Gesammelte Werke. Sinclair Lewis
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Sinclair Lewis

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4066338121103

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СКАЧАТЬ Jungfrauen, dachte sie, sei zu erwarten, daß sie in ihrem Glauben an Satzanalysen im Cäsar ebenso Schlechtes wie Gutes tun könnten.

      Während des Seniorenjahres beschloß Carola endgültig: einmal Jus zu studieren, einmal Filmmanuskripte zu schreiben, Krankenschwester zu werden oder einen nebelhaften Helden zu heiraten.

      Dann wurde die Soziologie ihr Steckenpferd.

      Der Soziologielehrer war neu. Er war verheiratet und daher tabu, aber er kam aus Boston, er hatte unter Dichtern, Sozialisten, Juden und umstürzlerischen Millionären im Universitätsviertel New Yorks gelebt, und er hatte einen schönen, weißen, starken Hals. Er führte seine kichernde Klasse durch die Gefängnisse, Armenpflegeanstalten und Arbeitsnachweisämter von Minneapolis und St. Paul. Carola ging am Ende des Zuges, voll Empörung über die verletzende Neugier der anderen, über die Art, wie sie die Armen anglotzten, als wären sie in einem zoologischen Garten. Sie kam sich als große Befreierin vor.

      Ein Klassenkamerad namens Stewart Snyder, ein tüchtiger, schwerfälliger junger Mann in blauem Flanellhemd, mit verschossener Krawatte und der grünvioletten Jahrgangskappe, knurrte, während er mit ihr hinter den anderen durch den Schmutz der Viehhöfe St. Pauls stapfte: »Diese College-Hammel gehen mir auf die Nerven. Sie sind so aufgeblasen. Die hätten auf dem Land arbeiten sollen wie ich. Die Arbeiter dort stecken sie alle ein.«

      »Ich hab' gewöhnliche Arbeiter rasend gern«, rief Carola glühend.

      »Nur dürfen Sie nicht vergessen, daß gewöhnliche Arbeiter sich nicht für gewöhnlich halten.«

      »Sie haben recht! Ich bitte um Entschuldigung!« Carolas Augenbrauen hoben sich in der Überraschung ihres Gefühls in glorreicher Selbsterniedrigung. Ihre Augen bemutterten die Welt. Stewart Snyder starrte sie an. Er bohrte seine großen roten Fäuste in die Taschen, er riß sie wieder heraus, er wurde sie entschlossen los, indem er die Hände auf dem Rücken verschränkte und stammelte:

      »Ich weiß. Sie haben ein Auge für die Menschen. Die meisten von den verdammten Kommilitoninnen – Hören Sie, Carola, Sie könnten eine ganze Menge für die Menschen tun.«

      »Wie?«

      »Ach – also, ja – Sie wissen schon – Mitgefühl und so – wenn Sie – sagen wir, Sie wären die Frau eines Rechtsanwalts. Sie würden seine Klienten verstehen. Ich werde Rechtsanwalt. Ich muß zugeben, bei mir hapert's mit dem Mitgefühl manchmal. Ich werd' so ekelhaft ungeduldig mit Leuten, die sich nichts sagen lassen wollen. Sie wären gut für einen Menschen, der zu ernst ist. Sie würden ihn – ihn – Sie verstehen – mitfühlender machen!«

      Seine etwas aufgeworfenen Lippen, seine Hundeaugen bettelten, sie solle ihn bitten, weiterzusprechen. Sie floh vor der Dampfwalze seines Gefühls. Sie rief: »Ach, sehen Sie die armen Schafe – Millionen und Millionen Schafe.« Sie lief davon.

      Stewart war nicht interessant. Er hatte keinen wohlgeformten weißen Hals, er hatte nie unter berühmten Reformern gelebt. Sie wünschte sich, eben jetzt, eine Zelle in einem Stiftungshaus zu haben, wie eine Nonne ohne unbequeme schwarze Kutte, freundlich zu sein, Bernard Shaw zu lesen und eine Schar dankbarer Armer kolossal zu bessern.

      In ihrer soziologischen Lektüre stieß sie auf ein Buch über Dorfverschönerung – Bäumepflanzen, ländliche Feste, Mädchenklubs. Darin waren Bilder von Rasenplätzen und Gartenmauern in Frankreich, Neu-England und Pennsylvanien. Achtlos, mit einem leichten Gähnen hatte sie es aufgenommen. – Als die Drei-Uhr-Glocke sie zur Vorlesung über englische Geschichte rief, hatte sie es zur Hälfte durchflogen.

      Sie seufzte: »Das will ich nach dem College tun! Ich werde mich über eine von diesen Präriestädten hermachen und sie verschönern. Inspirieren und anfeuern. Dazu müßt' ich wohl Lehrerin werden – aber nicht so eine Lehrerin. Ich werde nicht faulenzen. Warum soll man denn nur in Long Island Gartenvorstädte haben? Kein Mensch hat mit den häßlichen Städten hier im Nordwesten etwas angefangen, abgesehen von Wiedererweckungsversammlungen und Bibliotheken mit Kitschbüchern. Ich werde die Leute dazu bringen, daß sie grüne Dorfplätze anlegen, reizende Häuschen und eine hübsche Hauptstraße bauen.«

      So kam sie triumphierend durch die Stunde, dem typischen Blodgett-Kampf zwischen einem langweiligen Lehrer und widerstrebenden Kindern von zwanzig Jahren, in dem der Lehrer siegte, weil seine Gegner auf seine Fragen antworten mußten, während er ihren gefährlichen Fragen begegnen konnte, indem er sich erkundigte: »Haben Sie sich das in der Bibliothek angesehen? Also, wie wär's damit!«

      Der Geschichtslehrer war ein pensionierter Geistlicher. Heute war er sarkastisch. Er fragte den flotten jungen Herrn Charlie Holmberg: »Nun, Charles, dürfte ich Sie vielleicht in Ihrer zweifellos faszinierenden Jagd auf diese boshafte Fliege stören, um Sie zu ersuchen, uns zu sagen, daß Sie nicht das geringste von König Johann wissen?« Drei köstliche Minuten lang konstatierte er, daß tatsächlich niemand das genaue Jahr der Magna Charta kannte.

      Carola hörte ihn nicht. Sie stellte das Dach eines Fachwerk-Rathauses fertig. Sie war in dem Präriedorf auf einen Mann gestoßen, der ihr Ideal von gewundenen Straßen und Laubengängen nicht zu schätzen wußte, aber sie hatte den Stadtrat einberufen und einen prachtvollen Sieg davongetragen.

      3

      Obgleich Carola in Minnesota geboren war, wußte sie nicht viel von den Präriedörfern. Ihr Vater, ein lächelnder, etwas schäbig aussehender, gelehrsamer und freundlich scherzender Mann, stammte aus Massachusetts und war während ihrer Kindheit Richter in Mankato gewesen, das keine Präriestadt, sondern mit seinen von Gärten eingesäumten Straßen und Ulmenanlagen ein wiedergeborenes weiß-grünes Neu-England ist. Mankato liegt zwischen Felsen und dem Minnesota River, hart an der Traverse des Sioux, wo die ersten Ansiedler Verträge mit den Indianern machten und Viehdiebe einst auf der Flucht vor wie besessen reitenden Polizeitruppen vorübergaloppierten.

      Wenn Carola an den Ufern des dunklen Flusses umherstieg, lauschte sie seinen Märchen von dem großen Land der gelben Wasser und gebleichten Büffelknochen im Westen; von den Flußniederungen im Süden mit den singenden Negern und den Palmen, wohin er, ewig rätselhaft, glitt; und sie hörte die aufgeregten Glocken der Flußdampfer wieder, die vor sechzig Jahren auf Sandbänke aufgefahren waren. Auf den Verdecks sah sie Missionare, gewerbsmäßige Spieler mit hohen Zylinderhüten und Dakotahäuptlinge mit purpurroten Decken … Fernes Pfeifen in der Nacht, das Echo von Ruderschlägen in den Föhren, ein Schimmer auf schwarzen, gleitenden Wellen.

      Carolas Familie kam in ihrem phantasiereichen Leben mit sich allein aus; Weihnachten war eine Feier voll Überraschungen und Zärtlichkeiten, es gab improvisierte vergnügt komische »Maskeraden«. Die Tiere in der Milford'schen Kindermythologie waren nicht scheußliche Nachtwesen, die aus Kammern herausspringen und kleine Mädchen auffressen, sondern freundliche, helläugige Geschöpfe – das Tapp-tapp, das wollig und blau ist und im Badezimmer lebt und schnell läuft, um die kleinen Füßchen zu wärmen; der eiserne Ölofen, der schnurrt und Geschichten weiß; und das Heinzelmännchen, das vor dem Frühstück mit den Kindern spielt, wenn sie, noch während der Vater beim Rasieren die erste Strophe seines Liedes singt, aus dem Bett springen und das Fenster zumachen. Richter Milfords pädagogisches System bestand darin, daß er die Kinder alles lesen ließ, was ihnen in die Hände fiel; und in seiner braunen Bibliothek verschlang Carola Balzac, Rabelais, Thoraux und Max Müller. Er lehrte sie ernsthaft die Buchstaben auf dem Rücken des Lexikons, und wenn höfliche Besucher nach den geistigen Fortschritten der »Kleinen« fragten, hörten sie entsetzt die Kinder eifrig wiederholen: A–And, And–Aus, Aus–Bis, Bis–Cal, Cal–Cha.

      Als Carola neun Jahre alt war, starb ihre Mutter. Ihr Vater zog sich aus dem Amt zurück, als sie elf war, und brachte die Familie nach СКАЧАТЬ