Zwei Minuten Ewigkeit. Bo Katzman
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwei Minuten Ewigkeit - Bo Katzman страница 4

Название: Zwei Minuten Ewigkeit

Автор: Bo Katzman

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783905958379

isbn:

СКАЧАТЬ das ich in naher Zukunft noch einmal erleben sollte.

      Mir war völlig klar, dass ich aus dem Lebensmaterial, das mir in den zwanzig Jahren zur Verfügung stand, nicht gerade ein Kunstwerk gestaltet hatte. Mit anderen Worten, ich hatte meine Lebenszeit eher vergeudet als genutzt oder gar gewinnbringend angelegt und gab mir die Note »Knapp genügend«. Das Wesen neben mir liess mich ein verständnisvolles Lächeln spüren, aber kein Anflug von Missfallen oder Bedauern ob meiner nicht gerade rühmlichen Leistung trübte seine liebevolle Ausstrahlung. Im Gegenteil, es gab mir das Gefühl, hundertprozentig geliebt und akzeptiert zu sein, und gab mir zu verstehen, dass meine Wertung lediglich meine persönliche Sicht der Dinge sei, die aber keine weiterreichende Bedeutung habe. Der einzige Zweck dieser Bewertung sei, dass ich die Einsicht gewänne, in welchen Momenten ich gut und liebevoll und in welchen ich schlecht und lieblos gehandelt hätte. In Wirklichkeit seien alle meine Erfahrungen wertvoll gewesen und unterlägen keiner negativen oder positiven Beurteilung.

      Da schloss sich das Zeitfenster und ich wurde wieder in das irdische Zeitgeschehen zurückgeworfen. Wie von ferne vernahm ich eine grosse Aufregung um mich herum, entsetzte Menschen standen am Unfallort und liefen hilflos und händeringend hin und her. Autoschlangen blockierten den Verkehr in einem grossen Umkreis. Ich bemerkte, wie jemand einen Wagenheber anschleppte und versuchte, den schweren Wagen anzuheben, unter dem ich lag, um mich aus der misslichen Lage zu befreien. Ich badete in einer Lache von ausgelaufenem Benzin, das meine Kleider durchtränkte und dessen Geruch mir zusätzliche Übelkeit und Brechreiz bereitete. Ein verzweifelter Gedanke durchzuckte mich: Jetzt soll nur niemand einen Zigarettenstummel wegwerfen! Die Vorstellung, unter einem Wagen eingeklemmt zu verbrennen, steigerte meine Panik ins Unermessliche. Da erblickte ich das verschwommene Gesicht eines weisshaarigen Mannes über mir, offenbar ein Arzt, der mich zusammen mit anderen Helfern behutsam unter dem Fahrzeug hervorzuziehen versuchte. Ich hörte einen Mann fluchen, eine Frau weinen und wie durch einen meilenlangen Tunnel drang das Martinshorn eines Krankenwagens an mein Ohr. Blaulicht flackerte, Stimmen schrien durcheinander, alles schien so unwirklich, als würde ein absurdes Theaterstück aufgeführt, das gar nichts mit mir zu tun hatte. Mit schwindendem Bewusstsein und von sinnraubenden Schmerzen begleitet, fühlte ich endlich, wie mehrere Hände mich auf eine Bahre hoben. Dann fiel ich in eine erlösende Bewusstlosigkeit.

      Mit einem Schlag war ich wieder bei hellstem Bewusstsein, einer geistigen Klarheit, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Bloss – irgendetwas war anders an dieser Situation und es dauerte einen Sekundenbruchteil, bis ich erkannte, was es war: Ich war nicht mehr in meinem Körper.

      Ich sah meine leibliche Hülle von oben auf einem Operationstisch liegen, in grüne Tücher gehüllt und vom Brustbein bis unter den Bauchnabel aufgeschnitten. Der leblose Körper, den ich da auf dem Tisch liegen sah, war mir komplett fremd und auch völlig gleichgültig. Ich fühlte nicht die geringste Beziehung zu diesem leblosen Stück Fleisch, das ich zwanzig Jahre lang bewohnt hatte. Das war nicht »ich«.

      Offensichtlich befand »ich« mich an der Decke des Raumes und konnte so die Szene überblicken, in der plötzlich Hektik aufkam. Ich hörte, wie der operierende Professor R. rief: »Jetzt hat es ihm die Pumpe abgestellt! Bringen Sie sofort den Elektroschock-Apparat!« Das war der Moment, in dem mir klar wurde, warum ich mich an der Decke, statt in meinem Körper befand: Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen. Ich war tot.

      Noch etwas war besonders an dieser Situation: Ich konnte wahrnehmen, was die anwesenden Personen, der Chirurg, der Anästhesist, die Assistenzärzte und Krankenschwestern dachten. Ihre Gedanken waren für mich wie ein lautes Gespräch und trotz des Durcheinanders konnte ich jedes dieser stummen Selbstgespräche klar und deutlich vernehmen.

      Ich wunderte mich, dass hier so viel Aufhebens gemacht wurde, bloss weil ich gestorben war. Diese Tatsache war für mich total in Ordnung und genau das wollte ich dem gestressten Chirurgen auch mitteilen. Ich schwebte also von meiner Position an der Decke herunter, wollte ihn am Arm fassen und sagte laut: »Sie können aufhören. Sehen Sie denn nicht, dass ich tot bin?« Mit Staunen stellte ich aber fest, dass mein Arm, mit dem ich ihn packen wollte, durch seinen Körper hindurchfuhr und er mich offenbar nicht hören konnte. Logisch, dachte ich, ich hatte ja gar keinen Arm mehr, überhaupt keinen Körper und auch keine Stimme mehr, ich bestand ja nur noch aus Geist. Ich befand mich in einer anderen Dimension, in der geistigen Welt. Es war nur die Erinnerung an meinen Körper und die Gewohnheit, die mich wie ein körperliches Wesen agieren liessen.

      Dank dieser Einsicht verlor ich das Interesse an der Szene und verliess sie. Das heisst, ich wurde durch die Decke hindurch weggezogen und in eine Umgebung hineinkatapultiert, die mir völlig unbekannt war, ich hatte keinerlei Erfahrungswerte, die einen Vergleich ermöglichten. Ich befand mich in einer Art Nebel und raste für mein Empfinden mit Lichtgeschwindigkeit in eine Richtung, wie von einem gigantischen kosmischen Staubsauger angezogen. Dieser Nebel, durch den ich mich bewegte, war aber keine Ansammlung von kleinen Wasserpartikeln, wie wir es von der Erde her kennen, sondern es war, als würde das gesamte Wissen des Universums in diesem Nebel gespeichert. Es war das Allwissen, das hier in geistiger Form um mich herum vorhanden war, und ich als Geistwesen war ein Teil davon. Es war, als würde man einen Tropfen Wasser ins Meer geben: Er wird selber zum Meer. So war ich ein Tropfen Bewusstsein, der im All-Bewusstsein aufging: Ich wusste alles.

      Mein gewohnt kleiner Verstand erweiterte sich schlagartig um ein Gigafaches seines bisherigen Inhalts. Mir war blitzartig klar, warum, wie und wann das Universum erschaffen wurde, und ich wusste, wann es untergehen würde. Ich wusste alle Antworten auf alle Fragen, die je gestellt werden konnten. Sie waren einfach da!

      Diese unermessliche Erkenntnis war wie eine Explosion und traf mich mit unvorstellbarer Wucht. Ich war nicht mehr nur ich, sondern ich war ein Teil von ALLEM, ich war alles. Der Tropfen war zum Meer geworden. Dabei hatte ich aber immer noch die Gewissheit, ein eigenständiges Individuum, ein Ich zu sein.

      Liebe Leserin, lieber Leser, bitte seien Sie nicht enttäuscht, wenn ich Ihnen nichts über diese Allwissenheit erzählen kann, an der ich in jenem Moment teilhatte. Leider konnte ich nichts davon mitnehmen und die Erinnerung verblasste, als ich wieder in meinem Körper erwachte, so wie ein Traum nach dem Erwachen verblasst. Wenn es nicht so wäre, hätte ich längst bei Günter Jauch und seiner Sendung »Wer wird Millionär« Furore gemacht mit meiner umfassenden Kenntnis.

      Das war das Eine, was mich in dieser Dimension völlig überraschte: die Gegenwart des Allwissens. Das Zweite war die Erfahrung der Zeitlosigkeit: Ich befand mich in der Ewigkeit.

      Wir Menschen stellen uns in der Regel unter »Ewigkeit« eine unendlich lange Zeit vor und setzen Ewigkeit mit »Endlosigkeit« oder »Unendlichkeit« gleich, eben einer Zeit ohne Ende. Das sind aber alles menschliche Zeitbegriffe, die davon ausgehen, dass es eine Zeit gibt.

       Die Ewigkeit ist jedoch das Gegenteil von zeitlicher Endlosigkeit, sie ist die Abwesenheit von Zeit.

      »Zeit« ist ja ein Phänomen, das nur im Zusammenhang mit Materie auftritt. Sie ist gebunden an Abläufe wie Planetenbewegungen, Jahreszeiten, Beschleunigung und Distanzen, die zurückgelegt werden müssen. »Zeit« ist ein Phänomen, das von der Materie erzeugt wird. In der geistigen Welt fällt die Zeit schon deswegen aus, weil da keine Materie ist, die sich in Abläufen bewegen könnte. »Geist« bewegt sich nicht, Geist ist.

      Es gab also keine Zeit in dieser Dimension. Alles war gleichzeitig vorhanden: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft waren verschmolzen zu einem »Alles-ist-immer«-Zustand, und zwar einschliesslich aller möglichen Varianten und Optionen. Das bedeutet, dass alles, was in der Vergangenheit je hätte geschehen oder in der Zukunft je wird passieren können, als realer Entwurf vorhanden war.1 (Anmerkung Seite 343)

      Diesen Zustand in Worten zu beschreiben – das spüre ich jetzt, da ich es versuche –, ist selbstverständlich ein СКАЧАТЬ