Im Stillen klagte ich die Welt an. Dora Stettler
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Название: Im Stillen klagte ich die Welt an

Автор: Dora Stettler

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783038550426

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СКАЧАТЬ liess. Ein gerichtlicher Entscheid verfügte, dass wir Kinder, einem damaligen Vorrecht der Mütter entsprechend, der Mama ­zugesprochen wurden. Das war ein schicksalsträchtiger Beschluss.

      Im folgenden Frühling begann nun auch für mich die Schulzeit. Ich wurde ins imposante Spitalacker-Schulhaus eingewiesen. Einen neuen Schulsack erhielt ich nicht. Irgend­wo konnte Mama eine alte abgewetzte Segeltuchtasche mit den entsprechenden Tragriemen auftreiben, die ich dann in der Schule neben die nigelnagelneuen Taschen meiner Mitschülerinnen hängen musste.

      Karl ging jetzt ungehindert in unserem Haushalt ein und aus, durfte aber noch nicht bei uns wohnen. Nach einer Intervention Papas hatte er die Schlafstätte in unserer Wohnung verlassen müssen. Papa hatte unserer Mutter erklärt, er weigere sich, ihr den monatlichen Mietzins zu bezahlen, solange sich dieser Eindringling in unserer Wohnung eingenistet habe. Demzufolge musste Karl das Feld räumen und sich mit der Dachkammer im Nebenhaus begnügen, die ihm Mama mit Kleinmöbeln und Wäsche aus unserer Haushaltung wohnlich eingerichtet hatte. Markus und ich fühlten, dass wir verdrängt wurden. Platz Nummer eins hatte Karl eingenommen.

      An einem Sonntag besuchten wir Elsbeth im Kinderheim. Markus war nicht dabei. An der Postautohaltestelle am Bollwerk liessen Mama und Karl mich draussen warten, während sie das Billett lösen gingen. Plötzlich wurde ich von hinten hochgehoben und ins Postauto gestellt. Vor Schreck schrie ich laut auf, ich sah nicht, wer mich kidnappte. Der Chauffeur höhnte: «Wer wird jetzt dermassen schreien, wenn man schon Postauto fahren darf.»

      Als der Schreck nachliess, hörte ich Papas Stimme und erkannte seine Hände, die mich immer noch umfasst hielten. Er sprach beruhigend auf mich ein und setzte mich auf einen Sitz am Fenster, nahm Platz neben mir, als wollte er damit demonstrieren: «Meine Tochter holt hier niemand weg.»

      Papa wollte ebenfalls Elsbeth besuchen und konnte es nicht mitansehen, dass Mamas Freund in meiner Nähe war.

      Mama und Karl bestiegen auch dieses Postauto. Sie setzten sich hinten auf die Bank. Wohlweislich liessen sie mich neben Papa sitzen. Während der Fahrt drehte ich mich um und wollte die Atmosphäre auf der hinteren Bank erkunden, da flüsterte Papa mir zu: «Schau nicht nach hinten, diese Leute gehen uns nichts an.»

      Die Zeit der Sommerferien begann, in welcher wir zwei Kinder nicht recht wussten, wo wir uns aufhalten sollten. Wir strichen gemeinsam durchs Quartier, hielten uns im Kaser­nen­areal unter den schattigen Kastanienbäumen auf oder schlenderten stillschweigend durch den Rosengarten. Ins Aarebad Lorraine konnten wir ohne Mama nicht mehr problemlos gehen. Als Schulmädchen hatte ich nicht mehr Zutritt in den Bueber wie vor Jahresfrist, als mich Markus dorthin mitnahm. Und allein mochte ich mich auch nicht im Frauenbad aufhalten. Es war ein heisser Sommer, in den Strassen war der Asphalt flüssig. Wir mieden diese Strecken und schlichen am Abend im Schatten der Häuserreihen müde und freudlos unserer Wohnstrasse zu.

      Der geheimnisvolle Ausflug

      Mama versprach uns – Markus und mir –, man würde im Laufe der Sommerferien eine Reise ins Grüne unternehmen. Wir freuten uns darauf, wunderten uns aber, dass sie diesen Ausflug immer wieder verschob. Auch aus Karl war nichts herauszukriegen.

      Dann endlich, am Ende unserer Ferien im August im Jahre 1934, schien ihr der Termin zu passen. Es war ein denkwürdiger Tag, ein Tag, der unserem Leben eine unglaubliche Wende gab.

      Mama betrat unser Zimmer und sagte: «Wir machen heute eine Reise ins Oberland. Beeilt euch, zieht die Sonntagskleider an. Wir müssen gleich zur Bahn.»

      Schnell machten wir uns reisefertig und standen bald erwartungsvoll bei Mama in der Küche. Karl war auch schon da, er durfte natürlich bei diesem Ausflug nicht fehlen.

      Der Zug führte uns über Land, Richtung Süden, den Bergen entgegen. Nach etlichen Stationen wechselten wir auf eine kleinere Bahn, dann wartete schon das Postauto auf uns. In unzähligen Kurven tuckerte das Gefährt einen Hügel empor. Wir durchfuhren einen Tannenwald, bevor das Auto die Kuppe eines langgestreckten Höhenzuges erreichte, von welchem wir eine freie Sicht in Berge und Täler hatten. Noch nie zuvor hatte ich die imposanten Felswände so greifbar nah zu Gesicht bekommen. In gehobener Stimmung verliessen wir das Postauto und bewunderten das Panorama.

      Im Osten reichte der Blick bis hin zu den schroffen Wänden des Hohgant. Das Jungfraumassiv liess sich hinter einem bewaldeten Hügelzug leicht erahnen. Der weisse Gipfel des bekannten Berges ragte hinter den dunklen Tannenspitzen empor. Die trotzige Niesenpyramide dominierte am westlichen Horizont.

      Diese unbeschwerte Freude sollte aber nicht lange dauern. An der Haltestelle stand eine schwarz gekleidete Frau, die uns ständig beobachtet hatte. Langsam schritt sie auf uns zu und begrüsste Mama und Karl. Das löste in mir ein mulmiges Gefühl aus. Ein Blick auf den Bruder zeigte, dass es ihm ebenso erging.

      Nun streckte die Frau auch uns die Hand zum Gruss entgegen. Sie forderte uns alle auf, ihr zu folgen. Ein steiniger Feldweg führte uns abwärts an Blumenwiesen, Kartoffel­äckern und Stoppelfeldern vorbei. Die fremde Frau geleitete uns zu einem der verstreut liegenden Bauernhöfe. Bergseits reichte das mächtige Dach bis zum Boden. Den Zugang zum Wohnteil säumten mannshohe Topinamburstauden.

      Zögernd betrat ich als Letzte das Bauernhaus. Ich nahm den fremden Geruch einer Bauernküche wahr. Es roch nach Holz, Rauch und Molkerei. Dazu mischte sich der würzig starke Geruch, den die blau-weiss gestreifte Melkerbluse am Haken hinter der Tür ausströmte. Die Bauersfrau führte uns in die gute Stube. Diese hatte einen rohen Boden aus Tannenholz mit erhöhten Astansätzen.

      Drinnen herrschte eine gespannte Stille. Ich wünschte, wir würden den Raum so bald wie möglich wieder verlassen. Aber Mama schien keine Eile zu haben. Zögernd stellte sie die schwere Reisetasche, in welcher ich den Imbiss vermutet hatte, neben dem Tisch auf den Boden. Jedermann wartete auf den Gesprächsbeginn des andern.

      Endlich unterbrach Mama das Schweigen. Sie wandte sich an Markus und an mich: «Nun, ihr Kinder, hört mal her. – Dies ist jetzt euer neues Zuhause. – Ihr werdet von nun an hier wohnen!»

      Ihre Stimme klang seltsam, ihr Tonfall fremd.

      Einen Moment lang stockte das Blut in meinen Adern. – Wie konnte Mama so etwas tun! Sie durfte uns doch nicht allein zurücklassen, hier in diesem abgelegenen Hügelland, fern von der Stadt.

      Wie versteinert stand ich da und schaute sprachlos meine Mutter an. Ihre Entschiedenheit war unmissverständlich, ich sah es in ihrem Gesicht! Ich begriff, dass künftig nicht mehr meine Mama, sondern diese schwarz gekleidete Frau sich um mich kümmern würde.

      Mama und Karl schickten sich an, mit den Bauern ins Gespräch zu kommen. Indessen entspannte ich mich ein wenig. Ängstlich, doch neugierig schaute ich mich im Raum um. Da stand ein Kinderbett neben dem Ofen. Ich wollte wissen, wer denn darin schlafen würde.

      «Du, Katharina, wirst darin schlafen», belehrte mich die Bäuerin.

      Geschockt von der Antwort und weil sie mich Katharina genannt hatte, war ich der Verzweiflung nahe. Trotzdem ­deutete ich verschüchtert auf das grosse Bett neben der Tür. Ich wollte wissen, ob vielleicht mein Bruder hier schlafen würde.

      «Nein», war die Antwort, «der wird nicht hier wohnen, er kommt zu einem Bauern in der Nachbarschaft.»

      Dieser niederschmetternde Bescheid brachte mich aus der Fassung. Ich brach in Tränen aus und wollte wieder nach Hause mitgenommen werden. Damit kam ich aber schlecht an. Mama hielt mir vor: «Jetzt musst nicht noch heulen, da doch sonst alles so glatt gelaufen ist.»

      Mamas СКАЧАТЬ