Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität. Michael Schart
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СКАЧАТЬ wie „ältester Sohn/älteste Tochter“, „Studentin/ Student“, „Frau/Mann“ oder „Japanerin/ Japaner“ ergeben sich bereits in den ersten Unterrichtsstunden Anknüpfungspunkte für jene Differenzerfahrungen, in denen Bonnet/Breitbach (2013:28) das besondere Bildungspotenzial fach- und sprachintegrierten Unterrichts sehen.

Studienjahr (Niveaustufen) Leitbegriffe Beispiel für thematische Schwerpunkte
1. Studienjahr (A0- A1/2) Identität personale Identität und soziale Rollen Dinge und Identität Beziehungen zu Menschen Beziehungen zu Orten
2.Studienjahr (A1/2- B1) Generation Lebensziele, Lebenswege und gesellschaftliches Engagement „Erwachsen werden“ in Deutschland und Japan Geschlechterbeziehungen
3./4. Studienjahr (B1- B2/C1) Gesellschaft (Recht und Gerechtigkeit) Politische Kultur Rechtskultur und Gerechtigkeit Migration und Integration Demografischer Wandel und Bevölkerungspolitik Widerstand, Protest und gesellschaftliche Umbrüche Geschichts- und Identitätspolitik

      Tab. 2.2:

      Thematische Gestaltung des Intensivprogramms für Deutschlandstudien an der Juristischen Fakultät der Keio Universität Tokio (pro Studienjahr ca. 60 UE à 90min)

      Wie Tab. 2.2 verdeutlicht, bezieht sich die inhaltliche Planung im ersten Studienjahr schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Facetten von Identität, integriert in den folgen Studienjahren aber mehr und mehr gesellschaftspolitische und juristische Aspekte (siehe dazu auch Kap. 2.5.3). So entfaltet sich im zweiten Studienjahr die thematische Gestaltung anhand des Leitbegriffs „Generation“. Daher kommen beispielsweise die Entwicklungsaufgaben zur Diskussion, die junge Menschen beim Hineinwachsen in eine Gesellschaft bewältigen müssen. In den letzten beiden Studienjahren stehen mit Leitbegriffen wie „Soziale Gerechtigkeit“, „Politische Kultur“ oder „Demografischer Wandel“ die Fachinhalte im Vordergrund. Sie werden jeweils über ein gesamtes Semester oder auch Studienjahr hinweg bearbeitet.

      Das Bestreben, die politische Bildung der Studierenden umfassend zu fördern, schlägt sich in der Konzeption der oberen Niveaustufen am deutlichsten nieder. Dass es seinen Ausdruck aber ebenso in den Kursen auf Grundstufenniveau findet, möchte ich an zwei Beispielen illustrieren. Diese sind nicht zuletzt auch deshalb von besonderem Interesse, weil die entsprechenden Unterrichtssequenzen eine wichtige Datengrundlage für die vorliegenden Studie bilden.

      Zwei Beispiele

      Die beiden Sequenzen, die ich im Folgenden kurz beschreiben möchte, spiegeln die inhaltlichen Gestaltungsprinzipien im Unterricht des ersten Studienjahres wider. Sie wurden in zwei unterschiedlichen Lerngruppen nach 7-8 Lernmonaten behandelt und sind beide eingebettet in einen größeren Themenkomplex, der sich über das gesamte zweite Semester erstreckt und sich der Frage widmet, wie unsere Identität geprägt wird durch die Dinge, die uns umgeben und mit denen wir uns umgeben.

      In der ersten Sequenz setzen sich die Studierenden mit dem Begriff Wohlstand auseinander. Sie untersuchen beispielsweise anhand des Glücksatlas der Deutschen Post die Faktoren für die Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit der Menschen mit ihrem Leben in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Sie entwickeln anschließend eigene Parameter für den Wohlstand eines Landes und recherchieren Informationen dazu. Auf dieser Grundlage vergleichen sie dann die Situation in Deutschland und Japan. Das auf diese Weise entstehende, vielschichtige Bild von Wohlstand bietet schließlich den Anknüpfungspunkt, um das Bruttoinlandsprodukt als gängiges Maß zu hinterfragen und sich gemeinsam in alternative Modelle von Wohlstandsindikatoren einzuarbeiten.

      Die zweite Unterrichtssequenz hat einen juristischen Schwerpunkt. Sie nimmt ihren Ausgang an dem vom Grundgesetz geforderten Schutz der Würde des Menschen. Gemeinsam wird zunächst rekonstruiert, wie sich dieser in Institutionen und Gesetzen widerspiegelt. Als ein konkretes Beispiel kommen dann die gesetzlichen Vorgaben zum Pfänden ins Spiel. Dieses Gesetz ist aus zwei Gründen von besonderem Belang für die Zielgruppe. Zum einen wurde das entsprechende Regelwerk in Japan gegen Ende des 19. Jahrhunderts direkt aus dem Deutschen übersetzt. Es bietet sich daher an, diesen Übertragungsprozess zu beleuchten: An welchen Stellen wurde beispielsweise der Text variiert, um den kulturellen Besonderheiten Rechnung zu tragen? Zum anderen ist die Frage, welche Dinge einer Person gepfändet werden dürfen und welche nicht, ein ergiebiger Unterrichtsgegenstand für politische Bildung, weil sich das Gesetz über die vielen Jahrzehnte seines Bestehens hinweg beständig den gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen musste. So reflektiert es kulturelle und technologische Veränderungen ebenso wie sich wandelnde ethische Urteile.

      2.4.5 Umsetzung

      In den bisherigen Ausführungen kam immer wieder das große Potenzial zur Sprache, das dem fach- und sprachintegrierten Unterricht im Hinblick auf die Förderung einer ganzen Reihe von Kompetenzen beigemessen wird. Auch auf empirische Erkenntnisse, die solche Hoffnungen zumindest teilweise rechtfertigen, konnte verwiesen werden. Gleichwohl besteht kein Anlass für überzogene Erwartungen. Didaktische Konzepte, so überzeugend und faszinierend sie auch wirken mögen, gewinnen ihre Kontur erst in der praktischen Umsetzung – und der unterrichtliche Alltag kann sich dabei zuweilen als äußerst widerspenstig erweisen. Für dieses Problem bietet auch der fach- und sprachintegrierte Unterricht durchaus Anschauungsmaterial.

      Betrachtet man beispielsweise nur das Ausmaß, in dem sich bilinguale Zweige in den europäischen Schulsystemen seit den 1990er Jahren verbreiteten konnten, scheinen die oben erwähnten institutionellen Beharrungskräfte längst bezwungen. Blickt man hingegen in die unterrichtliche Praxis, bietet sich ein deutlich anderes Bild. Dort zeigt sich, was unweigerlich passiert, wenn hohe Erwartungen auf nicht weniger hohe Hürden treffen: das erhoffte Lernpotenzial schrumpft beträchtlich. So wird der bilinguale Unterricht entgegen aller theoretischen Entwürfe als stoff- und lehrerzentriert (Bonnett/Breitbach 2013:190) oder transmissionsorientiert (Coyle 2007:548) beschrieben. Empirische Untersuchungen illustrieren, wie durch die Gestaltung der Interaktion die Räume für selbstständiges Denken und Argumentieren verengt und Aushandlungsprozesse unter den Lernenden verhindert werden (Nikula et al. 2013:73ff; Dalton-Puffer 2007:253ff; Llinares et al. 2012:76). Es dominiert der triadische Dialog, also die beständige Abfolge von Impulsen der Lehrperson, auf die einzelnen Lernende mit eher wenig komplexen Äußerungen reagieren (auch IRE- bzw. IRF-Sequenz, recitation script, tryadic structur; Walsh 2011:17).

      Ein „schlecht gemachtes fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch“ (Leisen 2015:132) beschneidet jedoch die Möglichkeiten des fach- und sprachintegrierten Unterrichts erheblich. Das ist vor allem auf die doppelte Herausforderung zurückzuführen, der sich die Lernenden gegenübersehen. Ihnen begegnen in solchen unterrichtlichen Settings fortwährend fachliche Konzepte in der Fremdsprache, die sie sich auch in der Muttersprache erst erschließen müssen. Und gerade diese Konzeptentwicklung kann durch ein diskursives Miteinander im Klassenraum unterstützt werden (vgl. Leisen 2015). Dafür müssen die Lernenden jedoch vielfältige Möglichkeiten erhalten, ihre Vorstellungen und ihr Vorwissen einzubringen, Hypothesen zu formulieren, ihre Ideen zu vergleichen oder zu hinterfragen und gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Ein solcher Prozess der Bedeutungsaushandlung gilt daher als Motor der Kompetenzentwicklung in fach- und sprachintegrierten Unterrichtssettings (Donato 2016; Palmer/Ballinger/Peter 2014; siehe auch Kap. 2.6).

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