Название: Gesammelte Werke
Автор: Sinclair Lewis
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4066338121103
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Aus diesen frühen braun-silbernen Tagen bewahrte sich Carola in ihrer Unabhängigkeit von Verwandten die Bereitwilligkeit, anders zu sein als energische, tüchtige Menschen, die keine Bücher kennen; den Trieb, das Hasten zu beobachten und sich darüber zu verwundern, auch wenn sie daran teilnahm. Aber als sie ihre Laufbahn des Städtebauens entdeckte, merkte sie zufrieden, daß es sie jetzt trieb, selbst energisch und tüchtig zu sein.
4
Nach einem Monat hatte Carolas Ehrgeiz nachgelassen. Sie wußte wieder nicht, ob sie Lehrerin werden sollte. Bekümmert dachte sie, sie sei nicht stark genug, das tägliche Einerlei zu ertragen, sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie vor grinsenden Kindern stehen und weise und entschlossen tun sollte. Aber der Wunsch, eine schöne Stadt zu schaffen, blieb. Wenn sie auf einen Artikel über kleinstädtische Frauenklubs oder auf die Photographie einer großzügig gebauten Hauptstraße stieß, bekam sie Heimweh, hatte sie das Gefühl, ihrer Arbeit beraubt zu sein.
Der Rat ihres Englisch-Professors brachte sie darauf, in einer Chicagoer Schule Bibliothekswesen zu studieren. Ihre Phantasie formte den neuen Gedanken und malte ihn farbig aus. Sie sah sich, wie sie Kindern zuredete, reizende Märchen zu lesen, jungen Männern half, technische Werke zu finden, wie sie überhöflich zu alten Herren war, die nach Zeitungen stöberten – die Leuchte der Bibliothek, eine Bücherautorität, die man mit Dichtern und Forschern zu Essen einlud, die in einer Gesellschaft erlesener Gelehrter einen Vortrag hielt.
5
Der letzte Empfang des Lehrkörpers vor der Promotion. Noch fünf Tage, und alle waren im Unwetter der Schlußprüfung.
Im Haus des Rektors waren Unmengen von Palmen aufgestellt, so daß man an ein besseres Leichenbestattungsgeschäft denken mußte, und in der Bibliothek mit dem Globus und den Porträts von Whittier und Martha Washington spielte das Studentenorchester »Carmen« und »Butterfly«. Carola war ein wenig berauscht von der Musik und der Abschiedsstimmung. Sie sah die Palmen als Dschungel, die rosa Glocken der elektrischen Lampen als opalisierenden Dunst und die bebrillten Lehrer als Olympier. Beim Anblick der kleinen Mädchen, mit denen sie »immer schon hatte näher bekannt werden wollen«, und der fünf oder sechs jungen Männer, die bereit waren, sich in sie zu verlieben, wurde sie melancholisch.
Mit Stewart Snyder aber machte sie eine Ausnahme. Er war so viel männlicher als die anderen; er wirkte wie ein ruhig warmes Braun, wie die Farbe seines neuen fertig gekauften Anzugs mit den wattierten Schultern. Sie saß mit ihm auf einem Haufen rektoraler Überschuhe im Garderobenverschlag unter der Treppe, mit zwei Tassen Kaffee und Hühnerpastetchen, und als die Musik dünn hereinsickerte, flüsterte Stewart:
»Ich kann es nicht aushalten, dieses Auseinandergehen nach vier Jahren! Den glücklichsten Jahren des Lebens.«
Sie glaubte es. »Oh, ich weiß! Zu denken, daß wir schon in wenigen Tagen Abschied nehmen und nie wieder einen von den Leuten hier wiedersehen werden!«
»Carola, Sie müssen mich anhören! Sie weichen immer aus, wenn ich ernst mit Ihnen reden will, aber Sie müssen mich anhören. Ich werde ein großer Anwalt werden, oder vielleicht auch Richter, und ich brauch' Sie, und ich würde Sie beschützen –«
Sein Arm schlüpfte hinter ihre Schulter. Die schmeichelnde Musik lähmte ihren Willen. Sie sagte ein wenig traurig: »Würden Sie achtgeben auf mich?« Sie faßte seine Hand an. Die war warm, fest.
»Und ob! Wir würden, Herrgott, wir würden's großartig haben in Yankton, wo ich mich niederlassen werde –«
»Aber ich möchte etwas mit dem Leben anfangen.«
»Gibt es denn was Schöneres, als ein Haus behaglich zu machen, prächtige Kinder aufzuziehen und nette, gemütliche Leute zu kennen?«
»Natürlich. Ich weiß. Das wird schon so sein. Wirklich, ich hab' Kinder gern. Aber es gibt ja so viel Frauen, die im Haus arbeiten können. Ich aber – also, wenn man schon im College gewesen ist, muß man es auch der Welt zugute kommen lassen.«
»Ich weiß, aber Sie können's ja ebensogut im Haus verwenden. Und, herrje, Carola, stellen Sie sich doch nur vor, wenn wir mit 'ner Gesellschaft ein Autopicknick machen, an einem hübschen Frühlingsabend.«
»Ja.«
»Und Schlittenfahren im Winter, und Angelngehen –«
Trara! Das Orchester hatte den »Soldatenchor« begonnen. Sie protestierte: »Nein! Nein! Sie sind ein lieber Kerl, aber ich möcht' was tun. Ich versteh' mich selber nicht, aber ich möchte – alles auf der ganzen Welt! Vielleicht kann ich nicht singen oder schreiben, aber ich weiß, als Bibliothekarin kann ich's zu etwas bringen. Stellen Sie sich nur vor, wenn ich einem kleinen Jungen helfe und er dann ein großer Künstler wird! Ich will! Ich will's tun! Lieber Stewart, ich könnte mich nie damit abfinden, nichts weiter zu tun, als Geschirr zu waschen!«
Zwei Minuten später – zwei schwindelnde Minuten – wurden sie von einem verlegenen Paar gestört, das gleichfalls die idyllische Abgeschiedenheit des Garderobenverschlags suchte.
Nach der Promotion sah sie Stewart Snyder nie wieder. Sie schrieb ihm wöchentlich einmal – einen Monat lang.
6
Ein Jahr war Carola in Chicago. Das Studium des Bücherkatalogisierens, des Registrierens, der Nachschlagewerke war leicht und nicht allzu einschläfernd. Sie schwelgte in der Gesellschaft der Kunstfreunde, bei Symphonie-, Violin- und Kammermusikkonzerten, im Theater und bei antiken Tänzen. Fast hätte sie die Bibliothekslaufbahn aufgegeben, um eine der jungen Frauen zu werden, die in leichten Nesselgewändern im Mondschein tanzen. Sie wurde zu einem richtigen Atelierfest mitgenommen, mit Bier, Zigaretten, kurzgeschnittenen Haaren und einer russischen Jüdin, welche die Internationale sang. Man kann nicht behaupten, daß Carola bei den Bohemiens etwas Bedeutsames zu sagen gehabt hätte. Sie war unbeholfen bei ihnen, kam sich unwissend vor und war entsetzt über die freien Manieren, nach denen sie sich jahrelang gesehnt hatte. Aber sie hörte Gespräche, die sie im Gedächtnis behielt, Diskussionen über Freud, Romain Rolland, über den Syndikalismus, die Confédération Générale du Travail, Feminismus contra Haremismus, über chinesische Lyrik, Nationalisierung von Bergwerken, Christian Science und das Fischen im Ontariosee.
Sie ging nach Hause, und das war der Anfang und das Ende ihres Bohemienlebens gewesen.
Ein entfernter Vetter von Carolas Schwager lebte in Winetka und lud sie einmal zum Sonntagsessen ein. Sie ging durch Wilmette und Evanston zurück, entdeckte neue Formen der Vorstadtarchitektur und entsann sich ihres Wunsches, Dörfer zu verschönern. Sie kam zu dem Schluß, daß sie die Bibliotheksarbeit aufgeben und, dank einem Wunder, dessen Natur ihr nicht sehr klar war, eine Präriestadt in eine Ansiedlung mit Häusern im Kolonialstil und japanischen Bungalows umwandeln würde.
Am nächsten Tag hatte sie im Bibliothekskurs über die Verwendung des Ergänzungskatalogs zu sprechen und wurde von der Diskussion so gepackt, daß sie ihr Städtebauen aufgab – und im Herbst war sie in der städtischen Bibliothek St. Pauls.
7
In der St. Pauler Bibliothek war Carola nicht unglücklich und nicht selig. Sie gestand sich zögernd ein, daß sie keinen sichtbaren Einfluß auf Menschen gewann. Anfangs legte sie in ihren Verkehr mit den Kunden eine Bereitwilligkeit, die Welten bewegen sollte. Aber von diesen festen Welten wollten СКАЧАТЬ