Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation. Christine Becker
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СКАЧАТЬ der von Gemeinsamkeiten anstatt Unterschieden zwischen Kulturen ausgeht. In dieser Hinsicht schlagen z.B. auch Huneke und Steinig vor, gerade in Zeiten der Globalisierung „kulturübergreifende Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen und kulturspezifische Besonderheiten eher als Randerscheinungen zu betrachten“ (Huneke/Steinig 2010, 89).

      Ein der Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern ähnliches Vorgehen schlägt Hille für den universitären Landeskundeunterricht vor, wobei diesem Schlüsselbegriffe zugrunde liegen, die, wie auch kulturelle Deutungsmuster, wissenschaftliche Fundierung fordern. Im Unterschied zu kulturellen Deutungsmustern sind sie jedoch nicht das Resultat kulturwissenschaftlicher Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Stattdessen nutzen sie bestehende Forschungsergebnisse zu Schlüsselthemen;5 unter Einfluss der geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Forschung könnte dann „[die] Aufmerksamkeit der Lernenden […] durch die Kulturvermittlung auch auf komplexe Zusammenhänge hinter Alltagskommunikation und -handlung gerichtet werden“ (Hille 2009, 17). Gerade in universitären Kontexten ist die Bewusstmachung von komplexen Zusammenhängen wünschenswert, da sie schematischen Darstellungen vorbeugt und die Grundlage für die Herausbildung generischer Kompetenzen bildet.

      Die Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern und Schlüsselwörtern ist aus einer theoretischen Perspektive interessant und stellt einen sinnvollen Rahmen für anspruchsvollen universitären Landeskundeunterricht dar. Problematisch ist es, mit diesen Ansätzen in der täglichen Praxis des Fremdsprachenunterrichts zu arbeiten, vor allem auf den Niveaus A1 und A2 und mit jüngeren Lernern, auch wenn mit Mitreden (Altmayer 2016) inzwischen auch Didaktisierungen für A2 vorliegen.6

      Ein weiteres Desiderat ist in diesem Zusammenhang die empirische Erforschung landeskundlichen Lernens (vgl. Altmayer/Koreik 2010b), die dazu beitragen kann, die Unterrichtspraxis zu optimieren. Im Umfeld der Leipziger und Bielefelder Kulturstudien/Landeskunde ist in den letzten Jahren eine Forschungsaktivität zu kulturbezogenen Lernprozessen entstanden (vgl. Altmayer/Scharl 2010b, Zabel 2016, aber auch Fornoff 2016), in der es neben Fragen nach angemessenen Forschungsmethoden7 um kulturbezogene Sinnbildungs- bzw. Lernprozesse geht, die, vor allem in ihrer Nachhaltigkeit, aber eigentlich nur im Rahmen von Longitudinalstudien beantwortet werden können. Zwei Forschungsschwerpunkte lassen sich unterscheiden: Auf der einen Seite stehen Lernprozesse im Fokus, die mit Hilfe von Interviews, die vor und nach dem landeskundlichen Unterricht durchgeführt werden (z.B. Fornoff 2016), nachvollzogen werden sollen. Die Ergebnisse, an die im Analyseteil dieser Arbeit angeknüpft wird, geben einen Einblick, ob die Lernenden in der Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten deutschsprachige Deutungsmuster adäquat aktivieren können, so dass sie den Texten einen „angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können“ (Altmayer 2006, 55).

      Während diese Untersuchung einen Einblick gibt, ob kulturbezogene Lernprozesse stattgefunden haben oder nicht,8 bleibt darin die Frage, wie das Unterrichtsgeschehen die kulturellen Lernprozesse beeinflusst, außen vor. Die Unterrichtspraxis steht also nur selten im Fokus, wobei abgesehen von Aussagen über die individuellen Sinnbildungsprozesse Erkenntnisse über das Unterrichtsgeschehen und darüber, wie dort landeskundliches Lernen angeregt oder gehemmt wird, notwendig sind, um über geeignete Methoden, Potenziale und problematische Faktoren eine gültige Aussage treffen zu können. Gleichwohl können Erkenntnisse über kulturelle Sinnbildungsprozesse von Lernern auch aufzeigen, welche Mechanismen, z.B. Apologetik (vgl. Fornoff 2016, 487–489), Übergeneralisierungen und eigenkulturelle Deutungen, in der Unterrichtspraxis eine Rolle spielen, weil sie Lernprozesse beeinflussen und bei der Berücksichtigung von Methoden und Lehrmaterialien beachtet werden sollten.

      Das Konzept der Erinnerungsorte, auf das im Folgenden eingegangen wird, stellt einen weiteren konkreten Ausgangspunkt dar, der sich fruchtbar in der Unterrichtspraxis umsetzen lässt. Im hier untersuchten Seminar wurde beispielsweise die Berliner Mauer als (heterogener) Erinnerungsort thematisiert.

      Erinnerungsorte

      Die Arbeit mit Erinnerungsorten ist in den letzten Jahren zu einer fest etablierten unterrichtspraktischen Herangehensweise geworden, wie z.B. an dem Lehrwerk Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (Schmidt/Schmidt 2007a) deutlich wird.1 Es basiert auf dem Konzept der lieux de mémoires, das Pierre Nora ausgehend von Maurice Halbwachs’ Theorie des kollektiven Gedächtnisses entwickelte. Demnach handelt es sich bei Erinnerungsorten um Kristallisationskerne des kollektiven Gedächtnisses, die aus einem Netz aus materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden bestehen (vgl. François/Schulze 2009, 8f), wobei Erinnerungsorte sowohl als Orte im strengen Sinne, aber auch als historische und mythische Personen, Texte, Dinge, Ereignisse etc. gedacht werden, die Erinnerungen gleichsam an sich knüpfen.2 Diese Erinnerungen sind nicht festgeschrieben, sondern veränderbar, so dass neue hinzukommen, gleichzeitig mit anderen existieren oder diese überlagern können. Fornoff führt weiter aus, wie das Konzept der kulturellen Deutungsmuster mit gedächtniswissenschaftlichen Perspektiven zusammengeführt werden kann,3 bzw. zeigt auf, dass beispielsweise bei Assmann im Grunde von einer „vollständigen Ineinssetzung von Wissen und Gedächtnis“ (Fornoff 2016, 111) gesprochen werden kann.

      Im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht ist der Ansatz, über Erinnerungsorte Lernenden die Geschichte eines Landes näher zu bringen, inzwischen Gang und Gäbe, wie eine Vielzahl an Publikationen belegt.4 Zentral ist dabei die Annahme, dass Erinnerungen sowohl für das Individuum als auch für eine Gruppe die Funktion haben,

      eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und möglicherweise in die Zukunft zu schlagen. Sie bilden eine konnektive Struktur, die Menschen über die Zeit hinweg mit ihren Vor- und Nachfahren und innerhalb einer Gruppe untereinander verbindet. Erinnerungen dienen der individuellen Sinnstiftung, indem sie Identität und Kontinuität schaffen. (Schmidt/Schmidt 2007b, 422)

      Für den Fremdsprachenunterricht ist die Auseinandersetzung mit Erinnerungsorten sinnvoll, weil die Lernenden sich mit Hilfe von entsprechenden Didaktisierungen mit der impliziten symbolischen Konstruktion (Koreik/Roche 2014, 22) und der zeitlichen und räumlichen Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern und kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen (vgl. Schmidt/Schmidt 2007b, 423) und erfahren, wie diese umgedeutet werden können. Erinnerungsorte sind daher nicht nur interessant, um sich der ‚deutschen Geschichte‘ zu nähern, sondern auch, um die Sedimente von kulturellen Deutungsmustern freizulegen und nachzuvollziehen.5

      Politische Mythen

      Neben Erinnerungsorten eignen sich politische Mythen für das landeskundliche Lernen, da sie als „Erzählungen, die auf das politisch-soziale Geschehen gemünzt sind und diesem Geschehen eine spezifische Bedeutung verleihen“ (Becker 2005, 131), einen Einblick in das Selbstbewusstsein einer Gemeinschaft geben.1 Aus diesem Grund thematisiert ein Hauptteil des hier untersuchten Unterrichts politische Mythen und besonders Gründungsmythen. Auf die Bedeutung von großen Erzählungen geht auch Anderson ein, der eine Nation als eine „vorgestellte politische Gemeinschaft“ (Anderson 1996, 15) betrachtet, die ihre Identität auch über politische Mythen konstruiert (vgl. Anderson 1996, 284–286). Dies stellt auch Müller-Funk fest:

      Zweifelsohne sind es Erzählungen, die kollektiven, nationalen Gedächtnissen zugrunde liegen und Politiken der Identität bzw. Differenz konstituieren. Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden. (Müller-Funk 2008, 14)

      Politische Mythen erzählen primär über den Ursprung und die Entwicklung einer Nation. Jan Assmann zeigt beispielsweise das Verhältnis von Geschichte und Mythen auf und definiert damit die Funktion des Mythos:

      Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, daß im kulturellen Gedächtnis faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert wird. Mythos ist eine fundierte Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, СКАЧАТЬ