wie er will, dagegen gibt es Rechtsmittel, und im äußersten Fall sitzt man die Strafe ab, in dem Bewusstsein, dass eine in solcher Form auferlegte und mit solcher Argumentation servierte Pönitenz nicht die Haut ritzt. Jeder Publizist, der mit ganzem Herzen für eine Sache eintritt, wird mit Empörung eine Drohung auf die Zukunft ablehnen. Man mag uns verurteilen heute, morgen, übermorgen, wir werden es hinnehmen, aber unser Stolz wird sein, nicht »gebessert«, sondern nur energischer, schärfer, dichter und zäher zu werden. Dafür sind wir Publizisten und stehen wir im Dienst der Öffentlichkeit. Unser Beruf hat in diesem Land der schneckentempofahrenden Instanzenzüge und der wabbeligen Parlamente ein unsichtbares Volkstribunat inne, wir verwalten ein unsichtbares Anklägertum, Richtertum und Verteidigertum. Es ist ein Unterschied zwischen Beleidigung und Beleidigung. Es ist ein Unterschied zwischen einem feilen Sudler, der mit Behagen in der Geschlechtssphäre wühlt und grinsend den Phallus des Gegners dem verehrten Publikum präsentiert, und Schriftstellern, die für Ideen kämpfen, selbst wenn sie fanatisiert etwa die Gebote der Höflichkeit verletzen. Das Gericht hat sich keinen Augenblick bei der Tatsache aufgehalten, dass der beanstandete Artikel ein Plädoyer für jenen Oberleutnant Schulz darstellte, den die »Weltbühne« zuerst aufgestöbert hat, zu dessen Überführung der Verfasser des beanstandeten Artikels nicht wenig Material beigetragen hat. Ist das ein »gemeiner Angriff«, für den Mann einzutreten, den man selbst hat stellen helfen? Ist das ein gemeiner Angriff, laut zu erklären, auch dieser war nur ein Opfer, ein Getriebener, nicht Letztverantwortlicher, sondern nur Teilchen jenes mörderischen Mechanismus? So soll Verleumdung und Ehrabschneiderei aussehen?
Inkriminiert war in dem Artikel folgendes: »Schulz hat Anspruch auf den ordentlichen Richter. Aber der soll nicht außer Acht lassen, dass der Oberleutnant nur erteilte Befehle ausgeführt hat und dass man neben ihn auf die Anklagebank mindestens den Hauptmann Keiner und den Oberst Bock, wahrscheinlich aber auch den Oberst von Schleicher und den General von Seeckt setzen müsste.« Unbeanstandet gelassen war dagegen der Passus von dem »unwahrscheinlichen Eid« des Herrn Oberstleutnants СКАЧАТЬ