Название: Lebendige Seelsorge 1/2022
Автор: Verlag Echter
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429065515
isbn:
Ok, ich bin Kleriker. Das lässt sich nicht so einfach ändern und das will ich auch nicht verleugnen. Aber wie klerikal bin ich? Kann ich das eine überhaupt ohne das andere sein? Nach welchem Maßstab darf ich als Kleriker handeln und entscheiden, ohne als klerikal abgestempelt zu werden? Wolfgang Metz
Vor einigen Jahren an einem Freitagabend nach dem Gottesdienst: Nur wenige Wochen zuvor wurde auf Wunsch von Menschen aus unserer Kirchengemeinde die Kommunion unter beiderlei Gestalt im Gottesdienst am ersten Freitag eines Monats eingeführt. Die Ansage dabei war, die Kommunion so zu empfangen, wie es für eine:n die richtige Weise ist: nur in Form der Hostie oder die Hostie in den Kelch einzutauchen oder auch aus dem Kelch zu trinken (natürlich mit dem Hinweis, vorsichtig zu sein).
Nach einem der ersten dieser Gottesdienste kam ein jüngerer Mann auf mich zu und begann eine Diskussion mit mir, dass das so nicht ginge und man das so nicht darf. Die Hostie selbst in den Kelch einzutauchen, sei ganz klar dogmatisch verboten, weil man so die Kommunion nicht gereicht bekommt, sondern sie sich selbst nimmt. Er war dabei ernst und es war ihm wichtig, dass alles richtig gemacht wird.
Ich habe dann eine ganze Zeit mit ihm gesprochen, ihm versucht zu erklären, dass man das so einfach nicht sagen kann, weil man ja den Kelch trotzdem gereicht bekommt, und dass das eine gängige Praxis in unserer Diözese im Allgemeinen und in vielen Kirchengemeinden im Konkreten ist. Er hat immer und immer wieder nur gesagt, dass man das nicht darf und dass das so nicht geht.
(Nur kurz zur Klarstellung: Mir geht es hier nicht um eine dogmatische Diskussion. Dieses Fass soll hier erst einmal keine Rolle spielen und zubleiben. Es geht mir um die handelnden Personen.)
Erst ganz am Ende unseres Gesprächs oder besser gesagt unserer Diskussion vermittelte der Mann den Eindruck, als wäre er zufrieden und beruhigt. Nämlich nachdem ich klarstellte: „Ich sage Ihnen eines: Ich bin hier der Pfarrer und ich habe das zu verantworten – und deshalb wird das so gemacht. Punkt!“
Wolfgang Metz
war schon Landwirt, Rockmusiker, Rettungshelfer und Buchautor. Da er alles nur so halb konnte, ist er Priester geworden. Was er kann, ist ins Kino gehen, Musik hören, Worte finden und überlegen, was das Leben noch an halben Sachen für ihn bereithält. Aktuell ist er halb Pfarrer in Sindelfingen und halb Hochschulseelsorger in Tübingen.
ES KÖNNTE SO EINFACH SEIN
Zwei Dinge haben mich damals ratlos zurückgelassen: Zum einen, dass dieser Mann mich sozusagen in eine Rolle bugsiert hatte, die ich niemals wollte. Nämlich, dass es in einem Dialog bzw. einer Diskussion plötzlich nicht mehr um das bessere Argument und den Inhalt geht, sondern schlicht und ergreifend um den, der am längeren Hebel sitzt. Und zum anderen, dass er sich schlussendlich nur mit dem ‚Argument‘ zufriedengegeben hatte, dass ich als Pfarrer ein Machtwort gesprochen und entschieden habe. Denn das war er nachher wirklich: zufrieden. Er war nicht verärgert, nicht gehässig oder sonst etwas. Er wollte nicht weiterdiskutieren. Er war total freundlich und ist auch weiterhin regelmäßig in den Gottesdienst gekommen. Der Mann hatte mich mit dem Gefühl zurückgelassen, dass er nun genau den Pfarrer hat, den er sich immer schon gewünscht hatte.
Diese Begegnung hat mir aufgezeigt, dass viel darüber gesprochen wird, dass Kleriker klerikalistisch auftreten und handeln, aber wenig davon, dass es auch Menschen gibt, die klerikalistisches Auftreten und Handeln wollen und einfordern, und dabei meine Mitbrüder und mich auf die eine oder andere Weise formen. Ich habe nicht wenige Menschen aus meiner Kirchengemeinde vor Augen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie immer noch einen Pfarrer wollen, der nicht nur klar sagt, was richtig und was falsch ist, sondern auch, was zu tun und zu lassen ist. Diesen Menschen kann man nichts Schlimmeres antun, als sie in die Selbstverantwortung zu entlassen. Diese Menschen sehnen sich nach Klarheit und nach einer gewissen Art von Einfachheit. Zum Glück gibt es auch viele andere Menschen, aber die Beschriebenen gibt es eben auch.
Es gibt nicht nur die Art von Klerikalismus, die ich als Kleriker ausübe, sondern auch jene Art, die an mich als Kleriker hingetragen wird. Wodurch versucht wird, mich in eine Rolle zu pressen und mich zu erpressen, auf eine gewisse Art und Weise klerikal zu handeln.
Ich möchte mich und meinen Berufstand sicherlich nicht als Opfer darstellen und sagen, dass nicht die Kleriker, sondern vor allem alle anderen am Klerikalismus schuld sind. Aber ich glaube, dass auch das Verhalten einiger Nicht-Kleriker:innen nicht unterschätzt werden darf. Es gibt eben nicht nur die, die sich aufregen, weil der Pfarrer von einem hohen Sockel aus auf sie herunterblickt, agiert und regiert, sondern es gibt ebenso die, die ihn gerne auf diesem Sockel sehen oder ihn auf diesen hochhieven wollen und es auch tun. Letzteres ist für meinen Berufsstand keine Opfersituation, sondern eine gefährliche Versuchung, weil es natürlich toll ist, wenn Leute zu mir emporschauen und ich jemand bin. Es ist auch deshalb eine Gefahr, weil dieses System von oben und unten so schön klar und einfach daherkommt. Darüber hinaus glaube ich, dass jene Versuchung mit dem zunehmenden Priestermangel noch größer wird, denn die wenigen Priester, die noch da sind, werden gehegt und gepflegt. Ihnen wird bewusst oder unbewusst gezeigt, dass sie etwas Besonderes sind und sie werden auf ganz unterschiedliche Weise bewusst oder unbewusst auf den hohen Sockel gestellt.
Was ich sagen möchte, ist, dass die Sache, wie Klerikalismus auftaucht, geformt und gepflegt wird, ungefähr so ist, wie der Beziehungsstatus vieler Menschen: Es ist kompliziert.
ES IST KOMPLIZIERT
Ich bin katholischer Priester und somit Kleriker. Das ist nun mal so.
Wie schon angedeutet und wahrscheinlich allgemein bekannt bzw. gedacht: Im Zusammenhang mit Klerikalismus geht es oft darum, was Kleriker tun, wie sie sich verhalten und gebärden. Und das kommt natürlich auch nicht von ungefähr. Es gibt genügend Aussagen und Beispiele von Mitbrüdern in genau diesem bekannten bzw. gedachten Duktus, bei denen ich mich dafür schäme, Kleriker zu sein.
Zum einen geht mir das aber bei vielen pastoralen Mitarbeiter:innen oder allgemein bei vielen Christ:innen auch so, weil sie sich nicht weniger klerikal gebärden. Und zum anderen geht es sicherlich vielen meiner Mitchrist:innen und Mitbrüdern mit mir in manchen Situationen genauso ….
Früher dachte ich, Klerikalismus sei ein gewisser Habitus und klerikalistisches Handeln gewisse Gesten, Worte und Entscheidungen, die etwas von fehlender Augenhöhe erzählen und von denen ausgehen, die klerikal handeln. Natürlich wird dies meist und leider auch wirklich aus vielerlei schlechten Erfahrungen heraus Klerikern zugeschrieben. Aber, dass es diesen Habitus natürlich genauso unter Lai:innen, Haupt- und Ehrenamtlichen, Frauen und Männern gibt, war mir immer schon klar und dies habe ich leider auch oft genug schon erlebt.
Zum Beispiel erlebe ich eine Kollegin im pastoralen Dienst, die immer eine große Kritikerin gegenüber der kirchlichen Hierarchie und dem Klerikerstand war und ist, die nun aber, als Pfarrbeauftrage in einer Gemeinde, genauso geworden ist wie alles, was sie kritisiert hat und immer noch kritisiert. Ist Klerikalismus vielleicht oft einhergehend mit einer gestörten Selbst- und Fremdwahrnehmung?
Und daran anschließend denke ich an eine Frau von Maria 2.0, die klug und klar, aber auch mit ruhigen und völlig abgeklärten Worten bei einem Interview in einem Fernsehstudio sitzt und Forderungen stellt. Leider bekommen ich bei alldem aber das Gefühl nicht los: Wenn ein Bischof mit diesem Habitus dort genauso sitzen und reden würde … – du würdest ihn zerfleischen.
Oder ich denke an die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen, Männer und Frauen, die ich schon getroffen habe, die durch manch schlechte Erfahrung mit Kirchenmenschen (oft völlig nachvollziehbar) СКАЧАТЬ