Название: Fach- und sprachintegrierter Unterricht an der Universität
Автор: Michael Schart
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823301844
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2.4.4 Gestaltungsprinzipien
Dieses Prinzip der Ausgewogenheit von Inhalt und Form wird auch in dem Kursangebot verfolgt, mit dem sich die vorliegende Studie befasst. Wie ich in Kap. 2.3 bereits schilderte, ist der Grundstufenunterricht Bestandteil eines umfassenderen Programms, in dem die Studierenden über vier Studienjahre hinweg fach- und sprachintegriert lernen können. Mit den voranschreitenden fremdsprachlichen Kompetenzen der Teilnehmenden verändert sich auf den verschiedenen Niveaustufen des Programms auch das Verhältnis zwischen Fachinhalten und Fremdsprache. Auf dem oben beschrieben Kontinuum wandert es gleichsam von einem eher fremdsprachlich orientierten Konzept zu einem fachbasierten. Oder um es mit den Begriffen von Dalton-Puffer (2017:154) zu beschreiben: von einer softeren Variante fach- und sprachintegrierten Unterrichts zu einer härteren.
Obwohl der Einsatz von Materialien, die sich an den Studienfächern Politik und Jura orientieren, im Laufe der letzten Jahre zu einem immer früheren Zeitpunkt erfolgte, ist der Unterricht gerade in den ersten Lernmonaten noch relativ stark von fremdsprachendidaktischen Überlegungen geprägt. Die Studierenden werden also nicht bereits in den ersten Wochen mit komplexen politischen oder juristischen Fragestellungen konfrontiert. Der Schwerpunkt liegt zunächst darauf, sich mit einer neuen Sprache und zugleich mit einer neuen Art des Fremdsprachenlernens vertraut zu machen (siehe dazu auch Kap. 2.7 und 2.8). Gleichwohl ist der Unterricht aber von Beginn an thematisch ausgerichtet und orientiert sich an den curricularen Prinzipien des Programms. Es geht also von der ersten Unterrichtsstunde an darum, neben den fremdsprachlichen Kompetenzen auch jene Kompetenzen zu fördern, die einer Hochschulbildung angemessenen sind (siehe Kap. 2.3).
Es wäre an dieser Stelle zu raumgreifend, das Konzept des gesamten Programms oder auch nur des ersten Studienjahres detailliert auszuführen. In weiteren Publikationen sind dazu umfassende Beschreibungen zu finden (Schart 2008, 2010; Schart et al. 2010; siehe auch die Projekt-Homepage). Um den Ansatz nachvollziehbar zu machen, möchte ich jedoch zumindest in groben Zügen darlegen, wie der von Lyster (2007) geforderte counterbalanced approach in unserem Fall umgesetzt wird.
Da der Unterricht auf eine Steuerung durch einen formalen oder funktionalen Syllabus verzichtet und auch das isolierte Üben einzelner sprachlicher Phänomene ausspart, stellt sich als erstes die Frage, wie die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die sprachlichen Aspekte gerichtet wird.
Sprachlicher Fokus
Die von uns praktizierten Vorgehensweisen lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Da sind zum einen die ungeplanten Prozeduren, die sich spontan aus der Beschäftigung mit den Inhalten ergeben. Sie werden in der Analyse der unterrichtlichen Interaktion in Kap. 4 ausführlicher betrachtet. Zum anderen setzen wir eine Reihe von Techniken geplant ein, um Sprachlernprozesse zu unterstützten. Das zeigt sich zunächst an der Textauswahl und -gestaltung.
Die Mehrzahl der Texte wird so bearbeitet, dass die Lernenden durch Anzahl und Schwierigkeitsgrad der enthaltenen sprachlichen Strukturen nicht entmutigt werden und sich in einer überschaubaren Zeit die Inhalte erschließen können. Es werden daher eher selten Texte in ihrer Originalform verwendet. Den Einsatz authentischer Texte, die einige Autorinnen und Autoren als wesentliches Merkmal fach- und sprachintegrierten Unterrichts betrachten (z.B. Stryker/Leaver 1997), sehe ich also eher kritisch. Die Leidenschaftlichkeit, mit der zuweilen die Authentizität von Materialien eingefordert wird, ist eine – durchaus verständliche – Überreaktion auf ungelenk konstruierte Dialoge und Sachtexte, wie man sie bis heute in Lehrwerken findet (vgl. die Kritik bei Kramsch 1993:177). Ob aber ein Text in originalgetreuer oder adaptierter Form im Unterricht eingesetzt wird, ist von zweitrangiger Bedeutung. Entscheidend muss sein, ob er dabei hilft, die gewünschten Lernprozesse anzuregen. Und adaptierte Texte können diese Funktion gerade auf den unteren Niveaustufen oftmals besser erfüllen.
Long (2015:251) argumentiert in diesem Sinn, wenn er das besondere Potenzial elaborierter Texte hervorhebt. Die Bearbeitung originaler Texte muss keineswegs zu inhaltlich weniger anspruchsvollem Material führen. Es geht nicht um Vereinfachung, sondern um die Integration von Redundanzen, sprachlichen Regularitäten, Paraphrasen, Wiederholungen oder expliziten Signalen, die das Verständnis der Niveaustufe entsprechend erleichtern. „Amplify, don‘t simplify“ lautet die griffige Formel, in der Walqui/van Lier (2010:39) diesen Denkansatz fassen. Ein Text kann also durch die Bearbeitung an Komplexität gewinnen, aber für Lernende dennoch zugänglicher werden. Und gerade wenn das gelingt, kann man von einem authentischen Lerntext sprechen. Letztlich wird daher die Lehrperson erst durch die gezielten Eingriffe in das Original ihrer pädagogischen Verantwortung gerecht (van Lier 1996:128; Widdowson 1990/ 2010).
Festzuhalten bleibt, dass die Vorbereitung von Materialien, die den Lernenden die Begegnung mit realistischen Beispielen des Sprachgebrauchs ermöglichen, ohne sie zu überfordern, eine sehr anspruchsvolle, zeitaufwändige Phase bei der Konzipierung fach- und sprachintegrierten Unterrichts darstellt (siehe auch Long 2015:249).
Um das Verständnis der Lernenden für das Zusammenspiel von sprachlicher Struktur und Funktion zu unterstützen, spielen neben diesen elaborierten Texten aber auch die Aufgabenstellungen eine wichtige Rolle. Sie sind häufig so gestaltet, dass sich für ihre Bewältigung bestimmte sprachliche Formen anbieten. Die Lernenden erhalten dadurch eine Orientierung, sollen aber zugleich nie in ihrer Kreativität beim Gebrauch sprachlicher Mittel übermäßig eingeengt werden.1
Ein weiteres wichtiges Element der geplanten Maßnahmen für die Unterstützung des sprachlichen Lernens sind schließlich auch die von den Studierenden selbst gestalteten Reflexionsphasen, die regelmäßig stattfinden. Jeweils zwei Studierende führen Protokoll über die vier Unterrichtseinheiten einer Woche. Aus ihren Notizen zur Interaktion im Unterricht, zum Tafelbild und aus dem Lernmaterial wählen sie sich sprachliche Phänomene aus, die sie für interessant halten oder noch nicht verstanden haben. Sie untersuchen diese zunächst selbstständig, stellen sie dann auf der Lernplattform zur Diskussion und besprechen sie abschließend im Plenum mit der gesamten Lerngruppe, wobei sich die Lehrperson im Hintergrund hält und nur bei Schwierigkeiten oder Missverständnissen eingreift. Diese Reflexionsphasen werden allerdings auf Japanisch durchgeführt und sind daher kein Teil der Interaktionsdaten, die in dieser Studie analysiert werden.
Inhaltlicher Fokus
Der Blick auf die Förderung der fremdsprachlichen Kompetenzen sollte verdeutlichen, wie wir uns an Longs Konzept des focus on form (Long 1991) uorientieren und von der ersten Unterrichtsstunde auf die Inhalte das Hauptaugenmerk legen. Auch wenn sich die inhaltliche Gestaltung entsprechend der sprachlichen und fachlichen Entwicklung der Studierenden verändert, so zielen doch die Planungen auf allen Niveaustufen des Intensivprogramms darauf, Lernräume zu schaffen, in denen die akademische Neugier gefördert wird und die kritische Auseinandersetzung mit sozialen, politischen und juristischen Fragen im Zentrum steht.1
Gerade in den ersten Lernmonaten geht es dabei um Gegenstände, die sich auch in jedem kommunikativen Lehrwerk finden, etwa das Thematisieren der eigenen Person und des unmittelbaren Lebensumfelds. Die grundlegende Idee des gesamten Programms liegt jedoch darin, solche Themen möglichst mehrperspektivisch anzugehen, zur Auseinandersetzung mit dem Gewohnten anzuregen und dabei, soweit möglich, auch wissenschaftliche Betrachtungsweisen einzubeziehen. Das Ziel sind somit eher disziplinbezogene Inhalte als disziplindeterminierte Inhalte, wie Widdwson (2010) diesen Unterschied begrifflich markiert. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass wir uns in den ersten Wochen des Unterrichts nicht nur damit beschäftigen, wer wir sind oder welche Hobbys wir pflegen. Es werden zugleich auch die gesellschaftlichen Rollen СКАЧАТЬ