Im Stillen klagte ich die Welt an. Dora Stettler
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Название: Im Stillen klagte ich die Welt an

Автор: Dora Stettler

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783038550426

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СКАЧАТЬ hatte. Völlig verschüchtert stand ich da. Ich hatte eher ein Lob erwartet, weil ich mich so beeilt hatte mit der Herrichtung der Kartoffeln. Aber bald lernte ich, dass Angenommene nichts zu erwarten hatten. Eher hätte ich mich noch für die Strublete bedanken sollen, für die so genannte gute Erziehung, die sie uns allzu oft angedeihen liess.

      Die Bauern verlangten, dass wir uns stets überall und für alles bedankten. Sie liessen uns bei Tisch das Gebet sprechen. Jeden Morgen und jeden Abend las der Bauer aus der Bibel vor, die er mit einem Handgriff von einem Tablar über sich herunter holte. Im «Neukirchener Kalender» war angegeben, welchen Text er am jeweiligen Tag lesen musste. «Bete und arbeite» war die oberste Devise.

      Alles drehte sich um die Kartoffel. Sie galt als Hauptnahrungsmittel, nebst dem Brot. Selbst die Schweine erhielten ihre «Säuer»-Ration. In einem eigens dafür bestimmten Gerät wurden die gesottenen Kartoffeln für sie zerkleinert und gemahlen. Während ich diese Drehmühle bediente, konnte ich den Betrieb im Hof eingehend beobachten.

      Der Schweinestall befand sich im hinteren Hofteil. Der Weg dorthin führte über die Güllengrube. Sobald nun Rosi Burri im stampfenden Schritt mit dem gefüllten «Säuhafen» die ersten Güllenlatten betreten hatte, ging im Schweinestall ein ohrenbetäubendes Geschrei und Grunzen los. Die Tiere wussten genau, dass sie nun gefüttert würden. Noch bevor etwas im Trog lag, steckten die Schweine ihre Köpfe hinein. Sie besetzten die Plätze, um als Erste ans Futter heranzukommen. Die Bäuerin goss ihnen kurzerhand die ganze Suppe mit Kartoffeln, Speiseresten und was auch immer sich darin befand, über die Köpfe. Dann ging das Schnalzen und Schmatzen los. Die Frau klappte den Trogdeckel wieder zu. Wie sich dann die Sauen die übergossenen Gringe säuberten, blieb ihnen selbst überlassen.

      In Burris Stall hauste ein grosses Mutterschwein. Dieses sollte man einmal ins Freie lassen, fanden die Bauersleute. Also führte man dieses massige Tier aus dem Stall in den Obstgarten. Mir gaben sie einen Stock in die Hand. Ich sollte das Schwein hüten. In der hinteren Baumreihe stellte ich mich auf, um das Tier aufzuhalten, falls es ins Wiesland wollte. Wir alle aber hatten die Kalkulation ohne das Grunzschwein gemacht.

      Sobald dieses frische Luft und Freiheit gerochen hatte, rannte es laut grunzend im Zickzackkurs durch den Obst­garten. Mit einen Sprung hinter einen Apfelbaum konnte ich mich vor ihm retten, sonst hätte es mich zweifellos überrannt.

      Der Bauer sah, dass sie mir mit diesem Hütedienst doch zu viel zugemutet hatten. Er kam angerannt, entriss mir den Stock und eilte dem Schwein nach. Es nahm Kurs Richtung Schulhaus. Auf halbem Wege holte er es ein und klemmte es sich zwischen die Beine. Rittlings musste er noch eine Strecke mitlaufen. Dabei packte er das Borstenvieh an den Ohren.

      Wir hatten uns indessen auch der Szene genähert. Die Bäuerin schrie ihrem Mann zu: «Pass auf, pass auf, du reisst ihm das Ohr aus.»

      Tatsächlich klaffte am Ohransatz ein grosser Riss. Es war ein richtiger Kampf, bis der Bauer das kräftige Tier wieder unter Kontrolle hatte. Mit Fusstritten und Stockhieben beförderte er das übermütige Schwein zurück in den Stall. Von einem neuerlichen Weidegang wurde in Zukunft abgesehen.

      Auf den Feldern und überall in der Luft roch es nach verbrannten Kartoffelstauden. Das war ein untrügliches Zeichen, dass der Herbst eingekehrt war. Und mit dem Herbst kam auch wieder der Schulbeginn. Das war Neuland für uns Mädchen.

      Der Bauer brachte uns zum Schulhaus. Das Gebäude enthielt nur zwei Schulzimmer, die sich rechts und links von einem langen Flur befanden. An dessen Ende führte eine Treppe ins Obergeschoss. Dort befand sich die Lehrerwohnung, die von einem Ehepaar bewohnt wurde, welches zusammen die neun Klassen unterrichtete.

      Die Schüler von der ersten bis zur vierten Klasse wurden von Frau Schaer betreut, während in der Oberschule bis zum neunten Schuljahr ihr Mann das Zepter führte.

      Herr Burri liess uns unten an der Treppe warten, während er bei der Lehrerin vorsprach. Da standen wir nun, wir Neulinge, und schauten dem Betrieb zu. Ununterbrochen öffnete sich die Gangtüre. Einzeln oder in Grüppchen kamen die Kinder herein. Die Grossen verschwanden nach links, die Kleinen nach rechts in die Schulstuben. Nicht aber ohne uns von oben bis unten gemustert zu haben, als wären wir Exoten. Kein Wunder, alle Mädchen vom Land trugen damals mehr oder weniger lange, meist rötlichblonde Zöpfe. Wir hatten Pagenschnitt, dunkle Haare und trugen kurze Röcke.

      Von irgendwoher ertönte eine Glocke. Gleich darauf kamen die Lehrersleute und der Bauer die Treppe herunter. Die Lehrerin begrüsste uns und öffnete die Tür zum Raume rechts. Wie aufs Kommando drehten sich etwa vierzig Schüler um und ebenso viele Augenpaare blickten uns entgegen.

      Ich wurde zu den Kleinen der ersten Klasse gesetzt, während meiner Schwester einen Platz in der zweiten Klasse zugewiesen wurde. Schulbänke im üblichen Sinn gab es nicht. Es waren Vierer- und Fünferbänke, wie zu Ankers Zeiten, und ebensolche Pulte davor, die aus einer einzigen langen Latte bestanden. Zum Aufstehen musste man immer diese Latte zurücklegen.

      In einer längeren Zeremonie wurden wir unseren Mitschülern vorgestellt. Viele Kinder hatten den selben Nachnamen. Entweder waren sie Geschwister oder sonstwie untereinander verwandt. Ich atmete entspannt auf, als die Lehrerin an ihrem Pult sass und zur Tagesordnung überging.

      Die Kinder waren nett, ich fühlte mich von ihnen akzeptiert. Besonders als sie merkten, dass wir ihnen in den Grundschul-Fächern mindestens ebenbürtig waren.

      Mittlerweile hatte Papa herausgefunden, wohin man uns gebracht hatte. Da stand er nun an einem schönen Sonntag, kurz nach Mittag, auf Burris Hof. Der Bauer, der noch am Mittagstisch neben dem Fenster sass, hob ein wenig das karierte Vorhänglein und sagte gelassen: «Was sucht denn dieser lange Kerl hier?»

      «Der hat sich wohl verlaufen», entgegnete die Bäuerin.

      Erst jetzt wurden Elsbeth und ich auf den Mann da draussen aufmerksam. Ein Blick durchs Fenster genügte. Wir sprangen von den Bänken und zur Türe hinaus in die Arme unseres Vaters. Nun begriffen auch die Burris, wen sie vor sich hatten.

      Neben unserem Vater erschienen sie wie Kinder. Er überragte den Bauern um eine ganze Haupteslänge. Es tat mir in der Seele gut, zu sehen, wie der Bauer einmal zu jemandem emporschauen musste. Er sagte danach, Papa würde nicht hierher passen. Der müsse ja jedesmal den Gring einziehen, wenn er durch die Tür gehe; und den Dielenbalken müsste er ein gutes Stück abhobeln, damit er untendurch käme!

      Wir begleiteten Papa auf den Riedboden. Er wollte auch Markus sehen und seine Pflegefamilie kennen lernen.

      Mama hatte die Bauersleute angewiesen, uns nicht aus den Augen zu lassen, falls der Vater auftauche. Der sei im Stande und nehme uns bei günstiger Gelegenheit gleich mit. Aus diesem Grunde wurden wir auf beiden Höfen mit Argusaugen bewacht.

      Es war eine paradoxe Situation. Die Mutter verfügte über uns, wollte uns aber nicht bei sich haben, der Vater jedoch bemühte sich vergeblich, um uns nach Hause zu holen. Ausgerechnet vor diesem Manne, der es gut mit uns meinte, sollten uns die Betreuer schützen! Aber zu dieser Zeit waren die Mütter immer am längeren Hebel und erhielten das Sorgerecht fast automatisch. Eine Frau, die das Sorgerecht nicht erhielt, verlor fast das Gesicht. So liess Mama, als Papa sie gedrängt hatte, ihm das Sorgerecht zu überlassen, uns drei Kinder umgehend bevormunden. Damit verschaffte sie sich behördliche Rückendeckung und schob Papas Bemühungen einen Riegel.

      Nun kannten die Burris unsere beiden Elternteile. Mit der Mutter und mit ihrem Begleiter freundeten sie sich an, den Vater aber fürchteten sie in gewisser Hinsicht.

      Bei einer einzigen Gelegenheit bloss hatten wir noch Kontakt zur Stadt Bern. Halbjährlich wurden wir in die städtische Schulzahnklinik beordert. Die Reise nach Bern unternahmen Elsbeth und ich СКАЧАТЬ