Название: Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation
Автор: Christine Becker
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823300847
isbn:
Im Hinblick auf den fremdsprachlichen Landeskundeunterricht argumentiert Schumann, dass Mythen kollektive Selbstbilder sichtbar werden lassen und dass die Beschäftigung mit ihnen und ihren verschiedenen Erscheinungsformen kulturelle Konstruktions- und Dekonstruktionsprozesse offen zu legen [vermag]. Die Arbeit an kollektiven Mythen entwickelt ein kulturelles Wissen, das nicht nur landeskundliche Kontexte einbezieht und kulturelle Sinngebungsprozesse erhellt […]. (Schumann 2005b, 121)
In ihren Unterrichtsentwürfen beschreibt Schumann, wie der französische Mythos von der Einheit von Land, Volk und Nation, der sich im Symbol des Hexagons widerspiegelt, in verschiedenen Kontexten und Erscheinungsformen aufgegriffen wird, deren Behandlung im Unterricht einen Einblick in aktuelle französische Diskurse liefert und spezifisches kulturelles Wissen vermittelt.
Auch Koreik argumentiert für die Behandlung von Mythen im landeskundlichen Unterricht:
Wenn es so ist, daß Mythen und Legenden das Geschichtsbild breiter Bevölkerungskreise prägen oder zumindest eine größere Rolle darin spielen, dann wäre genau dies ein zu bearbeitender Themenkomplex, aus dem sich einzelne Beispiele für die Behandlung im Unterricht anbieten. Indem ausländische Deutschlernende Faktoren kognitiv verarbeiten, die die im Inland sozialisierten Deutschen auf welche medial vermittelte Weise auch immer […] als Mythen und Legenden aus dem Vorrat des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ zum großen Teil zum Bestandteil ihres subjektiven Geschichtsbildes gemacht haben, erhalten sie eine Möglichkeit zu einer besseren Nachvollziehbarkeit prägender Einflüsse deutscher Geschichts- und Gesellschaftsbilder. (Koreik 1995, 70)
Mythen stellen also nach Koreik einen Zugang zu den Geschichtsbildern dar, die eine Gruppe hat, so dass über diesen Weg die Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern sichtbar wird. Eine Möglichkeit, wie dies konkret im universitären Landeskundeunterricht geschehen kann, wird in Becker (2015a und 2015b) aufgezeigt.
Geschichtliche Themen
Mit den obigen Ausführungen zu Erinnerungsorten und politischen Mythen habe ich versucht deutlich zu machen, dass geschichtliche Themen aus einem kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht nicht wegzudenken sind. Mythen und Erinnerungsorte liefern historisches Wissen, d.h. die Hintergrundinformationen, ohne die sie nicht zu verstehen sind. Auch für die Gegenwart besitzt die Vergangenheit eine wichtige Erklärungskraft und ist daher für den landeskundlichen Unterricht von hoher Relevanz (vgl. Koreik 2010a, Maijala 2004, Ghobeyshi 2000, 635), wie es auch 1990 in den ABCD-Thesen formuliert ist:
Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, auch historische Themen und Texte im Deutschunterricht zu behandeln. Solche Texte sollten Aufschluß geben über den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über unterschiedliche Bewertungen sowie über die Geschichtlichkeit der Bewertung selbst. (o.A. 1990, 307)1
Das übergeordnete Ziel der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen im landeskundlichen Unterricht ist somit nicht die Vermittlung von reinem Faktenwissen, ähnlich einem ereignisgeschichtlichen Ansatz, in dem Epochen und Ereignisse chronologisch aneinandergereiht werden. Stattdessen erhält Geschichte eine unterstützende Funktion, sie wird nicht um ihrer selbst willen behandelt, sondern stets um Perspektivgebundenheit und Entwicklungslinien zu verdeutlichen.
Es stellt sich die Frage, welche geschichtlichen Themen für den Landeskundeunterricht relevant sind, wobei diese Frage selbstverständlich immer im Hinblick auf die spezifische Unterrichtssituation beantwortet werden muss. Als ein Leitfaden könne u.a. der Aktualitätsbezug sowie der zu erwartende Erkenntniswert der Themen gelten (vgl. Koreik 2012, 4); indem man Entwicklungslinien zu aktuellen Themen nachvollziehe, könne man kulturelle Deutungsmuster verdeutlichen (vgl. Koreik 2010a, 1479). Es böten sich Themen wie der Zweite Weltkrieg an, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach wie vor die Gegenwart präge (vgl. auch Fornoff 2015a). Insgesamt aber seien verstärkt das kollektive Gedächtnis2 sowie sozial- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen zu berücksichtigen, wolle man das Verständnis für die Gegenwart fördern:
Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis haben dabei in den letzten Jahren zu Recht auch im Fach DaF/DaZ einen gewissen Stellenwert bekommen, da Sprachunterricht kein Geschichtsunterricht ist und die Näherung an die Menschen im Zielsprachenland das vorrangige Ziel sein muss – und diese sind geprägt durch ihr Geschichtsbewusstsein. Hier werden allerdings die harten geschichtswissenschaftlichen Deutungen verlassen und Erkenntnisse aus der oral history oder sozialwissenschaftliche Studien […] bilden die Basis für fundierte Materialerstellung. (Koreik 2010a, 1482)
Koreik greift hier die kulturwissenschaftliche Transformation der Landeskunde auf sowie die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses für das landeskundliche Lernen: Ohne den Einbezug geschichtlicher Themen kommt der kulturwissenschaftlich orientierte Landeskundeunterricht nicht aus.
2.2.3 Zusammenfassung
Die Landeskunde befindet sich in einer nicht unproblematischen Situation. Zwar ist seit dem Paradigmenwechsel in der Landeskundedidaktik, der als eine kulturwissenschaftliche Orientierung beschrieben wird, die theoretische Fundierung weit fortgeschritten, doch lassen sich einige Lücken feststellen, die gefüllt werden müssen, damit kulturwissenschaftlich orientierte Landeskundeansätze sinnvoll auch in einem weiteren Ausmaß in den Unterricht des Deutschen als Fremdsprache einfließen können:
Es ist festzustellen, dass vor allem durch das Konzept der Erinnerungsorte konkrete Vorschläge vorliegen, wie kulturwissenschaftliche Ansätze im Unterricht berücksichtigt werden können. Auch im Hinblick auf Altmayers Deutungsmusterlernen sind Themenvorschläge vorhanden, die an Neuners universelle Daseinserfahrungen anknüpfen. Insgesamt handelt es sich bei diesen Arbeiten aber hauptsächlich um theoretische und/oder unterrichtspraktische Vorüberlegungen sowie Erfahrungsberichte, die insofern wichtig sind, als sie von einer theoretischen Warte den Mehrwert von kulturwissenschaftlich orientierter Landeskunde überprüfen und eine wichtige Inspirationsquelle für die Unterrichtspraxis darstellen. Aber um absehen zu können, was kulturwissenschaftliche Ansätze tatsächlich leisten können und wie mit ihnen konkret gearbeitet werden sollte, damit ein nachhaltiges Lernergebnis erreicht werden kann, bedarf es die empirische Erforschung kulturbezogener Lernprozesse und kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterrichts. So wie in dieser Arbeit ist dabei beispielsweise zu fragen, was geschieht, wenn sich Lerner mit kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen und welche Rolle methodisch-didaktische Entscheidungen spielen.
Darüber hinaus, und dies wird im Laufe der Arbeit deutlich werden, fehlt es vor allem auch an Auswahlkriterien für Unterrichtsthemen, geeigneten Aufgabenformaten für landeskundliches Lernen und Forschungsansätzen zur Bedeutung der Rolle digitaler Medien, wobei selbstverständlich der Kontext entscheidet, welches Vorgehen sinnvoll ist. Dahingehend wurde aufgezeigt, dass die Entscheidung, welche Inhalte wie vermittelt werden, nicht nur regional unterschiedlich ist und von den curricular vorgegebenen Unterrichtszielen abhängt, sondern auch davon, ob der Landeskundeunterricht in den Fremdsprachenunterricht integriert stattfindet oder, wie im vorliegenden Fall, als eigenständiges Seminar zur Landeskunde, das im Rahmen eines Fremdsprachenstudiengangs angeboten wird.
Bevor Kapitel 3 zur СКАЧАТЬ